| # taz.de -- Arbeitnehmerrechte im Onlinehandel: Mehr als eine Front bei Amazon | |
| > Bei Amazon in Wunstorf soll bald ein Betriebsrat gewählt werden. Gegen | |
| > die schlechten Bedingungen bei den Subunternehmern hilft der aber auch | |
| > nicht. | |
| Bild: Hoher Arbeitsdruck: Amazon-Angestellte im Verteilzentrum | |
| Hannover taz | Aus gewerkschaftlicher Sicht ist es ein mühsames und zähes | |
| Unterfangen, gegen den amerikanischen Onlinehändler anzukommen. Amazon ist | |
| bekannt dafür, kein großer Fan der deutschen Mitbestimmung zu sein – | |
| [1][und auch nicht von Gewerkschaften anderswo.] | |
| „Natürlich ist das schwer, dort Leute zu mobilisieren, die Fluktuation ist | |
| hoch, die Sprachbarrieren oft auch“, bestätigt Nonni Morisse von Ver.di auf | |
| taz-Anfrage. Befristete Verträge und Leiharbeit setzen die Kollegen | |
| zusätzlich unter Druck. | |
| Der Gewerkschaftssekretär aus Bremen steht zusammen mit der Beratungsstelle | |
| „Faire Mobilität“ immer wieder vor den Toren des Versandriesen, drückt den | |
| Fahrern Flyer in die Hand, versucht über Rechte und Hilfsangebote | |
| aufzuklären. | |
| Im niedersächsischen Wunstorf haben sie damit jetzt zumindest einen kleinen | |
| Teilerfolg errungen: „Wir haben ein paar sehr engagierte und sehr fitte | |
| Kollegen gefunden, die jetzt die Wahl eines Betriebsrates eingeleitet | |
| haben.“ Im Wahlvorstand seien die Vertreter aus verschiedenen Communitys | |
| vertreten, die viel Übersetzungs- und Überzeugungsarbeit geleistet hätten, | |
| sagt Morisse. | |
| ## Erster Betriebsrat in einem regionalen Verteilzentrum | |
| Amazon reagiert darauf wie fast immer: Mit eigenen Wahlvorschlägen, einer | |
| Liste von Leuten, die aus dem Management kommen oder dem Management | |
| nahestehen. Am 28. Juni wird sich herausstellen, welche Liste mehr Stimmen | |
| auf sich vereinen kann. | |
| Der neue Betriebsrat wäre dann der erste in einem dieser kleinen, | |
| regionalen Verteilzentren, wo die Pakete umgeladen werden auf die | |
| Auslieferungsfahrzeuge, die sie zum Kunden bringen. Bisher gibt es | |
| Betriebsräte – wenn überhaupt – [2][nur in den großen Logistikzentren, d… | |
| auch schon bestreikt wurden.] | |
| In Wunstorf arbeiten 150 bis 200 Leute zwischen den riesigen Regalen und | |
| Gitterboxen in der 25.000 Quadratmeter großen Halle im Gewerbegebiet nahe | |
| der A2. Ihre Probleme sind die, mit denen Amazon immer mal wieder negative | |
| Schlagzeilen macht: der hohe Arbeitsdruck, die enge Taktung, die nahezu | |
| lückenlose Überwachung jedes Handgriffs. | |
| ## Den Fahrern geht es noch schlechter | |
| Noch schlechter geht es allerdings häufig den Fahrern, die nicht bei Amazon | |
| direkt angestellt sind, sondern über Subunternehmer. Erst im Mai standen in | |
| Wunstorf mal wieder verzweifelte Fahrer – zum größten Teil syrischer, | |
| afghanischer und osteuropäischer Herkunft – vor dem Amazon-Verteilzentrum | |
| und protestierten. Sie hatten seit zwei Monaten keinen Lohn bekommen. | |
| Die Redaktion der [3][NDR-Fernsehsendung „Panorama 3“ zeigte in einem | |
| Beitrag gerade], wie ein bestimmtes Subunternehmen, KPS Kleinpaketservice | |
| GmbH, die Fahrer mit kaum zu erfüllenden Vorgaben schikaniert und | |
| offensichtlich um Teile ihres Lohnes betrügt. | |
| Amazon verweist in solchen Fällen gern darauf, dass die Subunternehmen ja | |
| auf bestimmte Standards verpflichtet würden. Die umfassen auch mehr als den | |
| Mindestlohn. Für Beschwerden über Verstöße habe man eine eigene Hotline | |
| eingerichtet, über die sich die Fahrer auch anonym beschweren könnten. Mit | |
| dem in dem „Panorama“-Beitrag genannten Subunternehmer arbeite man | |
| mittlerweile auch nicht mehr zusammen, teilte die Pressestelle mit. | |
| In der Realität, sagt Morisse, laufe es häufig so, dass die Subunternehmen | |
| schlicht verschwinden, wenn es zu viel Ärger gibt. Dann melden sie eben | |
| Insolvenz an und werden kurze Zeit später unter einem anderen Namen neu | |
| gegründet. Mit den Mitteln der betrieblichen Organisation sei dem nicht | |
| beizukommen. | |
| ## Verdi wünscht sich politische Lösung – und Verbote | |
| Ver.di unterstütze die Kollegen mit individueller Beratung dabei, an ihr | |
| Geld und ihr Recht zu kommen, sagt Morisse. Aber im Grunde müsste das | |
| Problem eben politisch gelöst werden. Die Gewerkschaften wünschen sich, | |
| dass hier, [4][ähnlich wie in der Fleischindustrie, Werkverträge und damit | |
| das Outsourcen] der Arbeitgeberverantwortung in Subunternehmen verboten | |
| werden. | |
| Im Sommer 2020 hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Gunst der | |
| Stunde genutzt und nach Masseninfektionen in Schlachthöfen die | |
| entsprechende Regelung im Eiltempo durchgedrückt. Allerdings gilt sie nur | |
| für das Kerngeschäft der Schlachtung und Zerlegung – nicht für die gesamte | |
| Produktionskette. | |
| Wie wirksam die Neuregelung war, dürfte sich auch erst mit einigem | |
| zeitlichen Abstand zeigen: Jedenfalls zögern die meisten Branchenexperten | |
| noch mit einer abschließenden Bewertung. Damals kündigte Heil an, eine | |
| Übertragung auf andere Problembranchen prüfen zu wollen. Damit beschäftigt | |
| sich sein Haus nun immer noch. | |
| 25 Jun 2022 | |
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| [1] /Versandriese-gegen-Arbeiter-in-den-USA/!5848672 | |
| [2] /Aufruf-von-Verdi/!5851743 | |
| [3] https://www.ardmediathek.de/video/panorama-3/miese-arbeitsbedingungen-bei-s… | |
| [4] /Missstaende-in-Fleischwirtschaft/!5699434 | |
| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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