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# taz.de -- Queer sein im Kapitalismus: You can stand under my umbrella
> Wer ist „queer genug“? Unsere Kolumnistin findet, diese Frage bringt uns
> nicht weiter. Denn genau so wenig kann man schön oder reich genug sein.
Bild: Alle unter einem Schirm: Auf dem CSD am 23. Juli in Berlin
Bin ich queer genug? Diese Frage begegnet mir in meinem Umfeld immer
wieder. Bin ich queer genug für die queere Party, für den CSD? Bin ich
queer genug, um mich überhaupt queer zu nennen? Die meisten meiner
weiblichen Freund*innen fühlen sich zu verschiedenen Geschlechtern
hingezogen, hatten aber hauptsächlich sexuelle Erfahrungen mit Cis-Männern.
Von ihnen höre ich oft Zweifel, ob sie sich als queer bezeichnen dürfen.
Ähnliche Zweifel habe ich auch schon von Menschen gehört, die gerade
nachspüren, ob ihre Pronomen wirklich zu ihnen passen. Ich habe sie von
nichtbinären Personen gehört, die von außen selten so gelesen werden.
Auch ich habe mir diese Frage schon gestellt. Zum Beispiel, wenn [1][ich
als bisexuelle Frau] gerade mit einem Mann zusammen war. Oder wenn ich
lange keinen Sex mit einer Frau hatte. Doch welche Kriterien müssten wir
denn erfüllen, um „queer genug“ zu sein? Müssten wir als Homo-, Pan- und
Bisexuelle einen Lebenslauf unserer gleichgeschlechtlichen sexuellen
Erfahrungen vorweisen? Müssten wir eine bestimmte Quote davon im Jahr
erfüllen? Ab wann darf sich jemand trans nennen? Ab Beginn der
Hormoneinnahme? Nach einer geschlechtsangleichenden Operationen? Nach einer
Namensänderung in offiziellen Dokumenten? Was müssten nichtbinäre Menschen
vorweisen? Einen Unisex-Namen und einen besonders androgynen Stil?
Solche Überlegungen geben mir Bewerbungsgespräch-Vibes. So als müssten wir
uns unsere Queerness erst hart erarbeiten und sie dann gegenüber einem
Gremium verkaufen, dessen Mitglieder prüfend über ihre Brillengläser
schauen. Noch dazu impliziert der [2][Gedanke von „queer genug“], wir
könnten mehr oder weniger queer als andere sein. Damit stünden wir
dauerhaft in Konkurrenz mit anderen Queers. In dieser Logik werden wir
natürlich nie „queer genug“ sein, genauso wie wir nie reich genug oder
schön genug sein werden.
All das ist ein wahnsinnig kapitalistisches Mindset. Und das Gegenteil von
dem, was Queerness ursprünglich bedeutete. Es ging dabei von Anfang an
darum, sich gegen Unterdrückung und Marginalisierung aufzulehnen und damit
auch gegen den heteropatriarchalen Kapitalismus. Es ging darum, Räume zu
schaffen für Menschen, die nirgends die Kriterien erfüllten. Es ging um
Community.
Ich finde, wir sollten uns dieses Erbe nicht vollständig von
kapitalistischer Aneignung aus den Händen reißen lassen – auch nicht von
dem internalisierten Kapitalismus in unseren Köpfen. Es ist wichtig zu
benennen, dass queere Menschen sehr unterschiedliche
Diskriminierungserfahrungen machen. Genau deshalb ist „queer“ ja auch ein
sogenannter [3][umbrella term], unter dem verschiedenste Identitäten
zusammenfinden. Ich möchte Queerness als Einladung verstehen, mehr von uns
selbst zu entdecken und dabei nicht allein zu sein. Und ich wünsche mir
wieder weniger Bewerbungsgespräch und mehr Rihanna: You can stand under my
umbrella.
26 Jul 2022
## LINKS
[1] /Erfahrungen-beim-Heterodating/!5799201
[2] /Queerbaiting-in-der-Popkultur/!5777646
[3] https://lgbtqia.fandom.com/wiki/Umbrella_term
## AUTOREN
Lou Zucker
## TAGS
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