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# taz.de -- Übergriffe in Geflüchtetenunterkunft: Sexuelle Gewalt und „Dön…
> In der Geflüchtetenunterkunft Ehra-Lessien bei Gifhorn soll es zu
> Übergriffen gekommen sein. Der Landrat muss sich unangenehme Fragen
> gefallen lassen.
Bild: Das Camp Ehra-Lessien liegt mitten im Wald, zur nächsten Bushaltestelle …
Hannover taz | Es sind fiese Szenen, die ein Beitrag des NDR-Magazins
„Panorama“ da nachgezeichnet hat: Anonymisiert schildern mehrere Frauen,
wie sie in der Geflüchtetenunterkunft Ehra-Lessien belästigt, begrapscht
und bedroht werden. Regelmäßig, fast jeden Tag. Mit [1][bedrohlichen
Schwarz-Weiß-Zeichnungen werden die geschilderten Szenen] für die Zuschauer
nachgestellt.
Der Vorwurf: In der Sammelunterkunft des Landkreises Gifhorn wird
weggeschaut, es gibt keinen Schutz für Frauen, Kinder und andere vulnerable
Gruppen. Ausgestrahlt wurde dieser Beitrag schon vor zwei Wochen. Für
Unruhe sorgt er noch immer.
Für politischen Wirbel sorgte dabei zunächst ein Randaspekt: die
ungeschickten Formulierungen des amtierenden SPD-Landrates Tobias Heilmann.
Die Kritik entzündet sich vor allem an einer Szene. „Haben Sie einen
Überblick, zu wie vielen Übergriffen es da so kommt?“, will die
NDR-Reporterin wissen.
Antwort des Landrates: „Jetzt müssen wir unterscheiden. Was sind
Übergriffe? Also, wenn wir allein reisende Männer haben? Wenn man, wenn ich
das sage, ich von mir selber, wenn man mich mal länger mit Männern zusammen
in einer Unterkunft unterbringt, dann kommen wir auch auf Döneken.“
## Die Unterkunft wird schon lange kritisiert
Sexuelle Gewalt als „Döneken“ zu bagatellisieren kam nun bei keiner
Fraktion gut an. Ein Sturm der Entrüstung tobte durch die lokalen Zeitungen
– Heilmann entschuldigte sich für die Formulierung, rechtfertigte sich aber
gleichzeitig damit, der Beitrag sei unglücklich geschnitten worden.
Das wiederum mag die Panorama-Redaktion nicht auf sich sitzen lassen:
[2][Eine Woche nach dem Ursprungsbeitrag veröffentlicht sie das
ungeschnittene Interview] mit dem Landrat auf der Webseite. Und auch darin
macht Heilmann keine viel bessere Figur.
Gleichzeitig meldet sich [3][in den Wolfsburger Nachrichten eine der
ehrenamtlichen Geflüchtetenhelferinnen zu Wort] und erklärt, sie halte den
NDR-Beitrag für übertrieben und erlebe die Unterkunft selbst ganz anders.
Ein Teil des Problems scheint zu sein, dass sich hier verschiedene
Kritikpunkte vermischen: Da ist zum einen die Kritik an der Unterkunft
selbst – und zum anderen [4][die Forderung des Flüchtlingsrates nach
besseren Gewaltschutzkonzepten], die längst nicht nur für diese Unterkunft
gilt.
## Beschwerden wurden ignoriert
Kritik an der Unterkunft [5][Ehra-Lessien gibt es schon lange] und immer
wieder. Es handelt sich um einen alten Truppenübungsplatz mitten im Wald.
Rundherum ist nichts, bis zur nächsten Bushaltestelle läuft man 30 Minuten.
Das, findet vor allem der Flüchtlingsrat Niedersachsen, geht auf die Dauer
so nicht. „Auch wenn es da ein tolles ehrenamtliches Engagement gibt, das
wir grundsätzlich sehr wertschätzen, ist Integration so einfach nicht
möglich“, sagt Laura Müller vom Flüchtlingsrat.
Aktuell wohnen dort rund 450 Personen, etwas mehr als die Hälfte sind
Geflüchtete aus der Ukraine, der Rest kommt aus verschiedenen afrikanischen
Ländern, dem Nahen Osten und Osteuropa.
Beschwerden, vor allem von Frauen, die sich dort nicht sicher fühlen, gebe
es seit Jahren, sagt der Flüchtlingsrat. Man habe auch mehrfach versucht,
mit dem Landrat (und auch schon seinem CDU-Vorgänger) ins Gespräch zu
kommen, sei aber abgeblitzt. Auf taz-Anfrage verspricht der Landkreis
Besserung: Es werde demnächst ein Gespräch geben, bisher habe man sich vor
allem mit den Ehrenamtlichen vor Ort ausgetauscht.
## Gewaltschutz wird unterschiedlich verstanden
Ein weiterer Teil des Problems scheint allerdings zu sein, dass es
unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was Gewaltschutz ist und was er
leisten könnte. Vorschrift sind Gewaltschutzkonzepte bisher nur in den
Aufnahmeeinrichtungen des Landes, den Kommunen wird empfohlen, sich daran
zu orientieren – verpflichtet sind sie dazu aber nicht.
In dem Fernsehinterview lässt Heilmann immer wieder durchblicken, dass er
so was sowieso eher für eine Formalie hält. Ob man das unbedingt auf Papier
bräuchte, wisse er nicht. Wichtig sei doch, dass das gelebt werde.
Dieses „Gelebt-werden“ scheint sich in Ehra-Lessien allerdings darauf zu
beschränken, allein reisende Männer, Frauen und Familien möglichst in
unterschiedlichen Häuserblöcken unterzubringen und ansonsten darauf zu
setzen, dass die Betroffenen sich schon bei den Mitarbeitern bemerkbar
machen, wenn etwas ist.
Auch im Nachhinein und in seiner Kritik an der Berichterstattung beharren
der Landrat und seine Leute immer wieder darauf, dass ja gar keine
strafrechtlich relevanten Anzeigen vorlägen – abgesehen von einer
versuchten Vergewaltigung.
## Wachschutz häufig ein Teil des Problems
Der Flüchtlingsrat beharrt darauf, dass Gewaltschutz sehr viel früher
ansetzen sollte. Denn natürlich bewegen sich viele der alltäglichen
Belästigungen in einer Grauzone und erfahrungsgemäß ist die Anzeige- und
Beschwerdebereitschaft gering bei Menschen mit einer hohen Sprachbarriere,
die zudem häufig aus Systemen kommen, in denen Polizei und Behörden eher
Probleme machen als Hilfe bieten.
Dazu kommt das Konfliktpotenzial, das durch diese Art von Kasernierung in
Gemeinschaftsunterkünften entsteht – und das enorme Machtgefälle zum
Beispiel zwischen Wachleuten und Bewohnerinnen.
Ein individuelles Gewaltschutzkonzept, so argumentiert der Flüchtlingsrat,
würde zumindest dazu zwingen, eine genaue Bestandsaufnahme zu machen: Wo
sind hier die Angsträume, die Punkte, an denen Frauen regelmäßig an einem
Rudel gelangweilter und unterbeschäftigter Männer vorbei müssen? Wo sind
die Schutzräume, sind Schlafräume, Duschen und Toiletten einzeln
abschließbar?
Auch die wechselnden privaten Betreiber und Sicherheitsdienste könnten so
auf verbindliche Standards und Schulungen ihrer Mitarbeiter festgelegt
werden. Vor allem der Wachschutz ist in vielen Einrichtungen eher ein Teil
des Problems als der Lösung, sagt der Flüchtlingsrat.
Auch in Ehra-Lessien sollen die Mitarbeiter oft einfach in die Zimmer
kommen. Eigentlich sollte das nur in Notfällen geschehen, sagt der Landrat.
Oder zum Durchsetzen der Hausordnung, also wenn es zu Ruhestörung oder
Verstößen gegen das Alkohol- und Rauchverbot auf den Zimmern komme. Das
klingt allerdings eher nach Freibrief.
Im Durchschnitt zweimal in der Woche ist die Polizei auf dem Gelände. Das
macht es schwierig, weiter so zu tun als sei alles in Ordnung in
Ehra-Lessien. Mit den Konsequenzen wird sich der Kreistag noch befassen,
sowohl die CDU als auch die Grünen haben Anträge angekündigt.
9 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Kein-Schutz-fuer-Frauen-in…
[2] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Panorama-3-Beitrag-ueber-F…
[3] https://www.wolfsburger-nachrichten.de/gifhorn/article235453023/TV-Beitrag-…
[4] https://www.nds-fluerat.org/53373/aktuelles/gefluechtete-endlich-vor-gewalt…
[5] /!880963/
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Geflüchtete Frauen
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Schwerpunkt Flucht
Niedersachsen
Gewalt gegen Frauen
Sexualisierte Gewalt
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Flüchtlingsrat
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