# taz.de -- Oberbürgermeister-Wahl in Dresden: Wer setzt sich durch? | |
> In Dresden wollen Grüne, Linke und SPD den amtierenden | |
> FDP-Oberbürgermeister Dirk Hilbert ablösen. Die Chancen dafür stehen | |
> nicht schlecht. | |
Bild: Wer wird Dresden regieren? Der wilde Schnittlauch am Elbufer verrät es n… | |
DRESDEN taz | Die Dresdner Oberbürgermeisterwahl ist ein Ereignis, das über | |
die Grenzen Sachsens hinweg spannend ist. Nicht nur, weil sich an ihr | |
ablesen lassen wird, wie weit der Niedergang der AfD inzwischen auch im | |
Osten Deutschlands vorangeschritten ist. Sondern auch, weil es sein könnte, | |
dass in der nach Leipzig zweitgrößten Stadt Ostdeutschlands zum ersten Mal | |
seit dreißig Jahren ein:e Mitte-links-Kandidat:in Stadtoberhaupt wird – | |
seit der Wende wurde Dresden ausschließlich von CDU- und | |
FDP-Politiker:innen regiert. | |
Nach dem desaströsen Ergebnis bei der vergangenen Oberbürgermeisterwahl | |
2015 schickt die einst in Dresden so erfolgreiche CDU diesmal jedoch erst | |
gar kein:e Kandidat:in ins Rennen. Bei jener OB-Wahl kam CDU-Kandidat | |
Markus Ulbig, Sachsens damaliger Innenminister, gerade mal auf 15 Prozent. | |
Auch bei der Stadtratswahl 2019 büßte die Dresdner CDU deutlich an Stimmen | |
ein. | |
Der Verzicht auf eine eigene Kandidatur habe laut CDU-Kreischef Markus | |
Reichel jedoch nichts mit einem Mangel an konkurrenzfähigen | |
Kandidat:innen zu tun. „Es ist besser, einen in der Bevölkerung | |
anerkannten OB zu stützen, als ihn durch eine eigene Kandidatur zu | |
schwächen“, sagte Reichel im März. | |
## Sieben Jahre Hilbert | |
Der amtierende Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) jedoch, der als | |
überparteilicher Kandidat für den Verein „Unabhängige Bürger für Dresden… | |
zur Wiederwahl antritt und von FDP und CDU unterstützt wird, hat im Laufe | |
seiner siebenjährigen Amtszeit an Anerkennung eingebüßt. | |
Zwar sind seit seinem Amtsantritt mehr als 25.000 neue | |
sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden, hat sich die | |
Arbeitslosenquote um zwei Prozent auf 5,4 Prozent verringert und haben sich | |
die Gewerbesteuereinnahmen um 170 Millionen Euro erhöht. Auch die vor knapp | |
einem Jahr eröffnete Halbleiterfabrik von Bosch im Norden Dresdens zählt zu | |
den Erfolgen des OBs, der unter anderem die Wirtschaft voranbringen wollte. | |
Allerdings ist es dem 50 Jahre alten Wirtschaftsingenieur nicht gelungen, | |
die großen Probleme der sächsischen Landeshauptstadt zu lösen: Dresden | |
hängt sowohl beim Radwegeausbau als auch beim Klimaschutz deutlich | |
hinterher. Die Kaltmieten sind stetig gestiegen, die Zahl der | |
armutsgefährdeten Menschen hat sich um 10.000 auf 78.700 erhöht und auch | |
die gesellschaftliche Spaltung ist eher größer als kleiner geworden. | |
## Zögerlich während Corona | |
Hinzu kommen Hilberts zögerliches Handeln während der Coronapandemie, für | |
das er zum Teil heftig kritisiert wurde, sowie die Patzer bei seiner | |
Nominierung durch den Verein „Unabhängige Bürger für Dresden“. Bei Hilbe… | |
Aufstellung hatten zwei Vereinsmitglieder mitgewirkt, die dazu nicht | |
berechtigt gewesen waren, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht in Dresden | |
wohnten. Eine der beiden Personen hatte zudem eidesstattlich erklärt, dass | |
die Wahlversammlung korrekt ablief – wozu sie in diesem Fall ebenfalls | |
nicht befugt war. | |
Sieben OB-Kandidat:innen reichten daraufhin Beschwerden bei der | |
Landesdirektion Sachsen ein. Die Aufsichtsbehörde entschied zwar im April, | |
dass Hilbert trotz der Formfehler an der Wahl teilnehmen darf. Dennoch hat | |
das Hin und Her um seine Wahlzulassung Hilberts Image geschadet. | |
Gute Chancen also für die Mitte-links-Parteien, sich gegen den Amtsinhaber | |
durchzusetzen. Anders als 2015 schicken Linke, Grüne und SPD diesmal | |
keine:n gemeinsame:n Kandidat:in ins Rennen, sondern stellen jeweils | |
eigene Kandidat:innen auf. Erst im zweiten Wahlgang am 10. Juli wollen | |
sich die Parteien zusammentun und die Person unterstützen, die im ersten | |
Wahlgang die meisten Stimmen geholt hat. | |
## Die Ziele der Kandidat:innen | |
Für die SPD tritt der Innenpolitiker und Landtagsabgeordnete Albrecht | |
Pallas an. Der 42-Jährige ist in Dresden geboren und hat vor seinem | |
Einstieg in die Berufspolitik als Polizist gearbeitet. Er will sich um die | |
Alltagsprobleme der Dresdner:innen kümmern: bezahlbare Mieten, ein | |
sauberes Wohnumfeld, einen nachhaltigen und effizienten Verkehr, sichere | |
Jobs mit guten Löhnen, gut ausgestattete Schulen und Kitas, genügend | |
Freiräume für junge Menschen. | |
„Dresden ist ein starker Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort und eine | |
sehr schöne Stadt, aber Dresden droht zurückzufallen“, sagte Pallas bei | |
einer Podiumsdiskussion am Montagabend in Dresden. „Unser Land und auch | |
unsere Stadt stehen vor der größten Modernisierung von Industrie und | |
Wirtschaft seit 1990.“ | |
Bis spätestens 2045 solle Deutschland – und damit auch Dresden – | |
klimaneutral sein. Um das zu erreichen, müssten Entscheidungen getroffen | |
und konkrete Ziele gesetzt werden, sagte der Sozialdemokrat. „Ich erlebe | |
Dresden in den letzten sieben Jahren aber anders.“ | |
## Streit und Verzögerungen | |
Der amtierende Stadtchef Hilbert habe sich auf den Erfolgen der | |
Vergangenheit ausgeruht und sich häufig vor Entscheidungen gedrückt, was zu | |
Streitereien und Verzögerungen bei wichtigen Infrastrukturprojekten geführt | |
habe. Als Beispiel nannte Pallas das 2015 beschlossene Radverkehrskonzept, | |
das bis 2025 realisiert werden soll, bisher aber erst zu 17 Prozent | |
umgesetzt wurde. Hilbert gehe die Zukunftsfragen zu kompliziert und | |
langwierig an. | |
Dieser Ansicht ist auch Linken-Kandidat André Schollbach, der Hilbert „eine | |
gewisse Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit“ zuschreibt. Schollbach, 43, | |
ist seit 2007 Linken-Fraktionsvorsitzender im Dresdner Stadtrat und | |
arbeitet als Rechtsanwalt. Sein Ziel ist es, Dresden gerechter zu machen. | |
Eines der großen Probleme der Stadt seien die steigenden Mieten. „Ich will | |
dafür sorgen, dass Wohnen in Dresden bezahlbar bleibt – zum Beispiel, indem | |
wir die Mietpreisbremse einführen, den sozialen Wohnungsbau vorantreiben | |
und städtische Grundstücke nicht mehr privatisieren“, sagte der OB-Kandidat | |
bei der Podiumsdiskussion. | |
## Ziel: Nazis raus | |
Darüber hinaus möchte Schollbach die jährlichen Erhöhungen der Ticketpreise | |
für Bus und Bahn beenden und entschlossener gegen Rechtsextremismus | |
vorgehen. „Seit Jahren missbrauchen rechte Hetzer die Straßen und Plätze | |
unserer Stadt. Daher habe ich mir ein großes Ziel gesetzt: Ich möchte | |
Dresden zur unfreundlichsten Stadt für Nazis, Hetzer und alle anderen | |
Feinde der Demokratie machen.“ | |
Die Kandidatin der Grünen ist die gebürtige Dresdnerin Eva Jähnigen. Seit | |
2015 ist sie Beigeordnete für Umwelt und Kommunalwirtschaft in Dresden, | |
kurz: Umweltbürgermeisterin. Davor war sie sechs Jahre Abgeordnete im | |
Sächsischen Landtag und als Rechtsanwältin tätig, vor der Wende hat sie als | |
Werkzeugmacherin und Krankenschwester gearbeitet. | |
Aufgrund einer Corona-Infektion konnte Jähnigen nicht an der | |
Podiumsdiskussion teilnehmen, stattdessen hat sie mit der taz telefoniert. | |
Jähnigen will Rathauschefin werden, weil sie als Umweltbürgermeisterin | |
nicht genug Entscheidungsmacht habe. „Die wenigsten Klimaschutzmaßnahmen | |
werden im Ressort der Umweltbürgermeisterin realisiert“, erklärte sie und | |
nannte als Beispiele den Verkehr, die Baubranche, die Wärme- und | |
Energieversorgung. | |
## Grüne Energie und grüne Mobilität | |
Die Stadtwerke müssten „konsequent“ auf erneuerbare Energien umsteigen, und | |
das könne sie nur als OB durchsetzen. Sie möchte etwa Fotovoltaikanlagen | |
auf Gebäuden und Windräder im Stadtgebiet errichten lassen. Daneben will | |
Jähnigen den Radverkehr stärken. Radwege müssten so gebaut werden, „dass | |
ein zehnjähriges Kind bedenkenlos überall mit dem Rad hinfahren kann“. Null | |
Verkehrstote lautet ihr Ziel. Nicht zuletzt will die Grünen-Politikerin | |
Dresden zu einer „weltoffenen“ Stadt machen und dafür „die vielen Mensch… | |
unterstützen, die sich für Demokratie und gegen Rassismus einsetzen. | |
Würde Jähnigen die Wahl gewinnen, wäre sie das zweite grüne Stadtoberhaupt | |
in Ostdeutschland. Nur Greifswald hat einen grünen Oberbürgermeister. | |
Neben Pallas (SPD), Schollbach (Linke) und Jähnigen (Grüne) tritt noch ein | |
weiterer Mitte-links-Kandidat an: Martin Schulte-Wissermann von der | |
Piratenpartei. Der 51 Jahre alte promovierte Physiker sitzt seit 2014 im | |
Stadtrat und plant ein radikales Umsteuern in der Klima- und | |
Verkehrspolitik. „Ich bin bekannt dafür, dass ich Dinge ausspreche und | |
nicht dumm rumlabere“, sagte Schulte-Wissermann bei der Podiumsdiskussion. | |
## Klimaneutrales Dresden | |
Sein Ziel ist es, Dresden bis 2035 klimaneutral zu machen. „Dafür müssen | |
wir ganz Dresden dekarbonisieren.“ Der Dresdner Energieversorger | |
Sachsen-Energie sei durch den Oberbürgermeister und die Verwaltung bisher | |
„immer daran gehindert worden, hier irgendetwas zu tun“, sagte | |
Schulte-Wissermann. Es brauche Solaranlagen auf „jedem Dach“. Außerdem | |
müsse das Konzept Auto in der Innenstadt nicht nur infrage gestellt, | |
sondern abgeschafft werden. Der Piraten-Politiker fordert eine autofreie | |
Neustadt und Altstadt. | |
Für die AfD kandidiert Maximilian Krah, Vize-Chef der sächsischen AfD und | |
EU-Abgeordneter. Der 45 Jahre alte Jurist, der bis 2016 Mitglied der CDU | |
war, hat engen Kontakt zu russischen Hardlinern und taucht viermal im | |
AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes auf, unter anderem weil er regelmäßig | |
das Wort „Umvolkung“ benutzt und in Bezug auf die Fluchtbewegung 2015 von | |
„orientalischer Landnahme“ sprach. | |
Krahs Ziel ist es, „die Identität Dresdens zu stärken“. Anders als | |
„diejenigen, die zurzeit im Rathaus die Mehrheit haben“, wolle er den | |
„politisch aktiven Bürgern“ zuhören und „nicht zu Gegendemos“ aufrufe… | |
gehöre sich in einer Demokratie nicht, sagte der AfD-Politiker. | |
## Der AfDler wird's wohl nicht | |
Krahs Chancen auf den Posten des Oberbürgermeisters sind extrem gering. | |
Krah wird im zweiten Wahlgang weder mehr Stimmen als der jetzige | |
Rathauschef Hilbert bekommen noch als die Kandidat:in von Grünen, SPD | |
und Linken. Dafür genügt nur ein Blick auf die Sitzverteilung im Stadtrat. | |
Auch Jähnigen, Pallas und Schollbach räumen dem AfD-Politiker keine Chance | |
auf den OB-Posten ein. „Ich sehe kein Szenario, in dem ein AfD-Kandidat | |
siegreich aus der Wahl hervorgehen könnte“, sagte etwa Albrecht Pallas | |
(SPD) der taz. | |
Weitere Kandidaten sind Marcus Fuchs und Sascha Wolff von der Initiative | |
„Querdenken 351“. Fuchs ist Informatiker und Anführer der | |
Querdenken-Bewegung in Dresden, Wolff wurde als Maskenverweigerer im Mai | |
vor Gericht zu einem Bußgeld verurteilt. Beide gelten als komplett | |
chancenlos. | |
Der neunte und jüngste Kandidat ist Sozialarbeiter Jan Pöhnisch, Jahrgang | |
1990. Er tritt für die Satirepartei Die Partei an. Pöhnischs zentrales | |
Thema ist die Digitalisierung. „Es brauche nur einen einzigen Computervirus | |
oder einen Angriff von einem mies gelaunten Hacker und schon würden sich | |
die Maschinen gegen Dresden erheben und versuchen, die Stadt zu | |
versklaven“, sagte der Satire-Politiker dem MDR. Daher wolle er „alle | |
notwendigen Haushaltsmittel dafür einsetzen, eine leistungsfähige | |
elektromagnetische Impulsbombe zu bauen“. | |
## Ausgang offen | |
Wer am Ende die Wahl gewinnen wird, ist schwer vorherzusagen. Geht man von | |
den Ergebnissen bei der letzten Stadtratswahl 2019 aus, könnte man | |
vermuten, dass Grünen-Politikerin Eva Jähnigen das Rennen macht. Bei jener | |
Wahl holten die Grünen die meisten Stimmen, die CDU wurde erstmals seit | |
1990 nicht mehr stärkste Kraft. | |
Bei der Bundestagswahl landeten die Grünen in Dresden mit 16,8 Prozent | |
knapp hinter SPD und AfD auf Platz drei, gewannen dafür aber am meisten | |
Stimmen hinzu. Ihr Ergebnis verbesserte sich um 8, das der SPD um 7,5 und | |
der FDP um 2 Prozentpunkte. AfD, CDU und Linke verloren hingegen an | |
Stimmen. | |
Da die Oberbürgermeisterwahl aber eine Personenwahl ist, lässt sich von | |
vergangenen Wahlen nicht auf die anstehende schließen. Entweder es wird der | |
amtierende Oberbürgermeister Hilbert – oder aber die Kandidat:in von | |
Grünen, SPD und Linken. | |
11 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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