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# taz.de -- Engländerinnen spielen sich in Rausch: Im krassen Angriffsmodus
> England gewinnt bei der EM gegen die vermeintlich gleichstarken
> Norwegerinnen mit 8:0. Derartige Kantersiege häufen sich. Warum nur?
Bild: Fassungslos: die dreifache Torschützin Beth Mead ist vom eigenen Erfolg …
„Ich kann kaum sprechen, weil mein Lächeln so breit ist. Besser wird es
nicht!“, schreit ekstatisch die englische Kommentatorin. Da steht es erst
4:0 für die Engländerinnen [1][gegen Norwegen], sie hat ja keine Ahnung,
was noch kommt.
Die sechs Männer im spärlich besuchten Pub, die zu Anfang eher halbherzig
und kichernd hingeschaut haben, stehen jetzt unter Strom. Beim 2:0 sprachen
sie noch über den neuen Elvis-Film, das 4:0 wird beklatscht, beim 6:0
bricht Johlen aus. „It’s amazing“, ruft der offenbar einzige fürs Spiel
gekommene Fan immer wieder. „They’re on fire.“ Sind sie in der Tat, am En…
steht es 8:0.
Es ist ein Rekordergebnis für eine EM der Männer oder der Frauen. Das
englische Team spielt sich gegen hilflose Norwegerinnen in einen
regelrechten Rausch. Die erneut als Organisatorin der Offensive
herausragende Beth Mead steuert drei Treffer bei und schickt sich an, eine
der Spielerinnen des Turniers zu werden. Ellen White, die zweimal trifft,
luchst vorn mit Terrier-Qualitäten Bälle ab. Den Reigen eröffnet cool per
Elfmeter Georgia Stanway, ob deren Verpflichtung sich der FC Bayern nur
beglückwünschen kann.
[2][Nach dem etwas wackeligen und nicht immer attraktiven Eröffnungsspiel]
haben die Gastgeberinnen nun ein öffentliches Momentum, wie sie es sich
nicht hätten erträumen können. Wer weiß allerdings, was geschehen wäre,
hätte England nicht zum Auftakt einen zweifelhaften Elfmeter, herausgeholt
durch eine theatralisch darniedersinkende White, geschenkt bekommen. Der
öffnete alle Schleusen.
Nun haben die Britinnen ihre Traumnacht – und der Rest Europas eine
Kantersieg-Debatte. Nach dem 5:1 der Französinnen gegen Italien [3][und dem
4:0 der Deutschen gegen Dänemark] ist dies das dritte Spitzenspiel, bei dem
ein Team das andere in Grund und Boden rennt. Mit dem altbekannten Problem
des Frauenfußballs lässt sich das nicht erklären. Die Qualitätslücken sind
längst kleiner geworden. Die Underdogs aus Nordirland, Portugal und
Finnland kamen nicht so unter die Räder.
## Überlegenheit der Physis
Die EM-Kantersiege reihen sich auffällig in die Ergebnisse der Vorbereitung
ein. Kurz vor dem Turnier schlugen die Deutschen die Schweizerinnen mit
7:0, England den Mitfavoriten Niederlande mit 5:1. Oft sind es gerade nicht
die besonders rückständigen Teams, die hier geschlachtet werden; England
und Norwegen trennen in der Weltrangliste nur wenige Plätze. Das
Star-Ensemble dürfte eigentlich nicht mit 0:8 verlieren.
Wie erklärt sich das scheinbar Unerklärliche? Zwei Faktoren sind auffällig:
zum einen der physische Unterschied. Mit England und Deutschland sind es
zwei sehr aggressiv pressende, körperliche Teams, die jeweils zweimal
Gegnerinnen völlig zerlegten. Sehr sichtbar war die Überlegenheit in der
Physis auch bei den Französinnen gegenüber den Italienerinnen. Offenbar ist
der brachiale Angriffsmodus eine Spielweise, mit der viele Teams noch kaum
konfrontiert werden.
Und zweitens scheint es eine taktische Qualitätslücke zu geben. Bei den
Norwegerinnen fielen fast alle Gegentore über die linke Abwehrseite. Immer
wieder ließ sich dasselbe Spiel beobachten: Mittelfeldspielerin Julie
Blakstad ließ Beth Mead viel zu viel Raum, die war durch, zog teils bis zu
drei Verteidigerinnen auf ihre Seite und kreierte damit ein riesiges Loch
in der Mitte, wo problemlos eine Engländerin einnetzen konnte.
Verteidigerin Maria Thorisdottir erlebte derweil einen ganz schwarzen Tag.
Warum Trainer Martin Sjögren überhaupt nicht reagierte und dem Team eine
Halbzeit lang phlegmatisch dabei zusah, wie es nach gleichem Schema
ausgespielt wurde, bleibt völlig rätselhaft. Ähnlich bei Italien, das Kadi
Diani einfach nicht in den Griff bekam und meterweit weg von den
Gegnerinnen blieb. Die Schnelligkeit der französischen
Offensivspielerinnen, die immer wieder durch die Kette stießen, müsste doch
bekannt sein. Die kleinen Teams spielen demütiger und variabler als die
großen, die bei Unerwartetem erstarrten wie das Reh vorm Scheinwerfer. Bei
der Flexibilität der Trainer:innen scheint die Qualitätslücke
tatsächlich noch groß.
Das könnte, falls es so weitergeht, tatsächlich ein Problem fürs Turnier
sein. Sehr viele solcher Spiele verträgt eine EM nicht. Vorerst ist der
Kantersieg Stimmungsmacher, zumindest in England. Die Presse jubelt über
eine historische Nacht. Die fünf Männer (der Sechste guckt Pferderennen)
sind in ihrem Interesse gepackt. Was für ein Spiel! Dass das bei
entschiedener Lage kippen kann, zeigt sich allerdings auch: Zur Halbzeit
wird der Pub noch leerer. Da steht es 6:0. „Ich kann mich gar nicht
erinnern, wann Norwegen die letzte Chance hatte“, sagt der eine verbliebene
Fan zum Wirt. Er meint das als Kompliment.
12 Jul 2022
## LINKS
[1] /Norwegens-EM-Star/!5862625
[2] /England-gewinnt-zum-EM-Auftakt/!5862663
[3] /Leistungsexplosion-der-DFB-Elf/!5863938
## AUTOREN
Alina Schwermer
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