# taz.de -- Ungleichbehandlung von Geflüchteten: „Das ist Rassismus“ | |
> Ukrainische Geflüchtete haben viel mehr Rechte als andere Flüchtlinge. | |
> Die feministischen Zentren Berlins fordern ein Ende dieser | |
> Ungleichbehandlung. | |
Bild: Ukraine-Flüchltinge an einer Anlaufstelle am Berliner Hauptbahnhof für … | |
taz: Frau Diallo, Frau Drakos, die feministischen Zentren des Berliner | |
Frauennetzwerks, wovon Sie ein Teil sind, fordern ein Ende der | |
Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus der Ukraine im Unterschied zu | |
solchen aus anderen Ländern. Wie kommen Sie dazu? | |
Niki Drakos: Die feministischen Zentren arbeiten schon lange mit | |
Geflüchteten Frauen*, Familien und Migrant*innen. Wir kennen ihre | |
Bedürfnisse und die Hürden und Widerstände, die ihnen überall begegnen. All | |
das war auf einmal weg, als die Ukrainer*innen kamen. | |
Was meinen Sie konkret? | |
Niki Drakos: Es fing damit an, dass Menschen mit einem ukrainischen Pass | |
ungehindert und sicher einreisen konnten. Die Züge waren umsonst, es wurde | |
abgeholt und empfangen, ohne dass Frontex versucht hat die Menschen | |
abzuhalten. Danach gab es sehr schnell die Zusicherung einer | |
Aufenthaltserlaubnis, es gab Zugang zu Sozialleistungen, zu Arbeit, | |
Anerkennung von Abschlüssen, Zugänge zu allen Bildungsinstitutionen etc. | |
Bei Geflüchteten aus dem so genannten globalen Süden – etwa aus Syrien, | |
Irak, den afrikanischen Ländern – ist es ganz anders: Da gibt es bei allem | |
Widerstände auf Seiten der Behörden – es wird hingehalten, verweigert, | |
erschwert, wo es nur geht. Es ist schmerzvoll zu sehen, welche | |
Unterstützung und persönliche Freiheit möglich wären, wenn es politisch | |
gewollt wäre. | |
Aber ist das nicht verständlich? Die Ukraine ist fast direkter Nachbar von | |
Deutschland, die Ukrainer*innen sind uns einfach näher als Syrer*innen… | |
Niki Drakos: Nein. Das ist absolut nicht legitimierbar. Warum kann oder | |
sollte die eine geflüchtete Person anders behandelt werden als die andere – | |
nur weil sie aus Europa kommt? Die feministischen Zentren haben noch vor | |
kurzem gegen die Streichung der Mittel für die Arbeit mit Geflüchteten mit | |
dem Senat ringen müssen. Für Ukrainer*innen wurden nun Sonderförderpläne | |
aufgestellt. Wir begrüßen dies! Dennoch zeigt sich jetzt, was alles möglich | |
wäre, wenn es politisch gewollt ist. Was wir hier beobachten, ist eine | |
rassistische Ungleichbehandlung. | |
Sie meinen, Ukrainer*innen werden nicht besser behandelt, weil sie | |
Nachbarn sind, sondern weil sie weiß sind? | |
Niki Drakos: Genau. Das wurde und wird uns auch medial so präsentiert. Die | |
Rhetorik lautet: „Da kommen Leute, die sind uns ähnlich, sie gehören | |
vermeintlich auch dem christlichen Kulturkreis an, da kommen zivilisierte | |
Menschen, etc.“. Das ist sozusagen der Gegenentwurf zu den rassistischen | |
Narrativen, die Flucht und Geflüchtete bisher begleitet haben. Diese | |
Ungleichbehandlung steht übrigens auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz | |
des Grundgesetzes und gegen die UN-Menschenrechtskonvention und die | |
UN-Konvention zur Abschaffung rassistischer Diskriminierung. Das ist | |
menschenrechts- und gesetzwidrig, es ist hochgradig illegal. | |
Was ist die Alternative: Sollen wir sagen, alle Menschen, in deren Land | |
gerade Krieg ist, dürfen herkommen? Oder gleich: Grenzen auf für alle? | |
Niki Drakos: Ja, Grenzen sind konstruiert. Geld und Kapital bewegen sich | |
frei, aber Menschen nicht? Ich sage es mal so: Deutschland hat jetzt einen | |
guten Präzedenzfall geschaffen. Bisher hat Deutschland gebremst und | |
abgeschottet, und auf einmal kommen weiße Personen aus der Ukraine und | |
ihnen wird vieles sehr unkompliziert möglich gemacht. Was super ist! Das | |
ist nicht zu kritisieren, im Gegenteil, wir finden das richtig und wichtig! | |
Jetzt kann man sagen: Nach dem Gleichbehandlungsprinzip müssen alle anderen | |
Geflüchteten auch genauso so gut behandelt werden. | |
Frau Diallo, in Ihrem Projekt space2grow beraten und begleiten Sie | |
geflüchtete Frauen aus allen möglichen Ländern. Wie reagieren andere | |
Geflüchtete auf den Umgang mit Ukrainer*innen? | |
Kadiatou Diallo: Für andere Geflüchtete ist diese neue Offenheit sehr | |
erstaunlich. Sie müssen sich diesem ungerechten und teils sehr langatmigen | |
Asylverfahren stellen. Sie wohnen in Gemeinschaftsunterkünften, haben keine | |
Privatsphäre, leben manchmal jahrelang in Angst vor Abschiebung, haben über | |
viele Jahre Kettenduldung, dürfen nicht arbeiten. Jetzt kommen die | |
Ukrainer*innen und dürfen sofort arbeiten! Das ist menschlich und gut. | |
Und wir wünschen uns das für ALLE geflüchteten Menschen. | |
Was, glauben Sie, steckt hinter dieser Ungleichbehandlung? | |
Kadiatou Diallo: Für mich ist das Rassismus. Nehmen Sie das Beispiel | |
Afghanistan: Die Regierungsübernahme durch die Taliban ist ebenfalls noch | |
nicht lange her, und wir haben im Fernsehen gesehen, wie sich die Menschen | |
an Flugzeuge klammerten, um zu überleben. War die Fluchtnot nicht genauso | |
real wie in der Ukraine, aber was wurde für sie getan? Selbst die lokalen | |
afghanischen Kräfte, die mit den europäischen Kräften zusammengearbeitet | |
haben, konnten nur schwer evakuiert werden oder warten noch immer! Das ist | |
wieder eine Ungleichbehandlung. | |
Niki Drakos: Ein weiteres Argument, warum Leistungen für Geflüchtete, egal | |
woher sie kommen, keine Sache von Großzügigkeit und Nettigkeit ist: Wir | |
tragen globale Verantwortung, weil wir kolonial wirtschaften. Es gibt | |
koloniale Strukturen in unserem Wirtschaftssystem, unserem politischen | |
System. Unser ganzer Wohlstand basiert auf der Ausbeutung und Verarmung des | |
globalen Südens. Es geht also auch um die Anerkennung von Fluchtursachen: | |
die ganzen Klima-Auswirkungen, vor denen Menschen fliehen, oder die | |
Vertreibung aus Gebieten, wo irgendwelche Rohstoffe gefördert oder | |
Staudämme gebaut werden sollen. All das ist zutiefst kolonial, immer noch. | |
Und deswegen ist es rassistisch, wenn Menschen aus diesen Ländern, anders | |
behandelt werden als unsere „Nachbarn“. | |
Was fordern Sie konkret? | |
Niki Drakos: Dass diese ganzen Hürden, die für die Ukrainer*innen | |
plötzlich weggefallen sind, für immer abgebaut werden. Alle Geflüchteten | |
sollen diese Rechte und Vorteile haben. | |
Bei der Innenministerkonferenz ab Mittwoch soll es auch um die | |
„Drittstaatler“ gehen, also die Nicht-Ukrainer*innen, die aus der Ukraine | |
geflohen sind. Die sind auch schlechter gestellt als Ukrainer*innen… | |
Kadiatou Diallo: Ja, deren Situation ist wirklich sehr ungerecht. Sie | |
fliehen aus dem gleichen Krieg, vor den gleichen Bomben – müssen aber Angst | |
haben zurückgeschickt zu werden, weil sie meist aus so genannten „sicheren | |
Herkunftsländern“ kommen. Oft haben sie viel auf sich genommen, um in der | |
Ukraine zu studieren, ihre Familien haben sich zum Beispiel verschuldet, um | |
das zu ermöglichen. Jetzt stehen sie mit nichts da. | |
1 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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