# taz.de -- Festival in Madrid: Fotoschätze in den Archiven | |
> Das Festival PHotoEspaña in Madrid zeigt erstmals Bilddokumente der | |
> spanischen Revolution von antifaschistischen Fotografinnen. | |
Bild: Die Amsterdamer Kisten: Kati Horna im Bürgerkrieg: Franco-Karikatur 1937… | |
Gleich hinter dem Eingang liegt eine alte Holzkiste in einer Vitrine. In | |
militärischer Schablonenschrift ist der Name „Amsterdam“ erkennbar, | |
mehrmals die Zahl „300“. Daneben hat Kuratorin Almudena Rubio zwei | |
Schachteln platziert, die das Logo von Agfa und der französischen Firma | |
Helias tragen. In solchen Verpackungen nämlich wurden Hunderte Negative aus | |
Glasplatten und Zelluloidfilm aufbewahrt. | |
Zusammen mit Fotoabzügen und schriftlichen Dokumenten wurden sie in 48 | |
Holzkisten gelagert. Fast 80 Jahre lang. Erst 2016 öffnete man sie im | |
Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, um ihren Inhalt | |
zu inventarisieren – und erst dann wurde klar, welcher Schatz unbeachtet | |
darin ruhte. | |
Die Fotos stammen von den beiden antifaschistischen Fotojournalistinnen | |
Margaret Michaelis und Kati Horna, die zwischen 1936 und 1937 in Barcelona, | |
Aragón und Valencia [1][im Spanischen Bürgerkrieg im Auftrag der | |
Anarchisten] gearbeitet haben, um der Propaganda der Nationalisten etwas | |
entgegenzusetzen. | |
## Kriegsalltag fotografiert | |
Sie fotografierten den Alltag der Geflüchteten und der Milizen während | |
dieses Kriegs. Sie dokumentierten ein Camp für Kinder, dessen Schule in | |
einem ehemaligen Palast untergebracht war, und eine Kirche, in der sich | |
eine Schreinerei niedergelassen hatte. Die Bilder wurden in internationalen | |
Zeitschriften, aber auch in Büchern, Fotoalben und als Postkarten | |
veröffentlicht. | |
Doch nach dem Vormarsch der Franco-Truppen packte man sie in Gewehrkisten | |
und schaffte sie weg. Zu groß war die Angst, dass das Material zerstört | |
oder – noch schlimmer – in die Hände der Faschisten fallen könnte. Die | |
Kisten kamen über Stationen in Paris, Harrogate und Oxford schließlich 1947 | |
nach Amsterdam. Erst nach dem Tod von Diktator Francisco Franco 1975 | |
konnten sie geöffnet und gesichtet werden – die Fotografien jedoch hatte | |
man damals nicht weiter beachtet. | |
Dies änderte sich erst 2016 mit der Forschungsarbeit der Kuratorin Almudena | |
Rubio. Ihre erstaunlichen Funde werden derzeit erstmals in Spanien | |
gezeigt. Dass die Ausstellung „The Amsterdam Boxes“ im Rahmen des am | |
Wochenende gestarteten spanischen Fotografiefestivals PHotoEspaña zu sehen | |
ist, kann gleich in mehrfacher Hinsicht als politisches Signal verstanden | |
werden. | |
Denn zum einen geht es um die Opfer des Bürgerkriegs und der | |
Franco-Diktatur, was ein bis heute oft gemiedenes Thema in der spanischen | |
Gesellschaft ist. Es geht aber auch um den unschätzbaren Wert von Archiven, | |
durch die ebenjene noch immer schwer zu behandelnden Kapitel der Geschichte | |
aufgearbeitet und öffentlich diskutiert werden können. Letztlich geht es | |
auch um die [2][bedeutende Rolle von Fotografinnen], deren Arbeit in der | |
Fotografie- und Kunstgeschichte bis heute nicht ausreichend gewürdigt wird. | |
## Tina Modotti und Germaine Krull | |
Daher ist es nur konsequent, dass das Festival mit seinen über 30 | |
Schauplätzen auch zwei weitere Einzelausstellungen politisch motivierten | |
Fotografinnen widmet. Zum einen sind da die Aufnahmen der Fotografin Tina | |
Modotti, die die Mexikanische Revolution mit ihrer avantgardistischen | |
Bildsprache festhielt, zum anderen gibt es mit „Chronicle of an Exile“ eine | |
weitere Neuentdeckung: Die bekannte deutsch-niederländische Fotografin | |
[3][Germaine Krull] befand sich 1941 auf dem Frachter „Capitaine Paul | |
Lemerle“, der von Marseille nach Martinique in die Karibik fuhr. | |
Mit ihr an Bord waren weitere Menschen auf der Flucht vor Vichy-Frankreich | |
und Nazideutschland, darunter auch die Surrealisten André Breton und | |
Wifredo Lam, der Ethnologe Claude Lévi-Strauss, die Schriftstellerin Anna | |
Seghers und der linke Revolutionär Victor Serge. | |
Krulls seltene Aufnahmen dieser länger als einen Monat dauernden Überfahrt | |
unter einfachsten und beengten Verhältnissen wurden erst Jahrzehnte später | |
vom französischen Filmemacher Olivier Assayas im Haus seiner Familie | |
gefunden: Sein Vater Jacques Rémy befand sich ebenfalls auf dem Schiff, | |
freundete sich mit Krull an und hob die Bilder all die Jahre auf. | |
## Überwiegend ältere Fotografien | |
Aufbewahren zieht sich übrigens wie ein roter Faden durch das Festival, | |
denn es ist überwiegend älteres Material, das gezeigt wird. Dies ist | |
insofern ungewöhnlich, als Fotografiefestivals und Biennalen meist darum | |
bemüht sind, möglichst aktuelle Kunst zu präsentieren, die den jetzigen | |
Zustand unserer Welt verhandelt. Häufig führt dies jedoch dazu, dass | |
überall die gleichen Künstler und die gleichen Themen ausgestellt werden, | |
zumindest in der Fotografie. | |
Bei der PHotoEspaña in Madrid schaut man hingegen lieber in die eigenen | |
Sammlungen und Archive der teilnehmenden Institutionen – und kann auch dort | |
viele sehr spannende Entdeckungen machen. | |
Wie etwa in der Retrospektive über den 2021 verstorbenen Pérez Siquier. Der | |
hat die meiste Zeit in seiner andalusischen Heimat Almeria fotografiert und | |
kann als einer der Fotopioniere Spaniens bezeichnet werden. Überraschend | |
früh fotografierte er in Farbe. Und tat dies mit sehr viel Sinn für Humor, | |
wie vor allem seine Strandfotos aus den 1970er Jahren bezeugen. | |
Als der britische Fotograf Martin Parr, der für seine knallbunten und | |
mitunter bitterbösen Fotos bekannt ist, Siquiers Bilder das erste Mal sah, | |
dachte er, der Spanier habe seinen Stil schlicht kopiert – bis Parr | |
feststellen musste, dass die Fotos von Siquier zehn Jahre vor seinen | |
eigenen entstanden sind. Der Brite fotografierte vor allem in den 1980er | |
und 1990er Jahren. | |
## Dokumente ihrer Zeit | |
Auch Siquiers Serie „La Mancha“ ist ein fotografischer Schatz und eine | |
Reise in eine ungewöhnliche Welt: Zwischen 1957 und 1965 besuchte er ein | |
Stadtviertel in Almeria, in dem die Unterschicht teilweise in einfachen | |
Häusern wohnte, die um Höhlen gebaut waren. Siquier wollte im Sinne einer | |
humanistischen Fotografie auf die Lebenssituation der Menschen aufmerksam | |
machen, die trotz der schon archaischen Umstände in Würde lebten. Doch | |
seine Bilder verstand die Öffentlichkeit eher als Denunziation. | |
Dass manchmal erst Zeit verstreichen muss, bis der wahre Wert von | |
Fotografien als Dokumente ihrer Zeit erkannt wird, dafür sind Siquiers | |
Bilder eines von vielen guten Beispielen auf dieser PHotoEspaña. | |
17 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Damian Zimmermann | |
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