Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Hausbesuch: Glaube? Liebe! Und Hoffnung
> Vor 25 Jahren bricht der Priester Ingo Reimer das Zölibat, mit der
> Gemeindereferentin Elisabeth Weyerer. In der Kirche ist kein Platz mehr
> für sie.
Bild: Hausbesuch bei Ingo Reimer und Elisabeth Weyerer-Reimer
Das Zwangskorsett der katholischen Kirche ist eng. Wer sich als Priester
für die Liebe zu einem Partner oder einer Partnerin entscheidet, sich dem
sexuellen Begehren stellt, kann dort kaum Heimat finden.
Draußen: Ratingen liegt am Düsseldorfer Flughafen. Nur das
Triebwerkrauschen landender Flugzeuge stört ab und zu die Ruhe. Seit drei
Jahren wohnen Elisabeth Weyerer-Reimer und ihr Ehemann Ingo hier. An der
Tür ihres Reihenhäuschens zeigt sich, dass sie gläubige Menschen sind. Mit
weißer Kreide auf schwarzes Klebeband gemalt sind die Segnungen der
Sternsinger. Drinnen bellt laut ein Hund.
Drinnen: Es dauert, bis Elisabeth Weyerer-Reimer die Tür öffnen kann. Erst
muss sich der Hund beruhigen. Linus heißt der Mischling, englisch
ausgesprochen als Zeichen seiner Internationalität. Linus kommt aus Ungarn
und wohnt jetzt seit neun Jahren bei der Familie. „Unsere Tochter wollte
ihn unbedingt haben“, sagt Ingo Reimer. „Und jetzt passt er auf uns auf.“
Bereits mehrfach habe er sie vor Einbrecher:innen gewarnt. Aber stur
kann er sein, setzt sich mit dem Rücken zu Herrchen und Frauchen, obwohl er
eigentlich auch auf das Foto soll. „Er hat halt einfach seinen eigenen
Kopf“, sagt Elisabeth Weyerer-Reimer
Zuhause: Wie zu Hause fühlen sich die beiden erst seit Kurzem in ihrer
Ratinger Wohnung. „Wir mussten erst renovieren, hier war vorher alles aus
dunklem Holz“, sagt Weyerer-Reimer. Eine andere Heimat mussten die beiden
verlassen. Elisabeth Weyerer-Reimer und Ingo Reimer entschieden sich einst
aus Glauben für das strenge System der römisch-katholischen Kirche. Doch
fanden sie nicht ihren Platz.
Messdienerin: Als jüngste von vier Geschwistern wurde Elisabeth
Weyerer-Reimer 1962 bei München geboren. Ihre Eltern hatten eine Bäckerei.
„Damals war alles noch strenger, vor allem in Bayern. Ich durfte nicht mal
Ministrantin werden, obwohl ich das unbedingt wollte.“ Sie schaffte es
doch. Aber nicht durch lautes Aufbegehren oder offene Rebellion. Da war ein
Junge in der Gemeinde, für den war es selbstverständlich, dass auch Mädchen
ministrieren dürfen. Er holte sie mit dazu. „Ich wollte das einfach“, sagt
sie, „Mich interessierte immer, was hinter den Türen dieser Institution vor
sich geht.“
Wege zum Glauben: Durch ihre Beziehung zum Priester Ingo Reimer konnte sie
tiefer blicken, als sie das erwartet hatte. Der heute 72-Jährige wollte
nach dem Abitur Mönch werden, ohne sonderlich religiös aufgewachsen zu
sein. „Hätte mein evangelischer Vater das damals noch erlebt, der hätte
sich sicher sehr gewundert“, sagt Reimer. Sein anschließendes
Theologiestudium führte ihn in den Siebzigerjahren für ein Jahr nach
Jerusalem, kurz nach dem Jom-Kippur-Krieg. „Bis heute prägt mich die
Koexistenz der Religionen dort, auch wenn das in jenen Zeiten natürlich
schwierig war. Der Atombunker wurde damals aber schon wieder als
Partykeller genutzt.“ Reimer hat damals gelernt: Es gibt viele Wege für den
Glauben. Zurück in Deutschland wurde er Studentensprecher seiner Fakultät.
„Hier bekam ich es das erste Mal mit Joseph Ratzinger zu tun. Damals wusste
ich nicht, wie er sich noch entwickelt – aber er stellte sich oft auf die
Seite von uns Studenten.“
Pflicht: Diese Unterstützung motivierte ihn auf seinem Weg, Priester zu
werden. Reimer legte [1][das Pflichtzölibat ab]. Die Betonung auf Pflicht
ist ihm wichtig. „Ich kenne auch Menschen, die sich freiwillig für das
Zölibat entschieden haben, das kann funktionieren.“ Für ihn tat es das
nicht. Irgendwann versetzte Ratzinger ihn in die Gemeinde in Bogenhausen,
in der Elisabeth Weyerer als Ministrantin und später als Gemeindereferentin
tätig war. Beide lachen bei dieser Geschichte. „Ich habe Ratzinger noch nie
leiden können. Deshalb freut es mich umso mehr, dass der Papst unsere Ehe
mitgestiftet hat“, sagt sie.
Wasser und Wein: Das Kennenlernen war schwierig, drei Jahre lang mochte sie
den neuen Priester ihrer Gemeinde nicht. „Aber dann gab es einen Moment,
der für Außenstehende eigentlich nicht witzig war. Aber wir bekamen beide
einen Lachflash, direkt am Altar.“ Jemand brachte Wasser und Wein in zwei
Kelchen, weil der Wein aber so trocken war, konnten sie Wasser und Wein
nicht unterscheiden. Ein Witz, der sich nur über dieselben theologischen
Ansichten entfaltet: Den festen Glauben an die Liturgie, also an die
Bedeutung und Symbolkraft der rituellen Form des Gottesdiensts. Das Eis war
gebrochen, nun war klar, dass eine besondere Beziehung zwischen ihnen
herrschte. „Wer in der Gemeinde Augen im Kopf hatte, wusste von uns. Es war
ein offenes Geheimnis“, sagt Reimer.
Rauswurf: Viele Jahre wurde die Beziehung geduldet – bis Elisabeth
Weyerer-Reimer schwanger wurde. Kirchenoffizielle boten an, das Kind und
sie zu finanzieren. Das Paar müsse die Beziehung nur leugnen. „Auch von
denen haben viele uneheliche Kinder. Das war alles so heuchlerisch“, sagt
sie. Ingo Reimer ging durch die kirchlichen Instanzen, argumentierte bis
nach Rom für eine Abschaffung des Zölibats. „Theologisch habe ich die
auseinandergenommen. Aber es geht ja bei der römisch-katholischen Kirche
nicht mehr um den Glauben, sondern um den Erhalt eines Systems.“ Seine
Einwände wurden abgelehnt. Weyerer-Reimer verheimlichte nicht, woher das
Kind kam. Ingo Reimer wurde aus der Kirche geworfen. Gehalt, Versicherung,
Rentenanspruch – alles weg. Von christlicher Nächstenliebe keine Spur.
Tiefpunkt: Drei schwierige Jahre begannen für die junge Familie. Es war der
gemeinsame Tiefpunkt ihrer Leben, genau 25 Jahre ist das her. Doch es gab
auch Lichtblicke: In dieser Zeit kamen ihre beiden Kinder auf die Welt. „Es
war hart. Wir waren finanziell am Ende, geringfügig angestellt bei meiner
Familie für die Krankenversicherung“, sagt sie. Doch die beiden wehrten
sich, stießen eine Debatte an. Das Paar war in Talkshows zu Gast, versuchte
durch Öffentlichkeit etwas zu ändern. „Die Mehrheit der Kirchenmitglieder
war damals schon für eine Abschaffung des Zölibats, aber es ist keine
Demokratie. Heute bin ich mir sicher, dass erst einmal alle Männer in
Machtpositionen zurücktreten müssten, damit sich die Kirche bewegt“, sagt
Weyerer-Reimer.
Team: Für die junge Familie ging das Leben weiter. Ingo Reimer wurde
altkatholischer Priester in Essen, eine Glaubensrichtung, in der es kein
Zölibat gibt. Gemeinsam richteten sie das heruntergekommene Pfarrhaus her,
sammelten Geld, um die Kirche zu renovieren. Sie feilten zusammen an
Predigten, er leitete die Gottesdienste, sie machte Kirchenmusik. Die
Kinder wurden älter, heute studieren sie. „Die Tochter macht Philosophie,
der Sohn Garten- und Landschaftsbau. Unsere spirituelle und praktische
Veranlagung zeigt sich also irgendwie auch bei ihnen“, sagt Reimer.
Genugtuung: Obwohl die neue Priesterstelle sehr nach Happy End klingt, ist
Ingo Reimer bis heute wütend. „Tausende Priester mussten wegen des
Zölibatbruchs gehen. Und niemand wird [2][wegen Missbrauch]
rausgeschmissen?“ Er kann es nicht fassen, es regt ihn bis heute auf.
Elisabeth Weyerer-Reimer konnte schneller damit abschließen, fühlt keine
Wut. Ihre Genugtuung hatte sie, als sie im Büro eines Kirchenoffiziellen
saß. Er bot ihr Geld, damit sie wegziehen und über ihre Beziehung
Stillschweigen bewahren sollte. Sie lehnte ab. Der bereits geborene Sohn
saß währenddessen auf dem teuren Teppich mit einem Brötchen in der Hand.
„Wie Kinder halt so sind, hat er das Brötchen ganz aufgeweicht und auf dem
ganzen teuren Teppich verteilt. Das freut mich bis heute.“
Veränderung: Ingo Reimer ist jetzt in Rente. Er liest viel und kümmert sich
um den Garten in Ratingen, wo das Paar Blumen aus dem Pfarrhausgarten in
Essen gepflanzt hat. Ihm fehlt es, mit anderen Menschen seinen Glauben zu
leben. Tagsüber ist er oft allein. Elisabeth Weyerer-Reimer arbeitet dann,
sie ist Lehrerin an einer Hauptschule. Mit Mitte 40 studierte sie noch mal,
liebt ihren Beruf. „Auch wenn das Schulsystem mindestens so hierarchisch
ist wie die Kirche“, sagt sie. Für eine Verbeamtung war sie zu alt.
Finanzielle Sorgen spielen seit dem Tiefpunkt immer eine Rolle in ihrem
Leben. „Aber wir schaffen das, wir haben es immer geschafft.“
5 Jun 2022
## LINKS
[1] /Pflichtzoelibat-fuer-katholische-Priester/!5830405
[2] /Betroffener-zu-Missbrauch-in-der-Kirche/!5851172
## AUTOREN
Marius Ochs
## TAGS
katholisch
Der Hausbesuch
Zölibat
Kirche
Katholische Kirche
Katholische Kirche
Katholizismus
Der Hausbesuch
Der Hausbesuch
Wohnen
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Wohnen
Der Hausbesuch
Katholische Kirche
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hausbesuch bei Künstler Waleed Ibrahim: „Familien hier sind oft verstreut“
Er ist Kurde und wächst in Rojava auf. Er studiert in Damaskus, sucht sein
Glück in Dubai – und landet in Willich, einer Kleinstadt am Niederrhein.
Der Hausbesuch: Die Erde erdet sie
Schon Sabine Kluges Urgroßvater war Töpfer, ihr Großvater auch. Und sogar
die Mutter. Das Handwerk hat sich in all der Zeit kaum verändert.
Der Hausbesuch: Im Herzen eine kleine Rebellin
Statt die Haushaltsschule zu besuchen, trampte Marianne Teubert durch
Skandinavien. Dann wurde sie Frauenbeauftragte – und heiratete.
Ukrainekrieg und Kirchen in Berlin: Wohngemeinschaft im Glauben
In Berlins Kirchen wird es auch wieder voller. So hat in der evangelischen
Nathanael-Kirche die ukrainisch-orthodoxe Gemeinde einen Platz gefunden.
Der Hausbesuch: Respekt für die schlichten Dinge
Sie backen ihr eigenes Brot, halten Bienenstöcke, schätzen altes Handwerk:
Ellen Gernun und Martin Lohmann lieben sich – und alles, was uneitel ist.
Der Hausbesuch: Glaube und Poesie in der Platte
Andreas Knapp ist Priester, trägt aber kein kirchliches Gewand. Er schreibt
Gedichte statt Predigten. Und lebt in einer Männer-WG in Leipzig-Grünau.
Pflichtzölibat für katholische Priester: Mittelalterlicher Quatsch
Der byzantinische Ritus gestattet Priestern, Frau und Familie zu haben.
Daran sollte sich die gesamte römisch-katholische Kirche ein Beispiel
nehmen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.