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# taz.de -- Der Hausbesuch: Im Herzen eine kleine Rebellin
> Statt die Haushaltsschule zu besuchen, trampte Marianne Teubert durch
> Skandinavien. Dann wurde sie Frauenbeauftragte – und heiratete.
Bild: Kurz nach ihrem 18. Geburtstag haute Marianne Teubert aus ihrem Elternhau…
Marianne Teubert fühlt sich nicht nur als Rentnerin, sondern auch „als
Individuum“ privilegiert, weil sie „mit frischem Wasser duschen kann und
jeden Tag was zum Essen“ hat.
Draußen: Es blühen die Kirsch- und Apfelbäume in den Vorgärten von
Bremen-Schwachhausen. Eine ruhige, grüne Gegend. Jugendstilhäuser und
Villen aus der Zeit der Jahrhundertwende stehen hier. Auch Marianne Teubert
wohnt in so einem hübschen Altbau, nahe dem Bürgerpark und dem Friedhof
Riensberg. Vor der Tür entlädt eine Nachbarsfamilie ein rotes Auto:
Blumen, Pflanztöpfe, Erde. Eisessend schlendern eine Mutter und deren
Tochter vorbei, die Sonne strahlt leuchtend gelb vom knallblauen Himmel.
Blau und Gelb wiederholen sich auch in dem Plakat, das an Marianne Teuberts
Tür hängt, darauf zu sehen: eine Friedenstaube.
Drinnen: Eine Treppe führt hinauf zum Ess- und Wohnzimmer, eine andere
hinunter, wo Küche, Zimmer, Toilette und Garten sind. Letzteren pflegt
Marianne Teubert gemeinsam mit Nachbarsfamilien. Sie hätten „aus Prinzip“
keinen Zaun gebaut. Vom Wohnzimmerbalkon hat sie den Garten immer im Blick.
Eine Fliegengittertür geht im Wind auf und zu. Im Esszimmer: weiße
Orchideen in Töpfen, eine Tulpe in einer Blumenvase, eine Bücherwand, ein
alter Sekretär, ein rustikaler Holztisch. Teubert serviert einen Salat mit
Erdbeeren und Parmesan. „Ich bin eine schlechte Bäckerin“, sagt sie. Dafür
koche sie gerne und teile ihr Essen gern, so wie sie es einst als Kind
gelernt hat: „Bei uns saßen die Handwerker mit am Tisch.“
Das Elternhaus: „Meine Mutter war eine großzügige Frau“, sagt Marianne
Teubert. „Als es nach dem Krieg nichts zu essen gab, durchsuchte sie nachts
die Felder und sammelte Kartoffeln.“ Der Vater war wie der Großvater
Schriftsetzer und Buchdrucker. „Er war auch Kommunist und weigerte sich,
sich den Nazis anzuschließen.“
Das Enfant terrible: „Ich war wie mein Vater, die Rebellin, das Enfant
terrible der Familie“, sagt Teubert. 1944 kam sie in Siegen,
Nordrhein-Westfalen, zur Welt. Weil zu Hause „nicht alles Sonnenschein“ war
und es ihr in der Heimatstadt schnell zu eng wurde, habe sie als
Jugendliche „abhauen“ wollen. Mit 18 ging sie nach Stockholm, für ein Jahr.
Ihre Eltern wussten nicht, dass sie sich dort als „Gasttochter“ beworben
hatte, um das Alltagsleben einer schwedischen Familie kennenzulernen.
Die Haushaltsschule: Marianne Teubert ist in einer Zeit geboren, in der die
Arbeit im Haushalt noch als „natürliche Frauenaufgabe“ betrachtet wurde.
Aber zu lernen, wie man den Herd sauber macht oder Schürzen näht,
interessierte sie nicht. Deshalb blieb sie nach der Hauptschule nicht lange
an der „Fachschule für Frauen“, auf die sie geschickt wurde. Lieber trampte
sie in den Ferien alleine durch Finnland. Es dauerte dann noch eine ganze
Weile, bis die gesellschaftlichen Koordinaten, in die Frauen eingehegt
waren, aufbrachen. Zunächst spielte sich der Widerstand vereinzelt,
individuell ab. Davon ist Teuberts Leben geprägt, davon erzählt sie.
Pläne und Zufälle: Eigentlich wollte sie Erzieherin werden, doch dafür war
sie letztlich „zu unangepasst“, sagt Teubert. Sie arbeitete als
Krankenschwesterhelferin und als Floristin in Göttingen. Dort lernte sie
ihren ersten Mann, einen Lehrer, kennen, bekam zwei Kinder mit ihm und zog
mit ihrer kleinen selbst gegründeten Familie nach Tarmstedt in
Niedersachsen.
Alleinerziehend: Als die Ehe scheiterte, ging Marianne Teubert mit den
Kindern, damals 4 und 6, nach Bremen. „Eine Wohnung als Alleinerziehende zu
finden, war fast unmöglich“, erinnert sie sich. Sie nahm einen befreundeten
Pastor bei der Suche mit. „Mit einem Mann an meiner Seite wurde ich anders
wahrgenommen.“ So fand sie vor 44 Jahren die Wohnung, in der sie heute
immer noch lebt. Mit 38 fing sie ein Quereinsteigerinnenstudium der
Sozialpädagogik an und besorgte sich eine neue Arbeitsstelle.
Die Jobsuche: Ihrem Sachbearbeiter beim Arbeitsamt –damals hieß die Behörde
noch nicht pseudovornehm „Arbeitsagentur“ – wünschte sie „eine Migrän…
jedes unpassende Arbeitsangebot“. Der Mann habe gelacht und sich dann bald
mit einer Stelle in der Altenhilfe in der Gemeinde Lilienthal bei ihr
gemeldet. Dort, in der kleinen Gemeinde vor den Toren Bremens, arbeitete
Teubert „leidenschaftlich gern“, wie sie sagt. Bis sie von einer Stelle als
Frauenbeauftragte hörte. „Hallo, ich bin die neue Frauenbeauftragte in
Lilienthal“, habe sie im Vorstellungsgespräch gesagt und ihrem künftigen
Chef selbstbewusst die Hand gereicht. Noch heute spiele sie mit ihm
Doppelkopf. 16 Jahre lang war sie als kommunale „Frauenbeauftragte“ – heu…
heißt es „Gleichstellungsbeauftragte“ –tätig. „Wir, in Lilienthal“:…
sie es immer noch.
Heimliche Hochzeit: Kurz nach ihrem Renteneintritt kehrte Marianne Teubert
noch einmal zum Rathaus in Lilienthal zurück, um ihren Lebenspartner zu
heiraten, mit dem sie damals schon seit 40 Jahren [1][liiert] war. Sie
seien „durch eine Hintertür reingegangen“, zufällig habe sie in dem Moment
einen ehemaligen Kollegen getroffen. „Das gibt’s doch nicht!“, habe der
gemeint.
Der Feminismus: Die heimliche Eheschließung habe Spaß gemacht, kichert die
Mittsiebzigerin. „Wir wollten beide autonom bleiben“, sagt sie über ihren
Partner und sich. Er wohnt zehn Radminuten von ihr entfernt. „Wenn wir 24
Stunden miteinander verbringen würden, wären wir längst nicht mehr
verheiratet.“ [2][Sie nennt sich eine Feministin] und klagt: „Es braucht
bestimmt noch 100 Jahre, bis Frauen das Gleiche wie Männer verdienen.“ Das
mache ihr Sorgen. So wie auch die finanzielle Lage von Rentnern und
Rentnerinnen. Und der Klimawandel: „Ich frage mich jeden Tag, was für einen
Lebensraum wir unseren Enkelkindern und der nächsten Generation
hinterlassen.“
Der Fußabdruck: Weil sie sich ihrer Verantwortung beim Klimaschutz nicht
entziehen möchte, versucht Marianne Teubert, ihren ökologischen Fußabdruck
„so klein wie möglich“ zu halten: „Im Winter wird das Esszimmer nur
geheizt, wenn meine Kinder und Enkelkinder zu Besuch sind.“ Ansonsten halte
sie es mit dickem Pullover und Wollsocken aus. Das Licht brenne immer nur
in dem Raum, in dem sie sich gerade aufhalte, und [3][Dinge wie ein
Heizkissen oder eine elektrische Brotmaschine gebe es in ihrem Haushalt
nicht.] „All das war auch vor der Energiekrise für mich
selbstverständlich“, sagt Teubert. In 13 Jahren habe sie nur dreimal im
Flugzeug gesessen, einmal bis nach Brasilien, wegen der Arbeit ihres
Partners. „Ich hatte aber nie das Gefühl, etwas zu verpassen.“
Autos: Marianne Teubert liebte es ihr Leben lang, nach Dänemark in den
Urlaub zu fahren, wo „niemand rast“. Autos seien „potenzielle Mordwaffen�…
für sie. Dass die FDP ein Tempolimit als „Freiheitsverlust“ sieht, mache
sie wütend: „Die Kopfhaut zieht sich mir zusammen. Das ist schamlos und
dumm. Freiheit ist für mich auch, nicht von Rasern bedrängt zu werden.“
Aufgrund einer Krankheit ist sie gehbeeinträchtigt, deshalb brauche sie ein
Auto, „einen Kleinwagen, den ich überlegt nutze“, wie sie sagt. „Ich
brauche aber auch kein 9-Euro-Ticket. Ich möchte mit Energiegeld
unterstützt werden. Alle Rentner*innen müssen mindestens 300 Euro
Energiezuschuss bekommen.“
Glück: Ein Buch zu lesen und in der Erde zu wühlen: Das bedeute für sie
Glück. Und vor allem eines: „Der Luxus, morgens im Bett zu sitzen, mit
einer Tasse Tee in der Hand in den Garten zu schauen und vor mich hin
träumen zu können.“ Egal, ob sommers oder winters, wenn sie raus ins Grüne
schaue, vergesse sie alles andere, sagt Marianne Teubert. „Ich bin in
diesen Momenten so glücklich, dass es mir fast melancholisch wird.“
12 Jun 2022
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## AUTOREN
Luciana Ferrando
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