| # taz.de -- Trinkfest im Osten: Wodkadiät mit Vokuhila | |
| > In der DDR kreiste mitunter schon am Mittwochvormittag der Wodka über die | |
| > Schleifmaschinen. War fragwürdig. Trinkfestigkeit war dennoch von | |
| > Vorteil. | |
| Bild: Beim Schnaps gab es keine Lieferkettenprobleme in der DDR | |
| Offiziell hießen sie: Goldbrand, Kristallwodka, Klarer Juwel. Wir nannten | |
| sie: Blauer Würger, Schlüpferstürmer, Rachengold. Das süße Zeug – | |
| Kirsch-Whisky, Eierlikör, Johannisbeerschnaps – bedachten wir mit | |
| liebevollen Abkürzungen: Kiwi, Eili, Schwarze Johanna. In der DDR wurde | |
| gesoffen, was das Zeug hielt, vor allem harte Sachen. Schnaps und Bier | |
| waren beliebter als Wein und Sekt. Das hatte einen schlichten Grund: Bier | |
| war billig, Wein teuer, Schnaps auch, wirkte aber schnell. | |
| Freitagmittag stand in vielen Büros, schwuppdiwupp, der Sekt auf dem Tisch. | |
| Bückware, aber irgendein Chef hatte immer eine Flasche zwischen den | |
| Aktenordnern deponiert. In den Produktionshallen kreiste der Blaue Würger | |
| schon mal an einem gewöhnlichen Mittwochvormittag über die | |
| Schleifmaschinen, wenn die mal wieder still standen. Lieferkettenprobleme – | |
| im Osten auch ohne Pandemie. Und die Junge Welt, wo ich damals arbeitete, | |
| galt republikweit als einzige Kneipe, die eine Zeitung herausgibt. | |
| Aber haben Sie schon mal von der Wodkadiät gehört? Die ging so: Morgens | |
| einen Wodka, mittags auch einen plus eine Bockwurst, abends wieder einen | |
| Wodka. Wer mehr essen wollte, so drei Bockwürste am Tag, musste mehr Wodka | |
| trinken. Mike Werner machte das jedenfalls so. Der war in den 90ern ein | |
| Star bei Hansa Rostock – und hätte damals schon Germanys next Topmodel | |
| werden können: Seinen Vokuhila trug er mit einer Selbstverständlichkeit, | |
| wie sie nur pragmatischen Ossis innewohnt. | |
| Aber zurück zur Wodkadiät. Mike Werner nahm damit innerhalb von sechs | |
| Wochen ungefähr zehn Kilo ab. Für das Ergebnis auf der Waage und seine | |
| Fitness war das positiv, fortan war er „Manndecker“ seines Teams. Auch | |
| langfristige mentale Veränderungen zu Werners Nachteil sind mir nicht | |
| bekannt – auch wenn er heute den FC Pommern Stralsund trainiert. | |
| ## Merkel trank die Männer unter den Tisch | |
| Weight Watchers und Wellnessmagazine würden heute von der Wodkadiät sicher | |
| abraten. Das kann ich verstehen, Trinkfestigkeit ist trotzdem klar von | |
| Vorteil: Wer mithalten kann, behält den Überblick. Angela Merkel weiß das. | |
| Sie soll, so erzählt man sich in der Berliner Republik, so manchen Mann | |
| unter den Tisch gesoffen haben. Am nächsten Tag war sie fit – und 16 Jahre | |
| lang Kanzlerin. So viele Jahre hat sich nur Helmut Kohl an der Staatsspitze | |
| halten können. Und der aß auch noch Saumagen. | |
| Selbst Helmut Schmidt, auch mal kurz Kanzler, hat für seine außenpolitische | |
| Mission einiges gegeben – und mit dem damaligen sowjetischen | |
| Staatsoberhaupt Leonid Breschnew Wodka gekippt. Aus Wassergläsern. Für | |
| Breschnew, der sich – so sagt es die Legende – einen persönlichen Diener | |
| für den Wodkanachschub leistete, eine seiner leichtesten Übungen. Schmidt | |
| gab sich größte Mühe, musste beim dritten Glas aber kapitulieren. | |
| Die Zeiten haben sich geändert, auf dem politischen Parkett läuft es | |
| mittlerweile auch ohne Alkohol. Heute könnte Edmund Stoiber vermutlich | |
| offen zugeben, dass in seinem Bierkrug immer nur Salbeitee schwappte. | |
| Stoiber wollte auch mal Kanzler werden, will er jetzt nicht mehr. Da ginge | |
| schon mal ein Schnaps im Tee. Ich rate zu Rum. | |
| 19 Jun 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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