# taz.de -- Streiks an Uni-Kliniken in NRW: Gegen den alltäglichen Skandal | |
> Pflegende und Therapeut:innen der sechs Uni-Kliniken in NRW streiken. | |
> Für Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen. | |
Bild: Streik der Klinikmitarbeiter in Düsseldorf | |
ESSEN taz | Im harten Kampf um erträgliche Arbeitsbedingungen an den sechs | |
nordrhein-westfälischen Universitätskliniken scheint die Arbeitgeberseite | |
endlich zu Kompromissen bereit. Nachdem die Klinikleitungen noch am | |
Dienstag mit einem Abbruch der Verhandlungen für einen „Tarifvertrag | |
Entlastung“ gedroht hätten, soll jetzt doch schon am Freitag | |
weiterverhandelt werden, heißt es aus Gewerkschaftskreisen. „Am dritten | |
Verhandlungstag am Mittwoch haben sich die Arbeitgeber endlich bewegt“, war | |
aus der Tarifkommission zu hören. | |
Die nicht erst seit Corona völlig überlasteten nichtärztlichen | |
Beschäftigten der NRW-Unikliniken streiten schon seit Monaten für | |
Arbeitsbedingungen, die sie nicht selbst krank machen. Die Pfleger:innen, | |
Therapeut:innen, Assistent:innen und Servicekräfte fordern nicht mehr | |
Geld, sondern schlicht mehr Personal, um eine angemessene Versorgung der | |
Patient:innen sicherzustellen. | |
Schon im Januar hatten sie der Arbeitgeberseite deshalb ein | |
„100-Tage-Ultimatum“ gestellt. Mitte April rief die Gewerkschaft Verdi dann | |
zu Warnstreiks auf. Und seit Anfang Mai läuft an den Standorten Essen, | |
Bonn, Aachen, Köln, Düsseldorf und Münster ein unbefristeter Streik. Noch | |
am Dienstag hatten in Bonn mehr als 550 Klinikmitarbeiter:innen mit | |
einer Demo zusätzlich Druck gemacht. | |
Für die Klinikleitungen schien ein längerer Arbeitskampf zunächst aber wohl | |
unvorstellbar. Zwar klagen sie wortreich über ausgefallene Behandlungen und | |
nicht besetzte Operationssäle – überhaupt zu Gesprächen bereit waren sie | |
aber erst am 16. Streiktag. | |
## Keine Zeit, um zu trinken | |
„Die Kolleginnen und Kollegen sind entschlossen, so lange zu streiken, bis | |
ein Tarifvertrag Entlastung unterzeichnet ist“, betonte deshalb | |
Gewerkschaftssekretärin Katharina Schwabedissen am Mittwoch im Streikzelt | |
vor dem Haupteingang des Uniklinikums Essen. Schließlich sei durch eine | |
schon vor Beginn des Arbeitskampfs verhandelte Notfallvereinbarung | |
sichergestellt, dass alle notwendigen Operationen und Behandlungen | |
durchgeführt werden können. | |
Allein an den Krankenhäusern in NRW fehlen nach Schätzung der Gewerkschaft | |
rund 20.000 Fachkräfte. „Reine Notwehr“ sei der Streik, erklärte deshalb | |
die Krankenschwester Rita Gottschling unter heftigem Applaus von mehr als | |
100 Kolleg:innen in Essen. Wegen Personalmangels müsse nicht nur auf der | |
Intensivstation des Klinikums, auf der sie Corona-Kranke versorge, in | |
vielen Schichten ohne Pause durchgearbeitet werden. „Unter der | |
schweißtreibenden Schutzkleidung, unter der Haube, unter dem Face-Shield | |
kann man nur schwer atmen“, sagt die 42-Jährige. „Trotzdem bleibt uns oft | |
nicht einmal Zeit, genug zu trinken.“ | |
Für die Umlagerung der [1][Corona-Patient:innen], die an vielen Zu- und | |
Ableitungen hängen und oft künstlich beatmet werden müssen, sei schon seit | |
Jahren einfach zu wenig Personal da, sagt die Intensiv-Krankenschwester: | |
„Niemand von uns streikt gerne“ – doch die Arbeit mache einfach krank. | |
Typische Folgeschäden seien nicht nur Bandscheibenvorfälle, sondern auch | |
Burn-outs und Schlafstörungen durch große psychische Belastung: | |
„Irgendwann“, sagt Gottschling, „liege ich dann im Bett und frage mich: | |
Habe ich alles richtig gemacht? Habe ich etwas vergessen?“ | |
Für die wochenlange Weigerung der Klinikleitung, überhaupt über den | |
„Tarifvertrag Entlastung“ verhandeln zu wollen, hat Gottschling deshalb | |
keinerlei Verständnis: „Eine bodenlose Frechheit ist das“, sagt sie. „Wie | |
ein Schlag mit der Peitsche ins Gesicht.“ | |
## Schon die Auszubildenden wollen weg | |
Dabei ist die Intensivstation, auf der Gottschling arbeitet, kein | |
Einzelfall. Viel zu wenige Kolleg:innen gebe es auch in der Abteilung | |
für zu früh geborene Babys, sagt die Kinderkrankenschwester Paula Adam. Die | |
25-Jährige betreut dort Neugeborene, die an Herz-, Kreislauf- oder | |
Nierenkrankheiten litten, und Babys, die wegen ihrer viel zu frühen Geburt | |
einen künstlichen Darmausgang gelegt bekommen haben. Pro Nacht müsse sie 4 | |
bis 5 dieser kleinen Patient:innen gleichzeitig betreuen – vertretbar | |
seien maximal 3, sagt Adam. „Und für die oft unter Schock stehenden, sich | |
hilflos und überfordert fühlenden Eltern bleibt erst recht keine Zeit.“ | |
Überlastet sind aber nicht nur die Pflegenden. „Trotz Eröffnung eines | |
zweiten Standorts, trotz neuer Wochenendschichten haben wir keine neuen | |
Kolleg:innen bekommen“, klagt auch die Physiotherapeutin Carolin Paland. | |
Selbst für die Betreuung der Auszubildenden fehle Zeit. Nach einer Umfrage | |
der Streikinitiative „Notruf NRW“ erklärten 57 Prozent der Auszubildenden | |
schon im ersten und zweiten Lehrjahr, sie könnten es sich nicht vorstellen, | |
dauerhaft weiter im Krankenhaus zu arbeiten. | |
„Die Streiks sind keine Freizeitbeschäftigung“, betont deshalb auch die | |
Gewerkschaftssekretärin Schwabedissen. „Den Beschäftigten geht es darum, | |
die Patientinnen und Patienten gut versorgen zu können, ohne selbst | |
[2][wegen Überbelastung krank zu werden]“. Das Argument der | |
Klinikleitungen, der Markt für Krankenhausmitarbeiter:innen sei | |
eben leergefegt, lässt die Verdi-Frau nicht gelten: Nach einer Umfrage der | |
Bremer Arbeitnehmerkammer können sich deutschlandweit allein 300.000 aus | |
ihrem Beruf geflohene Pflegekräfte eine Rückkehr vorstellen – wenn die | |
Arbeitsbedingungen deutlich besser wären. | |
Die Arbeitgeber, sagt Schwabedissen deshalb, müssten jetzt endlich | |
„schnell, fair und ernsthaft verhandeln.“ | |
25 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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