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# taz.de -- Arbeitskampf an NRW-Unikliniken: Klatsche für die Arbeitgeber
> Streikaufrufe der Gewerkschaft Verdi am Uniklinikum Bonn bleiben
> zulässig. Das Arbeitsgericht Bonn wies einen Eilantrag der Klinik auf
> Unterlassung ab.
Bild: Mitarbeiter:innen der Uniklinik Bonn bei einer Demonstration am 14.6
Bochum taz | Im Kampf um mehr Personal und erträgliche Arbeitsbedingungen
an den nordrhein-westfälischen Universitätskliniken hat die
Arbeitgeberseite eine heftige Niederlage einstecken müssen.
Das Arbeitsgericht Bonn hat am Dienstag einen Eilantrag zurückgewiesen, mit
dem der Vorstand der Bonner Unikliniken den Streik der nichtärztlichen
Beschäftigten zumindest in der laufenden Woche verbieten lassen wollte.
„Wir haben auf ganzer Linie gewonnen“, erklärte der zuständige
Verdi-Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen am Dienstagnachmittag auf
taz-Nachfrage.
An den sechs nordrhein-westfälischen Klinikstandorten Bonn, Köln, Aachen,
Düsseldorf, Essen und Münster [1][kämpfen Pfleger:innen,
Therapeut:innen wie die Mitarbeiter:innen von Service-,
Reinigungs- und Transportbereichen schon seit dem 4. Mai für einen
Tarifvertrag] Entlastung (TVE).
Dabei fordern sie nicht mehr Geld – sondern schlicht Arbeitsbedingungen,
die sie nicht [2][selbst krank machen und eine menschenwürdige Betreuung]
der Patient:innen sichern sollen. Die Klinik-Vorstände klagen zwar seit
Wochen über ausgefallene Operationen, geschlossene OP-Säle und damit über
tägliche finanzielle Verluste in Millionenhöhe.
Ein erstes, aus Sicht der Beschäftigten „vergiftetes“ Angebot haben sie
aber erst nach 36 Streiktagen am vergangenen Donnerstag vorgelegt. Danach
sollen nur „bettennahe“ Pfleger:innen Unterstützung durch neue
Kolleg:innen erhalten. Keine Entlastung bekommen sollen dagegen
Mitarbeiter:innen etwa in den Notaufnahmen, in den Ambulanzen – und in
Service, Reinigung und Transport erst recht nicht.
Am Montag hatte der Vorstand des Bonner Uniklinikums dann die nächste
Eskalationsstufe gezündet. Der Arbeitskampf sei rechtswidrig und aus
medizinischer Sicht „im Interesse der Patienten nicht mehr vertretbar“,
hieß es zur Begründung des Eilrechtsschutzverfahrens, mit dem die Bonner
Uniklinik ihre Beschäftigten zunächst bis zum 17. Juni zur Arbeit zwingen
wollte.
Entsprechend entsetzt reagierte die Gewerkschaft. Die Arbeitgeberseite lege
„die Axt an das Streikrecht der Beschäftigten“, erklärte die
nordrhein-westfälische Verdi-Landesleiterin Gabriele Schmidt – und falle
damit nicht nur der gerade entstehenden neuen schwarz-grünen
Landesregierung, sondern auch „den demokratischen Parteien im
Landesparlament“ in den Rücken.
## Streik ist ein Notruf
Schließlich hätten sich nicht nur die Abgeordneten von CDU, Grünen, SPD und
FDP für einen TVE ausgesprochen. Mit Nordrhein-Westfalens
CDU-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann habe auch der Bundesvorsitzende des
Arbeitnehmerflügels der Christdemokrat:innen „eigenhändig die Petition
für einen Tarifvertrag Entlastung unterschrieben“, ärgert sich die
Gewerkschaftschefin Schmidt.
Doch vor Gericht kassierte der Bonner Klinikvorstand eine heftige Klatsche:
Sein Antrag auf ein einstweiliges Streikverbot wurde überdeutlich als
unbegründet zurückgewiesen. „Verdi verstößt nicht gegen die
Friedenspflicht“, sagte Gerichtssprecherin Sarah Dempke der taz am Telefon,
„weil die Tarifforderungen der Gewerkschaft nicht Gegenstand eines
laufenden Tarifvertrags sind.“
Auch verstoße der Arbeitskampf für mehr Entlastung durch zusätzliche
Kolleg:innen nicht gegen „bestehende gesetzliche Regelungen, weil diese
nur Mindeststandards darstellen“, erklärte Arbeitsrichterin Dempke –
schließlich dürfe auch für Lohnerhöhungen gestreikt werden, obwohl es eine
gesetzliche Mindestlohnregelung gebe. Auch gegen den „Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit“ verstoße der Streik nicht, denn
„Notfallvereinbarungen“, durch die alle unmittelbar notwendigen
Behandlungen und Operationen sichergestellt sind, würden „eingehalten“, so
Dempke.
Ein verzweifelter [3][„Notruf“ sei der Streik], betonte Sandy
Heikamp-Pommer, Leiterin einer Pflegestation an der Bonner Uniklinik. Denn
ohne TVE dürften noch mehr Mitarbeiter:innen die Unikliniken
ausgebrannt verlassen. „Das kann niemand wollen“, sagt Heikamp-Pommer –
schließlich fehlen allein an den Krankenhäusern in NRW nach Schätzung der
Gewerkschaft schon heute 20.000 Fachkräfte.
## Grundrecht auf Streik gilt auch in Krankenhäusern
Im nächsten Landtagsplenum Ende Juni wollen die Sozialdemokrat:innen
als größte Oppositionsfraktion deshalb Druck auf die designierte
schwarz-grüne Landesregierung machen: CDU und Grüne müssten den sechs
landeseigenen Unikliniken endlich „zusichern, dass das Land die
vollständige Refinanzierung des Tarifvertrags Entlastung sicherstellt“ –
also schlicht mehr Geld für zusätzliche Mitarbeiter:innen herausrückt,
fordert SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat: „Schluss mit dem Gerede,
her mit konkreten Lösungen.“
Verdi-Landesleiterin Schmidt warnte die Arbeitgeber gleichzeitig davor,
weiter auf die Gerichte zu setzen. Besonders der Bonner Klinikvorstand, der
trotz der Klatsche vom Dienstag noch immer in die zweite Instanz gehen
kann, müsse endlich „den Konfrontationskurs gegen die eigenen Beschäftigten
beenden“ und stattdessen mehr Personal für alle Klinikbereiche anbieten,
fordert die Gewerkschaftschefin. „Die Beschäftigten haben keinerlei
Verständnis für juristische Winkelzüge und Einschüchterungsversuche“, sagt
Schmidt. Schließlich habe das Bonner Arbeitsgericht am Dienstag
klargestellt: „Das Grundrecht auf Streik gilt auch in Krankenhäusern.“
14 Jun 2022
## LINKS
[1] /Streiks-an-Uni-Kliniken-in-NRW/!5857236
[2] /Streik-von-Klinik-Beschaeftigten-in-NRW/!5857810
[3] https://notruf-entlastungnrw.de/
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Pflegekräftemangel
Streik
Arbeitskampf
Gesundheitspolitik
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