# taz.de -- Verkehrswende in Bremen: Viel Rücksicht aufs Auto | |
> Bremen will bundesweit Vorreiter bei der Mobilitätswende sein. Doch immer | |
> wieder gibt es Verzögerungen. Das zeigt sich auch im Stadtteil Findorff. | |
Bild: Die schmalen Straßen bieten in Bremen-Findorff nicht so richtig Platz f�… | |
Im Bremen soll die Verkehrswende endlich Fahrt aufnehmen. Nachhaltige | |
Mobilität, sozial gerecht gestaltet, das ist ein elementarer Bestandteil | |
des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags. Stück für Stück muss dafür mehr Raum | |
für klimafreundliche Mobilität und Barrierefreiheit entstehen. Im Stadtteil | |
Findorff haben Anwohner:innen dafür in einem deliberativen Prozess | |
Lösungen gesucht – bis Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) in letzter | |
Sekunde die Notbremse gezogen hat. | |
In Findorff, gleich hinter dem Bremer Hauptbahnhof, ist es etwas eng auf | |
dem Gehweg. Wie viele Quartiere in Bremen ist der Stadtteil von schmalen | |
Straßen durchzogen. Autos parken an vielen Stellen aufgesetzt, also halb | |
auf der Fahrbahn, halb [1][auf dem Gehweg]. Hier gibt es zwar weniger Autos | |
pro Kopf als im Bremer Durchschnitt, dennoch ist die Parksituation | |
angespannt. | |
Deswegen hat sich Findorff in Bewegung gesetzt, eine Parkraumuntersuchung | |
anberaumt und einen Betriebsplan erstellt, in dem konkrete Lösungen für die | |
Parksituation benannt werden – inklusive Plänen für Ladesäulen und | |
Parkmöglichkeiten für Fahrräder, erzählt die Anwohnerin Bettina Rabe, die | |
sich im Verein „Klimazone Findorff“ für die Verkehrswende im Stadtteil | |
engagiert. Über den Betriebsplan sollte ursprünglich am Dienstag im | |
Findorffer Beirat verhandelt werden. Ohne Kommentar sei der | |
Tagesordnungspunkt gestrichen worden, so Rabe. | |
## Konflikte in der Koalition | |
Nur wenige Wochen vor der anberaumten Sitzung tauchte ein Positionspapier | |
mit dem Arbeitstitel „Parkfrieden“ auf. Das Dokument stammt aus dem Ressort | |
von Ulrich Mäurer, Bremer Innensenator und selbst Anwohner in Findorff. Die | |
Kritik: Die Ergebnisse aus dem anderen Bremer Modellquartier „Sunrise“ | |
würden zeigen, dass der Verlust von Parkplätzen für einige Autofahrende | |
„sehr belastend“ sei, außerdem würden Radfahrende auf frei gewordenen | |
Fußwegen für neue Gefahren sorgen. | |
Der Lösungsvorschlag: Nur auf sehr schmalen Straßen die Parkplätze | |
einschränken und sonst mindestens 1,5 Meter für Fußverkehr. Auf Bundesebene | |
gelten 2,5 Meter als Regelmaß für barrierefreie Gehwege. | |
Dabei steht im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und Linken konkret: | |
„Die Praxis des aufgesetzten Parkens wollen wir zurückdrängen und dazu das | |
Gespräch mit den Beiräten suchen.“ Dass die Interessen der drei Parteien in | |
der Koalition zu Konflikten führen, ist kein Geheimnis. | |
Schon 2014 wurde für Bremen ein Verkehrsentwicklungsplan erstellt, der über | |
190 konkrete Maßnahmen enthält. Umgesetzt wurde davon bisher nur ein | |
Bruchteil, weiß die Mobilitätsexpertin Annika Fuchs vom BUND Bremen. Eine | |
von der Bremer Bürgerschaft eingesetzte überparteiliche Enquetekommission | |
erarbeitete im vergangenen Jahr ein umfangreiches Konzept, um Bremens | |
CO2-Emissionen zu verringern. Dem Bericht zufolge ist Bremen nicht nur | |
anderen Bundesländern, sondern auch der Bundesregierung an Ehrgeiz | |
überlegen: [2][Klimaneutralität] soll schon 2038 erreicht werden. | |
## Das Auto muss weniger attraktiv werden | |
Die Verantwortung für die Mobilitätswende trägt die Senatorin für | |
Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau, Maike | |
Schaefer (Grüne). Es seien schon einige Weichen für die Verkehrswende | |
gestellt, teilt die Pressestelle der Senatorin auf taz-Anfrage mit: „Ohne | |
den Verkehrsversuch Martinistraße gäbe es jetzt keine Einigung auf zwei | |
Fahrspuren. Das ist ein deutlicher Rückbau für den motorisierten Verkehr | |
und ein wichtiger Zugewinn für Fahrradfahrer und Fußgänger.“ Bremen habe | |
[3][neue Straßenbahnen] gekauft, 77 Millionen Euro in Elektrobusse | |
investiert, Fahrradquartiere, Fahrradpremiumrouten und -brücken gebaut und | |
geplant. | |
„Die größten Hürden sind sicherlich die Angst vieler Menschen vor | |
Veränderung und das Beharrungsvermögen teilweise von Lobbyisten, von Teilen | |
der Opposition, aber auch von Bürgerinitiativen, die den Klimawandel | |
teilweise komplett ignorieren“, so die Pressestelle. Annika Fuchs vom BUND | |
Bremen sieht die Verantwortung für den teils schleppenden Verlauf der | |
Verkehrswende auch bei der Bremer Regierung: „Dadurch, dass die Koalition | |
sich gegenseitig behindert, gibt es teilweise totalen Stillstand in der | |
Verkehrswende.“ | |
Untersuchungen zeigen, dass in Bremen zwar mehr Strecken mit dem Rad | |
zurückgelegt werden als in vergleichbaren Städten, der Öffentliche | |
Personennahverkehr aber mit 16 Prozent der zurückgelegten Wege weniger | |
genutzt wird. Die PKW-Nutzung ist identisch. Mit einem stärkeren Bremer | |
ÖPNV könnte sich das ändern. Dafür müsste aber gleichzeitig das Auto | |
weniger attraktiv werden. | |
Das fordern auch die Anwohner:innen in Findorff. Der Versuch, sieben | |
Jahre demokratische Deliberation auszuhebeln, sei höchst problematisch, | |
schreibt ein Bündnis aus Initiativen in einer Stellungnahme. Der Senator | |
für Inneres und die Mobilitätssenatorin wollen nun Ortsbegehungen | |
veranlassen. Im Anschluss soll dem Beirat Findorff ein gemeinsames Konzept | |
vorgestellt werden. | |
5 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Niklas Berger | |
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