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# taz.de -- Enteignungskommission hört Expert*innen: Die Diskussion ist eröff…
> Die Enteignungskommission hat die Arbeit aufgenommen. Gleich auf der
> ersten Sitzung wird klar, wie dringlich es neue Wege für den Mietenmarkt
> braucht.
Bild: Viele Menschen und Gespenster in Berlin sind für die Enteignung großer …
Berlin taz | Rouzbeh Taheri von der [1][Initiative Deutsche Wohnen und Co.
Enteignen] brach es auf einfache Sprache herunter – nach vier
Experten-Vorträgen mit Immobilienfachvokabular, Zahlenwirrwarr und
alternativen Deutungen zur Berliner Wohnungsnot. „Es ist ganz einfach: Wir
wollen mehr Wohnungsbestände im Besitz des Landes, damit die soziale
Wohnraumversorgung gewährleistet wird“, sagte der Sprecher der Initiative
Deutsche Wohnen und Co. enteignen bei [2][der ersten öffentlichen Anhörung
der Enteignungskommission am Donnerstag.]
Es gehe darum, ob man über das Grundbedürfnis Wohnen demokratisch bestimmen
dürfte im Sinne von Artikel 15 des Grundgesetzes, wie es [3][„fast 60
Prozent der Berliner“ im Volksentscheid] zur Vergesellschaftung privater
Wohnungskonzerne entschieden hätten, sagte Taheri: „Jeder Tag, an dem wir
diskutieren, ob hier in Berlin nur Teile des Grundgesetzes gelten, bedeutet
mehr Verdrängung.“ Man müsse die soziale Wohnraumversorgung ernst nehmen
wie auch den Willen der Berliner Bevölkerung, sagte er.
Am Ende seines 20-minütigen Impulsvortrags bei der Enteignungskommission,
welche die Umsetzung des Volksbegehrens prüfen soll, überreichten Berliner
Mieter*innen eine zum Ringbuch gebundene Darstellung mit dem Titel „Wie
Enteignung gelingt“.
Die Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin (SPD) bedankte sich für den Service
und führte bestimmt durch die Anhörung, die in konzentrierter und
freundlicher Atmosphäre stattfand – trotz des Streits im Vorfeld um den
genauen Auftrag und Rahmen der Enteignungskommission. Allerdings sagte sie
vor Beginn der Anhörung – klar auf den Krach bis hinein in den Senat
gemünzt: „Der Senat erwartet nicht Politik von uns, sondern Antworten auf
soziale, juristische und ökonomische Fragen.“
Hintergrund des [4][Streits um den Einsetzungsauftrag der Kommission] war,
dass Däubler-Gmelin zuvor entgegen der Senatsverabredungen durchgesetzt
hatte, dass das Gremium nicht immer öffentlich tagen würde und sie selbst
ebenfalls ein zuvor nicht vereinbartes Stimmrecht erhalten würde – womit
das Gleichgewicht in dem Gremium aus den Fugen geriet.
## Ringen der Fachleute
Ansonsten hielten sich die Expert*innen der Kommission zunächst zurück
und folgten dem Ringen der Fachleute aus verschiedenen Bereichen um
Deutungshoheit auf die Wohnungsnot in Berlin. Harald Simons vom
wirtschaftsnahen Institut Empirica AG etwa erklärte anwesenden
Mieter*innen mit Zahlen von 2014 bis 2018, dass die Mietbelastungsquote
aktuell sinke – verschwieg dabei allerdings Inflation und derzeitige starke
Steigerungen der Lebenserhaltungskosten.
Weitere Punkte Simons waren, dass die Bevölkerung Berlins nicht weiter
wachse, es also eine Trendumkehr zu Urbanisierung gebe (wer soll auch in
Berlin noch eine Wohnung finden?) und zudem der Neubau dazu führen würde,
den Markt zu entspannen. Tenor: Alles halb so wild, Berlin sei doch immer
noch billiger als München und die Mieten waren zudem 2005 noch auf
Dorfniveau. Das Problem werde sich bei gleichbleibenden Neubau schon
irgendwie von selbst erledigen, insinuierte Simons. Schließlich sei die
Arbeitslosigkeit ja auch zurückgegangen.
Andrej Holm, einschlägig bekannter Forscher zu Stadtentwicklung von der HU
und ehemaliger Staatssekretär-Kandidat der Linken kam zu einer deutlich
anderen Einschätzung: „Berlin ist Meister aller Klassen, was
Mietsteigerungen angeht.“ Und tatsächlich stiegen nirgendwo die
Angebotsmieten so exorbitant wie in Berlin, wie er klarmachte. Daher ist es
laut Holm naheliegend, dass die Stadtgesellschaft nach dem gescheiterten
Mietendeckel auf der Suche nach neuen Instrumenten sei.
Holm führte danach aus, dass es keineswegs nur um Angebot und Nachfrage
gehe, sondern Mietsteigerungen auch trotz gestiegenen Neubauzahlen
anhielten. Es brauche daneben Regulationsmaßnahmen, um eine soziale
Wohnraumversorgung zu gewährleisten. Bereits jetzt überschritten 48 Prozent
von Berlins Mieter*innen die Leistbarkeitsgrenze von einem Drittel des
Einkommens. Über eine halbe Millionen Haushalte zahlten nach diesen
gängigen Maßstäben zu hohe Mieten.
Eindrücklich war Holms Übersicht von Immoscout-Angeboten mit Blick auf
Hartz-IV-Bezieher: „Wer mit Restriktionen des Jobcenters eine Wohnung
finden will, hat immer weniger Möglichkeiten, fündig zu werden“ – gab es
2014 noch 60.000 solcher niedrigpreisiger Angebote, gab es zuletzt nur noch
4.000, so Holm.
Rainer Wild vom Mieterverein ergänzte weitere Gruselzahlen zum kaputten
Wohnungsmarkt: Auf jede Wohnungsanzeige gebe es im Schnitt Bewerbungen von
150 Haushalten. Es sei am Bedarf vorbei gebaut worden, weil deutlich zu
wenige Sozialwohnungen gebaut würden. Die Lage sei prekär: Kaum jemand in
der Stadt könne ohne viel Geld eine bezahlbare Wohnung finden. Zudem sei
nach dem gekippten Mietendeckel angesichts der FDP keine Hilfe von der
Ampel-Koalition Bund zu erwarten. Man brauche eigene Wege, um den Bedarf an
günstigen Wohnungen zu decken, so Wild.
Das Problem sei Finanzialisierung der Wohnungsmärkte durch große
Unternehmen, die im Fokus der Enteignungsinitaitive stünden. Die
Wertpapierhandel mit Immobilien betrieben, Rentenfonds aus aller Welt, die
auf Immobilien spekulierten und ihre Renditen aus Neuköllner
Mietverhältnissen bezahlten, so Wild drastisch: „Von einem Euro Miete an
Vonovia, gehen 45 Cent in die Dividende.“ Die Zahl mache sehr deutlich,
dass eine ordentliche und sozialverträgliche Bewirtschaftung sich damit
kaum vertragen.
Taheri von DW Enteignen führte wenig später aus, was diese Dividende in der
Praxis neben steigenden Preisen und Verdrängung bedeutet – nämlich keine
Instandhaltung bei gleichzeitig hohen Investitionen in auf die Mieten
umlagefähige Modernisierungen: „In bestimmten Siedlungen fallen jedes Jahr
die Heizungen aus, sobald die Temperaturen unter Null Grad fallen.“
9 Jun 2022
## LINKS
[1] /Enteignungskommission/!5856821
[2] https://www.youtube.com/watch?v=T7IjNfXdQEo
[3] /Enteignungsvolksentscheid-in-Berlin/!5803784
[4] /Streit-um-Expertinnenkommission/!5855512
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
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