# taz.de -- Treffen der Nato-Außenminister: Türkei stellt Forderungen | |
> Finnland und Schweden wollen der Nato beitreten. Die Türkei will nur | |
> zustimmen, wenn westliche Partner bei ihrer kurdenfeindlichen Linie | |
> mitziehen. | |
Bild: Bedenken aller Mitgliedsstaaten ausräumen, geht das? Nato-Außenminister… | |
BERLIN, STOCKHOLM taz | Der türkische Außenminister platzt dazwischen. Am | |
Samstagmorgen betritt Mevlüt Çavuşoğlu den Lichthof des Auswärtigen Amts in | |
Berlin. Sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn ist schon da, er war | |
kurz vor ihm durch die Tür gekommen und stellt sich gerade für ein | |
Statement vor die wartenden Kameraleute. Bevor er loslegen kann, schreitet | |
aber auch Çavuşoğlu ins Bild, strahlt, reicht dem Kollegen die Hand. Ein | |
demonstrativer Auftritt: Hallo Jean, wie schön, dich zu sehen! | |
Gute Mine zum bösen Spiel? Als Çavuşoğlu abzieht und Asselborn endlich | |
loslegen kann, wird die Stimmung schnell wieder nüchterner. „Die Türkei ist | |
manchmal schwierig“, sagt der Luxemburger jetzt. | |
Anderthalb Tage lang haben sich die Außenminister:innen der Nato am | |
Wochenende in Berlin getroffen. Erstmals haben sie ein informelles Meeting | |
abgehalten, so wie es sich das Militärbündnis im Zuge eines Reformprozesses | |
vorgenommen hat: Herkömmliche Nato-Konferenzen sind sehr formal | |
durchgeplant, die Teilnehmer:innen tragen im Grunde nur ihre | |
vorbereiteten Sprechzettel vor. Im neuen Format stehen dagegen das | |
Netzwerken und der direkte Austausch im Mittelpunkt. Die erste Auflage kam | |
genau zum richtigen Zeitpunkt: Zu besprechen gibt es aktuell viel – ganz | |
akut vor allem zum geplanten Beitritt Schwedens und Finnlands und den | |
Problemen, die die Türkei dabei macht. | |
Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine streben [1][die beiden | |
skandinavischen Staaten einen Nato-Eintritt an]. Parallel zum Berliner | |
Treffen hat die finnische Regierung am Sonntagmittag wie erwartet | |
beschlossen, sich um die Mitgliedschaft zu bewerben. Schweden folgt | |
voraussichtlich am Montag. Der Großteil der Militärallianz hat nichts | |
dagegen. Die Nato werde die beiden Staaten „mit offenen Armen empfangen“, | |
sagte Gastgeberin und Außenministerin Annalena Baerbock am | |
Sonntagnachmittag nach Abschluss des Berliner Treffens. | |
## Politischer Zickzackkurs der Türkei | |
Im Schnelldurchlauf sollen die Mitgliedstaaten, die alle einzeln zustimmen | |
müssen, die Neuaufnahmen spätestens bis zum Herbst ratifizieren. Baerbock | |
kündigt an, dass der Bundestag dafür gegebenenfalls zu einer Sondersitzung | |
zusammengerufen werde. Deutschland will „eines der ersten Länder“ sein, das | |
grünes Licht gibt. Die Eile hat einen Grund: Mit der Ankündigung des | |
Beitritts geraten Finnland und Schweden in den russischen Fokus, die | |
Nato-Beistandsklausel gilt aber erst, wenn die Aufnahme durch ist. | |
Die Türkei aber könnte sich eben querstellen. „Wir haben keine positive | |
Meinung dazu“, sagte Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Freitag. | |
Skandinavische Länder seien geradezu „Gasthäuser für Terrororganisationen�… | |
wie die [2][kurdische PKK]. In Berlin bekräftigt sein Außenminister | |
Çavuşoğlu am Wochenende einerseits diese Haltung, sendet andererseits aber | |
versöhnlichere Signale, auch über den Handschlag mit Asselborn hinaus: Die | |
Türkei sei immer für eine „Politik der offenen Tür“, sagt er. | |
[3][Was steckt hinter dem türkischen Zickzack]? Die Vorwürfe gegen die | |
Skandinavier haben eine Vorgeschichte. Im Dezember letzten Jahres | |
veröffentlichte die regierungstreue türkische Tageszeitung Sabah einen | |
längeren Artikel, in dem sie Schwedens Außenministerin Ann Linde vorwarf, | |
sie habe sich mit Vertreter:innen der syrisch-kurdischen Miliz YPG | |
getroffen, die von der Türkei bekämpft wird. Stockholm habe also „mit | |
Terroristenführern über die weitere Zusammenarbeit Schwedens mit | |
Terroristengruppen beraten“. | |
Linde hatte diese Behauptungen als fehlerhaft zurückgewiesen. Sie habe sich | |
nicht mit Repräsentanten der YPG getroffen oder mit diesen verhandelt, | |
sondern lediglich mit zivilen kurdischen Organisationen. Negative | |
Reaktionen gab es in der Türkei auch, als Schweden im vergangenen Jahr neue | |
finanzielle Hilfszusagen für die syrischen Kurdengebiete machte. Dabei | |
wurde eine Summe von 376 Millionen Dollar genannt, aber unterschlagen, dass | |
sich diese auf einen Zeitraum von acht Jahren verteilt. | |
## Ein gutes Druckmittel für Erdoğan | |
Kenneth Forslund, sozialdemokratischer Vorsitzender des Außenpolitischen | |
Ausschusses des schwedischen Reichstags, wundert sich nicht über das | |
türkische Agieren: „Wir wissen, dass Erdoğan unberechenbar ist. Aber wir | |
führen ja von schwedischer Seite aus schon eine längere Diskussion mit der | |
Türkei und das wird vonseiten Finnlands wohl auch der Fall sein. Wir hatten | |
nicht den Eindruck, dass es für den Ratifizierungsprozess am Ende ein | |
Problem geben könnte.“ | |
Schwedische Medienkommentare haben unterschiedliche Vermutungen über die | |
Motive Erdoğans und seinen Vorstoß. Möglicherweise hoffe er auf | |
Gegenleistungen, wie die Genehmigung der von den USA stornierten Lieferung | |
von Kampfjets, meint Toni Alaranta, Türkeiexperte vom Finnischen | |
Außenpolitischen Institut FIIA. Paul Levin vom Institut für Türkeistudien | |
an der Universität Stockholm vermutet dagegen eher, Erdoğan hoffe auf die | |
Einstellung der von ihm schon lange kritisierten Zusammenarbeit der USA mit | |
der YPG. | |
Worum auch immer es der türkischen Regierung geht: Es ist nicht | |
ausgeschlossen, dass ihr die Nato-Partner entgegenkommen. | |
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt nach Abschluss des Berliner | |
Treffens: Wann immer ein Mitgliedsstaat Bedenken ausdrücke, setze man sich | |
zusammen, um sie auszuräumen – und für gewöhnlich klappe das dann auch. | |
Details nennen aber weder er noch Annalena Baerbock: Damit das neue, | |
informelle Nato-Format funktioniere, müsse Vertrauliches vertraulich | |
bleiben, sagt die Außenministerin. | |
Ein Druckmittel gegenüber den westlichen Partnern, das wird aber klar, hat | |
sich die türkische Regierung mit der Vetoandrohung einmal mehr gesichert. | |
Öffentliche Kritik an den [4][türkischen Angriffen auf kurdische Gebiete im | |
Nordirak] zum Beispiel musste sich Ankara schon in den letzten Wochen kaum | |
anhören. Die Bundesregierung ließ nur verlauten, die türkische Haltung „zur | |
Kenntnis genommen“ zu haben. An dieser Nachsicht gegenüber dem schwierigen | |
Partner wird sich jetzt wohl erst recht nichts ändern. | |
In Skandinavien wiederum gibt die Diskussion der letzten Tage denen neues | |
Futter, die den Nato-Beitritt ohnehin kritisch sehen: In Berlin war am | |
Wochenende zwar häufig die Rede von den gemeinsamen Werten des | |
Militärbündnisses. Dass aber die Nato ein Mitglied wie die Türkei hat, die | |
ja nicht mehr als Demokratie gelten könne, ist eines der zentralen | |
Argumente, weshalb beispielsweise die schwedische Linkspartei weiterhin | |
gegen die Mitgliedschaft ist. | |
15 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
Reinhard Wolff | |
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