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# taz.de -- Krankenversorgung in der Ostukraine: OPs hinter Sandsäcken
> Das Krankenhaus Nr. 1 in Kramatorsk arbeitet schon jetzt unter Hochdruck.
> Der russische Vormarsch dürfte die Lage weiter verschlimmern. Ein Besuch.
Bild: Sieht nur geschlossen aus: das Krankenhaus Nr. 1 in Kramatorsk
Kramatorsk taz | Die Kämpfe in der Oblast Donzek werden von Tag zu Tag
stärker. Die russische Armee setzt schwere Artillerie und Raketen ein und
versucht, die Frontlinie weiter ins Innere der Ukraine zu verschieben. Wenn
es dem Aggressor gelingen sollte, die Stadt Sewerodonezk in der Oblast
Luhansk einzunehmen, dann sind die Nachbarstädte Slowjansk und Kramatorsk
das nächste Ziel.
Das ist auch den Einwohnern dieser Städte klar. Die Gasversorgung ist durch
den Dauerbeschuss schon lange unterbrochen. Sie wiederherzustellen, lassen
die Kampfhandlungen nicht zu. Auch Strom und Wasser fallen immer häufiger
aus. Laut Olexander Gornatschenko, Bürgermeister von Kramatorsk, sind von
den früher 210.000 Einwohnern immer noch rund 65.000 Menschen in der Stadt.
Auch im Krankenhaus Nr. 1 in Kramatorsk ist man sich darüber im Klaren,
dass sich die Lage nur verschlimmern wird, wenn die Besatzer nicht weiter
aus der Stadt gedrängt werden können. Täglich werden hier schwer verwundete
Patienten aus dem ganzen Gebiet eingeliefert, die meisten haben
Verletzungen durch Granatsplitter oder Schüsse. Außerdem werden in der
chirurgischen Abteilung weiterhin nicht aufschiebbare Operationen
durchgeführt, die auf „zivile“ Krankheiten zurückzuführen sind. Die Fens…
des Krankenhauses sind mit Sperrholzplatten verrammelt, die an einigen
Stellen noch durch Sandsäcke verstärkt sind.
Als das Krankenhaus vor einigen Jahren neu eröffnet wurde, schon unter
Kriegsbedingungen, war es moderner als so manches Hospital in Kiew. Heute
ist es die erste Anlaufstelle im Umkreis für Menschen mit
Schussverletzungen. Hier werden sie zunächst stabilisiert, um sie dann für
die Reha in friedlichere Gegenden des Landes zu verlegen. Auch weil man die
Betten schnell wieder freimachen muss für neue Patienten, die hier täglich
ankommen.
## Ständige Erschöpfung
Heute ist es verhältnismäßig ruhig im Krankenhaus Nr.1, weil es nach dem
morgendlichen Beschuss keine Opfer gab. In den Gängen sitzen die
„gewöhnlichen“ Patienten, in den Operationssälen werden gerade Operationen
durchgeführt, die nichts mit Schussverletzungen zu tun haben. Aber die
Ärzte und Krankenschwestern wissen, dass sich die Situation von einem
Moment auf den anderen ändern kann – deshalb stehen in der Nähe des
Eingangs immer ein paar Bahren bereit.
Der Chirurg Andrei Sadowski hat gerade eine kurze Pause zwischen den
ständigen Operationen. Die Augen des jungen Arztes sehen müde aus, obwohl
er versichert, dass er sich in den letzten drei Monaten schon daran gewöhnt
habe, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Er sagt, dass sich der
Fachkräftemangel stark bemerkbar mache, obwohl die Mehrzahl der Mediziner
seit Kriegsbeginn in der Stadt geblieben und nicht evakuiert worden sei:
„Wir holen Ärzte und Pflegepersonal aus anderen Abteilungen hierher in die
Chirurgie. An richtig schlimmen Tagen kommen sie sogar aus Nachbarstädten.“
Seit in Kramatorsk ein Militärhospital eröffnet wurde, nimmt die Abteilung
für Notfallchirurgie im Krankenhaus Nr. 1 hauptsächlich zivile Patienten
auf. Hierher kämen vor allem ältere Menschen mit Verletzungen, weil es eben
vor allem Ältere sind, die in der Oblast Donezk geblieben sind, erzählt
Sadowski. „Das sind die, die sich in Kellern und Scheunen in den frontnahen
Ortschaften verstecken. Ich muss ihnen Kugeln und Splitter entfernen,
teilweise sehr große“, so der Arzt.
Weil in der Stadt regelmäßig der Strom ausfällt, wird das Krankenhaus oft
durch Stromgeneratoren versorgt. Die Operationssäle sind trotz des Krieges
noch in der ersten und zweiten Etage. Sadowski erklärt: „Wir haben die
OP-Säle nicht in den Keller verlegt. Und wir hoffen sehr, dass das auch
nicht nötig sein wird. Trotzdem sind in allen unseren Operationssälen die
Fenster zusätzlich durch Sandsäcke geschützt. Um die Druckwellen ein wenig
abzumildern.“
Der schlimmste Tag während der ganzen bisherigen Kriegszeit, so erzählt
Sadowski, war für ihn und seine Kollegen der 8. April. Am Morgen dieses
Tages schlug eine russische Totschka-U-Rakete im [1][Bahnhof von
Kramatorsk] ein, genau zu der Zeit, als eine Evakuierung stattfand und sich
um die 1.000 Leute dort aufhielten. 61 Menschen starben, 121 weitere wurden
verletzt. „Damals kamen auf einen Schlag rund 60 Menschen zu uns. Alle
OP-Tische waren besetzt. Auch viele Kinder waren dabei“, erinnert sich der
Chirurg. Obwohl der Bahnhof nur 3 Kilometer vom Krankenhaus entfernt ist,
schafften es die Rettungswagen nicht, alle Verletzten rechtzeitig
einzuliefern: „Ein kleines Mädchen und ihre Großmutter waren schon tot, als
sie hier ankamen.“
Kinder zu operieren sei emotional besonders belastend, sagt der junge
Chirurg: „Weil man meistens einen Arm oder ein Bein amputieren muss. Diese
Kleinen werden ihr ganzes Leben eine Behinderung haben.“ Er meint, dass er
und seine Kollegen alle Gedanken über das, was sie hier erleben, auf die
Zeit nach dem Krieg verschieben. „Wir müssen jetzt einen kühlen Kopf
bewahren, um überhaupt operieren und Menschen retten zu können. Das ist
unsere Hauptaufgabe. Gefühle würden die Situation jetzt nur verschlimmern“,
sagt der Chirurg ernsthaft.
Andrei Sadowski sieht, dass die Frontverschiebung auf die Stadt zu
bedeutet, dass bald noch mehr Patienten in seine Abteilung kommen.
Gleichzeitig sagt er, dass die möglichen Bombenangriffe ihm keine Sorgen
machten: „Ich habe nur Angst, dass ich es körperlich nicht mehr schaffe,
allen Bedürftigen zu helfen. Menschen können sterben, bevor man es schafft,
sie zu uns zu bringen. Andere könnten an ihren lebensbedrohlichen
Verletzungen sterben. Das ist das Schlimmste.“
Während in Kramatorsk die Ärzte weiterhin täglich das Leben derer retten,
die noch in der Oblast Donezk sind, versuchen die lokalen Behörden und
Freiwillige alles, um so viele Menschen wie möglich aus diesem Gebiet zu
evakuieren. In der Region befinden sich aber immer noch rund 350.000
Menschen, und einige kommen sogar hierher zurück, weil sie keinen Ort
gefunden haben, an dem es für sie sicherer ist.
Aus dem Russischen: Gaby Coldewey
12 Jun 2022
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## AUTOREN
Anastasia Magasowa
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