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# taz.de -- Missbrauch in Wermelskirchen: Ein Opfer war einen Monat alt
> Der jüngst aufgedeckte Missbrauchsfall in Wermelskirchen verstört. Die
> EU-Kommission plant im Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern ein
> EU-Zentrum.
Bild: LKA-Mitarbeiterinnen beim Pressetermin zum Start des Hinweistelefons im L…
„Ich bin erschüttert und fassungslos. Ein solches Ausmaß an
menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit ist mir
noch nicht begegnet und so etwas habe ich mir auch nicht vorstellen
können“, sagte der Kölner Polizeipräsident Falk Schnabel, als er am Montag
über einen neuen Fall sexuellen Missbrauchs in Nordrhein-Westfalen
berichtete.
Diese Worte fassen nur knapp zusammen, was fassungslos macht: Ein Mann aus
Wermelskirchen soll mindestens zwölf Kinder, zehn Jungen und zwei Mädchen,
sexuell missbraucht haben. Die Hälfte der Kinder sei nicht älter als drei
Jahre gewesen. Unter den Opfern sollen fünf Säuglinge sein, darunter ein
gerade einmal einen Monat altes Baby, und auch Kinder mit Behinderung.
Der 44-Jährige habe sich, so die Ermittler:innen, als Babysitter
angeboten und war dann mit den Kindern in den Wohnungen der Eltern. Manche
Kinder soll der Mann nur ein oder zwei Mal betreut haben, andere Kinder bis
zu drei Jahre lang in regelmäßigen Abständen. Die Taten sollen sich laut
Ermittlungsbehörden zwischen 2005 und 2019 stattgefunden haben.
Darüber hinaus hat die Polizei gewaltige Datenmengen sichergestellt: etwa
3,5 Millionen Bilder und 1,5 Millionen Videos, insgesamt 32 Terabyte Daten.
Zudem hat der Beschuldigte über seine Taten, seine Opfer und die Neigungen
anderer Täter Buch geführt – um nicht den Überblick zu verlieren, wie es am
Montag hieß.
Den bisherigen Ermittlungen zufolge soll der Tatverdächtige keinem
Pädophilenring angehören. Es soll aber Verbindungen zum sogenannten
Missbrauchsskandal in Münster geben. Im Sommer 2020 wurde bekannt, dass die
mittlerweile zu langen Haftstrafen verurteilten Täter – ein sogenannter
Haupttäter, dessen Mutter und drei Komplizen – zwischen 2018 und 2020 an
Kindern in mindestens 29 Fällen sexuelle Gewalt verübt haben. Der
mutmaßliche Täter aus Wermelskirchen soll dem „Täter aus Münster“ bei
mindestens einer seiner Taten in einem Videochat zugesehen und sogar
„Anweisungen“ zu Missbrauchshandlungen gegeben haben.
## Reihe von Missbrauchsfällen in Nordrhein-Westfalen
Der Wermelskircher Fall reiht sich ein in eine „Serie“ von
Missbrauchsfällen in Nordrhein-Westfalen: [1][Lügde], Bergisch-Gladbach,
[2][Münster.] Aber die Fälle beschränken sich keineswegs auf NRW. Erst am
Montag präsentierte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger
Münch, die aktuellen Zahlen zu sexueller Gewalt an Kindern und
Jugendlichen. Demnach sind in Deutschland im Jahr 2021 mehr als 17.700
Kinder und Jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt geworden, das sind
durchschnittlich 49 Kinder täglich.
[3][Die Zahlen steigen seit Jahren.] Auch weil die Gesellschaft
mittlerweile sensibilisierter gegenüber Gewalt an Kindern ist und
mutmaßliche Taten öfter und schneller angezeigt werden. Zudem verfügt die
Polizei über bessere Ermittlungsmethoden, sowohl technisch als auch
logistisch. Münch schlussfolgert daraus: „Wir werden auch 2022 einen
Anstieg der Fälle haben, weil nur jene Fälle in die Statistik kommen, die
strafrechtlich behandelt wurden. Das bedeutet aber, das viele Taten ein
Jahr zuvor passiert sind. Wir haben noch lange nicht die Spitze erreicht.“
Um Täter schneller und effizienter zu überführen und die ständig größer
werdenden Datenmengen an kinderpornografischem Material im Netz effektiver
auszuwerten, testet Niedersachsen gerade eine Software, die Bildmaterial
sichtet und auswertet, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius
am Dienstagmorgen dem Deutschlandfunk. Durch den Einsatz von Künstlicher
Intelligenz (KI) könnten laut der SPD-Politiker [4][mehrere hundert
Terabyte] im Jahr überprüft werden, bei denen man mit händischer Auswertung
nicht hinterher komme.
## Zahl der Dateien im Netz steigt
Die Zahl der Dateien mit illegalem Inhalt im Netz steigt täglich, sie
werden dupliziert und weiterverbreitet, in der Regel in geschlossenen Chats
oder unter Verwendung besonders geschützter Netzverbindungen.
Ermittler:innen beklagen nicht nur die Größe der Datenmenge, sondern
vor allem die fehlende Vorratsdatenspeicherung. Diese verhindert es, an die
Personen hinter IP-Adressen heranzukommen, die Aufschluss über die
Täter:innen geben.
Viele Hinweise zu Missbrauch und Kinderpornografie im Netz kommen aus den
USA. Bis die Informationen hierzulande angekommen sind und ausgewertet
werden können, vergehen in der Regel mehrere Tage. Verbindungsdaten werden
aber nicht länger als sieben Tage lang gespeichert. In dieser Zeit ist es
den Behörden meist unmöglich, die Fälle aufzudecken.
Die [5][Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus] setzt auf mehr Prävention und
Intervention, eine intensivere Zusammenarbeit auf nationaler und
internationaler Ebene. Darüber hinaus begrüßt sie den Vorschlag der
EU-Kommission für ein EU-Zentrum zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt.
Das Zentrum soll unter anderem die Anbieter von digitalen Diensten in deren
Kampf gegen Missbrauch im Netz zu unterstützen und Präventionshilfen
anzubieten. Konkret heißt das, dass die Anbieter das Missbrauchsrisiko, dem
ihre Dienste ausgesetzt sind, selbstständig überwachen, bewerten und
mindern müssen. Entsprechende Inhalte müssen demnach umgehend gelöscht und
die Fälle gemeldet werden.
31 May 2022
## LINKS
[1] /Missbrauchsfaelle-in-Luegde/!5614996
[2] /Urteil-im-Missbrauchsfall-Muenster/!5780609
[3] /BKA-Statistik-fuer-2020/!5775218
[4] /Ermittlungen-bei-Missbrauchsdarstellung/!5651231
[5] /Sexualisierte-Gewalt-gegen-Kinder/!5855477
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
sexueller Missbrauch
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