| # taz.de -- Feminismus und Popmusik: Empowerndes Bouncen trotz Sexismus | |
| > Unsere Autorin tanzt gerne Reggaeton und ist Feministin. Und das ist | |
| > keineswegs ein Widerspruch, auch wenn die Lyrics teilweise sexistisch | |
| > sind. | |
| Bild: Die kolumbianische Reggaeton-Künstlerin Karol G | |
| [1][Ich bin Feministin und tanze gerne zu Reggaeton.] Das ist Tanzmusik | |
| für die Massen aus Lateinamerika, die aber längst auch in Spanien und | |
| Italien auf jeder Party läuft. Nur hierzulande bekomme ich für diese | |
| Vorliebe – häufig von woken, linken Männern – den Kommentar: „Du magst | |
| Reggaeton? Aber die Lyrics sind doch total sexistisch!“ | |
| Ja, das stimmt. Meiner persönlichen, halb repräsentativen Studie zufolge, | |
| lassen sich 80 Prozent der Reggaeton-Texte inhaltlich einer der folgenden | |
| Kategorien zuordnen: „Du bist so hot, ich will Sex mit dir“, „Du hast mich | |
| verlassen, ich leide“, „Ich habe dich schlecht behandelt, aber komm, sei | |
| doch nicht so“ oder „Er behandelt dich schlecht, ich wäre besser für dich… | |
| Darin kommt oft ein besitzergreifendes Verständnis von Liebe und allerlei | |
| anderer problematischer Bullshit zum Ausdruck. | |
| Aber ganz ehrlich – lassen sich nicht 80 Prozent aller Popsongs weltweit in | |
| ungefähr diese inhaltlichen Kategorien einteilen? Ich frage mich manchmal, | |
| wie viel vom Klischee des Latino-Machos dahintersteckt, dass ausgerechnet | |
| Reggaeton in Deutschland sofort mit Sexismus assoziiert wird. Ich sehe | |
| nämlich wenig Unterschied zu beispielsweise deutschen Schlager-Texten. Von | |
| den vielen weiblichen, queeren und feministischen Reggaeton-Artists ahnen | |
| die woken deutschen Lefties dagegen oft nichts. | |
| Der Punkt ist aber nicht, dass Sexismus im Reggaeton zu entschuldigen sei, | |
| weil andere Musikrichtungen genauso schlimm sind. Sondern dass der Großteil | |
| der Mainstream-Musik im Allgemeinen sexistisch ist, weil sich das im | |
| Patriarchat gut verkaufen lässt. Ich verstehe alle, die keine Lust haben, | |
| sexistische Songs und Künstler*innen zu hören. Auch ich habe meine | |
| Grenzen: zum Beispiel bei expliziten Beschreibungen von sexualisierter | |
| Gewalt. Doch wenn ich alles an sexistischer Musik boykottieren würde, | |
| bliebe einfach nicht mehr viel übrig. Und ich habe nicht vor, bis zur | |
| Revolution aufs Tanzen zu verzichten. | |
| [2][Reggaeton ist eine sehr überzeugende Einladung], raumgreifend und sexy | |
| zu tanzen. Ähnlich wie Hip-Hop, auch eine Musikrichtung, der besonders oft | |
| Sexismus vorgeworfen wird. Wer weiblich sozialisiert wird, besonders im | |
| globalen Norden, lernt, nicht zu viel Raum einzunehmen, den Körper zu | |
| disziplinieren, ihn schlank und straff halten, sexy zu sein, aber auch | |
| nicht zu sehr – wir wollen ja schließlich nicht als Schlampen gelten. | |
| [3][Zu Reggaeton oder Hip-Hop abzugehen], heißt dagegen, uns Raum zu | |
| nehmen, unser Fett zum Bouncen zu bringen und unsere Körper in all ihrer | |
| Sexyness zu feiern und uns dabei mit anderen verbunden zu fühlen. Das kann | |
| ein sehr empowerndes Gefühl sein. Uns Musik anzueignen, sie umzudeuten, | |
| über sie zu lachen, kann ein Akt des Widerstands sein. Vor allem aber macht | |
| es Spaß. Spaß, der nichts kostet, niemanden ausbeutet, die Umwelt schont. | |
| Bei all den gesellschaftlichen Strukturen, die uns diesen verderben sollen, | |
| finde ich das schon Grund genug. | |
| 12 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lou Zucker | |
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