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# taz.de -- Der Hausbesuch: Die Erde erdet sie
> Schon Sabine Kluges Urgroßvater war Töpfer, ihr Großvater auch. Und sogar
> die Mutter. Das Handwerk hat sich in all der Zeit kaum verändert.
Bild: In ihrer Werkstatt: Sabine Kluge
Wenn Sabine Kluge Werkzeug in ihren Händen hält, weiß sie, dass auch schon
ihr Großvater und ihre Mutter es vor ihr hielten. „Das ist doch schön, so
verbunden zu sein“, sagt sie.
Draußen: Ein riesiger Tonkrug hängt an der Fassade von Sabine Kluges Haus
im badischen Städtchen [1][Kandern]. Davor fließt der Lippisbach, versteckt
unter einer Brücke. Wer das Wasser sehen will, muss sich über die Mauer
beugen, die den Bach einfasst. Eng ist es an der Kreuzung, die kurvige
Straße, die von Kandern ins schöne Kandertal führt und weiter Richtung
Schwarzwald, fängt hier an. Beschaulicher wäre es, wenn die Straße keine
Rennstrecke für Motorradfahrer wäre. Schwarz gekleidet hocken meist Männer
auf ihren krachenden Maschinen; sie tauchen gern im Rudel auf. „Pest“, sagt
jemand, der in der Eisdiele gegenüber von Kluges Haus sitzt und sein Eis im
Lärm des Motorradratterns „schlotzt“, also schleckt. „Da, schon wieder d…
Pest.“
Drinnen: Zuerst zeigt Kluge ihr privates Museum, wo gesammelte Keramiken
der Vorfahren stehen. Von [2][Hermann Hakenjos], dem Urgroßvater
(1879–1961), sind Jugendstilvasen in der Vitrine. Mit floralen,
geschwungenen Verzierungen. „Achtung, alle Männer in meiner Familie heißen
Hermann“, warnt Kluge die Besucherin vor. Neben den Sachen vom Uropa stehen
die von Hermann Hakenjos (1905–1992), dem Opa. Sie sind mehr im
Art-Déco-Stil, der das Florale verfremdet. Die Zierkacheln des Ofens im
Ausstellungsraum hat der Großvater auch gemacht. Darauf sind Szenen aus der
Bibel zu sehen – wie die Verkündigung, wie die Vertreibung aus dem
Paradies. Eigentlich ist die 1962 geborene Sabine Kluge in die Fußstapfen
ihres Opas getreten. Ihre Mutter, Ursula Kluge, geborene Hakenjos
(1935–1979), die eine Liebe für geometrisches Dekor hatte, starb früh.
Expressionismus: Auch im Wohnzimmer stehen und hängen unzählige Dinge aus
Ton. Dazu Möbel aus früherer und neuerer Zeit; einst wohnten hier drei
Generationen zusammen. „Wenn man so viel Keramik hat, kann man sich nicht
noch verrückt einrichten“, sagt Kluge. Über dem Sofa hängt das Foto eines
Bildes von August Macke, darauf zwei Mädchen; weiße Schürzen haben sie um.
„Das Mädchen rechts ist meine Großmutter.“ August Mackes Schwester war mit
dem Kanderner Kronenwirt verheiratet. Deshalb war der Maler öfters im
Städtchen, malte den Ort, porträtierte die Menschen. „Was für ein Aufwand,
nur damit wir eine Reproduktion von dem Bild machen konnten. Zig
Unterschriften und 400 Mark kostete allein das Ausleihen.“
Der Kanderner Ton: Kandern ist Töpferstadt. In der Gegend gab es dank des
Jurameeres und der Eiszeiten Ton. Viele hundert Millionen Jahre alt ist
der. Eine Ziegelei war am Ort. Als diese neben Ziegeln auch
Kunsttöpferwaren herstellte, kam der Urgroßvater nach Kandern. Später hatte
er auch eine Tongrube, ihr Großvater erbte sie. Heute ist Kluge die
einzige, die noch den Kanderner Ton verwertet – die Tongruben sind
erschöpft, die Ziegelei geschlossen. Sie hat sich zuvor drei Lastwagen voll
Ton gesichert. Abgedeckt im Wald liegt er. In einer Ecke in ihrer Werkstatt
hat sie welchen davon. „Der ist vergleichsweise jung, nur 160 Millionen
Jahre.“
Konkurrenz: Heute gibt es noch drei Töpferinnen im Ort, in dem ohne
Eingemeindungen 4.000 Menschen leben. Die Töpferinnen kämen sich nicht in
die Quere, weil sie mit unterschiedlichen Tonen und Techniken arbeiteten.
Kluge benutzt Töpferton, Frau Kerstan, eine der anderen, benutzt
Steinzeugton. „Ich kann der Frau Kerstan kein Rezept klauen. Sie mir auch
nicht helfen, wenn ich Probleme habe.“
Nachhilfe: Als sie sieht, dass nicht verstanden wird, was die Unterschiede
sein sollen, sagt Sabine Kluge ergeben „Also gut“, lehnt sich auf dem Sofa
zurück und gibt Nachhilfe. Vier Sorten Ton gibt es. Erstens Steingut- und
zweitens Töpferton, deren gemeinsamer Nenner: Sie sind nur dicht mit
Glasur. Steingut sieht nach dem Brennen beige aus, Töpferton ist bunt.
Beide brennen bei 1.100 Grad. Dann gibt es – drittens – Steinzeug, was Frau
Kerstan herstellt; das brennt ab 1.200 Grad hell und dicht. Und viertens
gibt es Porzellan. Dafür sind mindestens 1.400 Grad nötig.
Der Dialekt: Kluge ist groß; sie spricht laut. Sie „schwätzt“ Badisch. �…
Alemannisch, ä eigä Sproach“, korrigiert sie. [3][Alemannisch] wird in
Baden, im Elsass, in der Schweiz, in Teilen Österreichs gesprochen, „von
Ort zu Ort leicht verschieden“. Sie hat schon einen starken schweizerischen
Einschlag, die Grenze ist nah. Ihr i ist mehr ein ü, Sie sagt „Lüt“ und
„hüt“ und „d’Lüt fu hüt“. Weiter nördlich, so in der Gegend um Fr…
heißt es dagegen „Lit“ und „hit“ und „d’Lit fu hit“. Gemeint sin…
die Leute von heute.
Die Vorfahren: Seit vielen Generationen wohnt Kluges Familie
mütterlicherseits im Ort. Und der Uropa kam auch nicht von so weit her –
aus Sankt Georgen im Schwarzwald. Er war in der Kunstgewerbeschule in
Karlsruhe und kam mit seinem Professor, dem damals bekannten Designer Max
Laeuger, an die Kunsttöpferei Tonwerke Kandern. Sein Sohn wurde
Keramikingenieur und Keramikmeister und arbeitete ebenfalls in Kandern. In
den 1930er Jahren gründeten Vater und Sohn dann die eigene Töpferei. Es war
eine Entscheidung zwischen Fabrik und Handwerk, Ziegel und schönen Dingen.
Der Riss: Wissen und Handwerk wird von einer Generation an die nächste
weitergereicht. Dieses Mal war es die Tochter Ursula, die sich für die
Töpferei begeisterte (ihr Bruder, natürlich heißt er Hermann, zog es weg
von der Drehscheibe. Er wurde Vermessungsingenieur). Es hätte immer so
weitergehen können. Doch mit 42 Jahren starb Ursula Kluge. „An Lungenkrebs,
dabei hat sie nie geraucht. Gott sei Dank musste sie nicht lange leiden“,
sagt Sabine Kluge. Sie war 17 damals; Geschwister hat sie nicht.
Den Riss kitten: „‚Du musst dich beeilen‘, hat der Großvater nach der
Schule zu mir gesagt, ‚damit du fertig bist, bevor ich sterbe‘.“ Und die
Enkelin will ja auch töpfern lernen. Wer ihr zuhört, merkt schnell: Ihre
Elternliebe ist eine Großelternliebe. „Wenn man so jung die Mutter
verliert, dann ist der Zusammenhalt da.“ Vor allem ihr Opa ist ihr nah.
Eigentlich erzählt sie fast nur von ihm. Dass sie alles gemacht hat, wie
er es wollte. Die Lehre und dann die Meisterschule und dann die Töpferei
übernehmen. 1990 ist es so weit. Zwei Jahre später stirbt der Großvater.
Das Meisterjahr: Den Meisterbrief konnte sie nicht in Südbaden machen, sie
musste nach [4][Höhr-Grenzhausen] bei Koblenz. Jedes Wochenende ist sie
heimgefahren, um dem Großvater zu helfen. „In manchen Töpfereien gibt es
nur drei Formen und vier Glasuren. Wir haben immer viele verschiedene
gemacht. Sie selbst mag Engobenkeramik, da wird das Muster reliefartig mit
flüssigem andersfarbigem Ton auf die Grundform aufgetragen.
Verbundenheit: Dann zeigt Sabine Kluge die Werkstatt, wo noch der alte
Brennofen vom Großvater steht. Die Schaltanlage ist kaputt, sie kann ihn
nicht nutzen. 20.000 D-Mark hätte die Reparatur seinerzeit kosten sollen.
„Do defür chönnt i a Mängs Häfele brenne“, sagt sie. Soll heißen: Daf�…
müsste sie viele Krügchen verkaufen. Dann zeigt sie, wie aufwendig es ist,
aus dem abgestochenen Ton, den sie von ihrem Vorrat im Wald geholt hat,
modellierfähiges Material zu machen. Erst muss der Ton im Wasser gelöst und
gereinigt werden, dann muss ihm das Wasser wieder entzogen werden. Sechs
Arbeitsschritte in zwei Tagen und die Maschinen so teuer. „Ich kriege keine
Ersatzteile mehr.“ Sie macht eine Arbeit, die schon vor Hunderten Jahren so
ähnlich gemacht wurde, auch von ihren Vorfahren. „Ich lebe mit meiner
Familie. Die Leute sind nicht weg.“
Leben und Arbeiten: Sabine Kluge, seit Langem verheiratet mit einem Mann,
der Budgets für Bauvorhaben verwaltet, hat keine Kinder. „Wenn Töpferinnen
schwanger sind, müssen sie sofort aufhören zu arbeiten. Wegen der Stäube“ …
und darüber sinnieren, was wäre, wenn, führe nicht weiter. Kluge ist
Pragmatikerin. Sie arbeitet mit Erde, und die Arbeit mit der Erde erdet
sie. Nur einen Luxus leistet sie sich: Sie steht mit Halskette und
Ohrringen in der Werkstatt. Der Schmuck soll es richten, wenn sie in
staubigen Klamotten direkt von der Drehscheibe in ihren Laden rennt, weil
die Türglocke läutet. Denn alles sei gleichzeitig, Leben und Arbeiten sei
für sie eins. Das erfülle sie. „Manchmal“, sagt sie, „überlege ich, wa…
arbeiten wollte, wenn es zum Leben nicht mehr reicht. Nur fällt mir nichts
ein.“
19 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.kandern.de/
[2] https://www.hakenjos-keramik.de/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=0FodgVeGg6Y
[4] https://www.hoehr-grenzhausen.de/leben-erleben/keramik-toepfern/
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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