# taz.de -- Experte über Entwicklungspolitik: „Stimmung international verän… | |
> Der Ukraine-Krieg erschwert die Entwicklungszusammenarbeit. Aber in dem | |
> Feld ändert sich ohnehin vieles, sagt Politikwissenschaftler Jörn | |
> Grävingholt. | |
Bild: Asmara, Eritrea: Russland hat in den vergangenen Jahren die Verbindungen … | |
taz: Wie jeder Krieg wirkt sich auch der Krieg in der Ukraine auf die | |
internationale Zusammenarbeit aus. Was bedeutet er für die sogenannte | |
Entwicklungszusammenarbeit? | |
Jörn Grävingholt: Die konkreten Auswirkungen sind noch nicht absehbar. Klar | |
ist, dass sich die Stimmung international verändert. Die globale | |
Gemeinschaft muss sich von einer Reihe von vermuteten Gewissheiten | |
verabschieden. Einige internationale Regeln sind nicht mehr | |
selbstverständlich. | |
Welche sind das? | |
Es kann nicht mehr als gesichert gelten, dass eine militärische Aggression | |
auf ungeteilten Widerspruch stößt. Wir sehen das im südlichen und östlichen | |
Afrika und auch in Asien. Dort zeigt sich ein größeres Zögern, sich | |
eindeutig auf die Seite zu schlagen, die als westlich wahrgenommen wird. | |
Dem Zögern geht eine Angst voraus? | |
Die Gründe sind unterschiedlich. Da geht es einmal um die Abhängigkeit von | |
Russland. Einige nicht-demokratische Regime wie etwa Eritrea oder Nordkorea | |
schlagen sich aber auch auf die russische Seite, weil sie ihr eigenes | |
Modell, Politik zu machen, sichern wollen. Wenn man die Diskurse verfolgt, | |
die in einigen Ländern des globalen Südens stattfinden, klingt zudem | |
bisweilen an, dass „der Westen“ den Krieg irgendwie verdient hat. Daraus | |
spricht der verbreitete Eindruck, dass Europa und die USA nach wie vor | |
rücksichtslos ihre Interessen verfolgen. Und zu diesem Gefühl haben | |
westliche Länder selbst beigetragen. | |
Die sogenannte Entwicklungszusammenarbeit ist schon länger auf dem | |
Prüfstand. Inwiefern zwingt auch die derzeitige Stimmung sie, sich neu zu | |
definieren? | |
Die Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet sich von einem | |
Geber-Nehmer-Verhältnis und der Vorstellung, dass der reiche Westen etwas | |
abgibt, damit die armen Länder der übrigen Welt sich auch entwickeln | |
können. Stattdessen setzt sich die Erkenntnis durch, dass globale Aufgaben | |
wie weltweite Fluchtbewegungen oder der Klimawandel nur gemeinsam gelöst | |
werden können. Die Idee der geteilten Verantwortung löst die der | |
Almosengabe ab. Das ist keine Entwicklung, die durch den Krieg neu | |
aufgekommen ist. Sie muss aber jetzt an Bedeutung gewinnen. Doch es kommt | |
ein Problem hinzu, das sich durch den aktuellen Konflikt verstärkt: die | |
Zunahme an populistischen Bewegungen. | |
Ein Trend, der von einer Zusammenarbeit weg hin zur Abschottung führt… | |
Ja, all das sind Bewegungen, die vermeintliche nationale Interessen in den | |
Vordergrund stellen. Russland geriert sich in seiner eigenen | |
Selbstdarstellung und Propaganda quasi als Vorreiter, der die bloßen | |
Interessen seiner Bevölkerung gegen westliche Hegemonie und den | |
„westlichen“ Kapitalismus verfolgt. Unter linken wie rechten Populisten | |
weltweit wird diese Erzählung aufgegriffen. | |
Als Antwort auf den Krieg steckt die deutsche Bundesregierung vermehrt Geld | |
in die Bundeswehr. Inwiefern fehlen damit Gelder für die internationale | |
Entwicklungszusammenarbeit? | |
Wir müssen abwarten, bis der Nachtragshaushalt, den die Bundesregierung | |
jetzt eingebracht hat, durch den Bundestag gegangen ist. Der reguläre | |
Haushalt für 2022 ist zwar noch nicht verabschiedet, aber der Entwurf sah | |
spürbare Kürzungen um 12,6 Prozent im Bereich der internationalen | |
Entwicklung vor. | |
Trägt eine gelingende Entwicklungszusammenarbeit nicht auch zur Sicherung | |
von Frieden in der Welt bei? | |
Langfristig gesehen kann sie das erheblich, indem sie Strukturen schafft, | |
die weniger das Risiko tragen, zu gewaltsamen Konflikten zu führen. Es ist | |
wichtig, proaktiv zu verhindern, dass es überhaupt zu Krisen kommt – nicht | |
nur durch Abschreckung, sondern auch durch strukturelle Rahmenbedingungen. | |
Bisher ist unklar, an welcher Stelle gekürzt wird, wenn das Geld für die | |
internationale Zusammenarbeit knapper wird. Offen ist auch, in welchem | |
Ausmaß die Bereiche Friedensförderung und Konfliktbearbeitung betroffen | |
sind. Ich würde mir eine Politik wünschen, die nach vorne gerichtet ist, | |
die nicht nur versucht, mit dem aktuellen Konflikt umzugehen, sondern auch | |
das Risiko weiterer Konflikte verringert. Es ist nicht so, dass Aufgaben im | |
militärischen Bereich nicht auch wichtig sind, aber es wäre kurzsichtig, | |
dabei das zivile Engagement zu vernachlässigen. | |
12 May 2022 | |
## AUTOREN | |
Lea De Gregorio | |
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