| # taz.de -- Deutsche Entwicklungspolitik: Der Imam als Wasserbotschafter | |
| > Minister Gerd Müller versuchte religiöse Partner*innen für | |
| > Entwicklungsprojekte zu gewinnen. Ist das postkolonial-progressiv oder | |
| > altmodisch? | |
| Bild: Das BMZ setzt im Kampf gegen Jordaniens Wassermangel auch auf religiöse … | |
| Berlin taz | Mohammad Ghanem – weiße Kopfbedeckung, Anzugjacke – steht in | |
| einer sonnendurchfluteten Halle. „In unserer Moschee wurden spezielle | |
| Wasserhähne installiert, aus denen nur wenig Wasser fließen kann“, sagt er | |
| auf Arabisch in die Kamera der deutschen Entwicklungshelfer*innen. Ghanem | |
| ist Imam der Shishani-Moschee in Amman, der Hauptstadt Jordaniens. | |
| Obwohl das Land zwischen Israel und Saudi-Arabien nach einem Fluss benannt | |
| ist, [1][fehlt hier Wasser.] Ein starkes Bevölkerungswachstum, die | |
| wachsende Industrie sowie Hunderttausende Geflüchtete aus dem benachbarten | |
| Kriegsland Syrien lassen die Trinkwasserversorgung zunehmend prekär werden. | |
| Doch Mangel herrscht auch an Bewusstsein für einen sparsamen Umgang mit der | |
| Ressource. | |
| Rund 94 Prozent der jordanischen Bevölkerung und über 90 Prozent der im | |
| Land aufgenommenen Syrer*innen bekennen sich zum Islam. Die Religion | |
| prägt den Alltag – und könnte auch auf die Wassernutzung einwirken. „Es | |
| stimmt, dass der Einfluss auf die Menschen größer ist, wenn die Argumente | |
| durch Koranverse begründet werden“, sagt Imam Ghanem im Imagefilm des | |
| deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und | |
| Entwicklung (BMZ). | |
| Ghanem ist einer jener über 2.500 – auch christlichen – Geistlichen, die | |
| das BMZ nach eigenen Angaben zu „Wasserbotschaftern“ geschult hat. | |
| „Verbesserung kommunaler Wassereffizienz durch Zusammenarbeit mit | |
| religiösen Autoritäten“, heißt das Projekt, dass seit 2015 im Auftrag des | |
| Ministeriums durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale | |
| Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt wird. „Werte, Religion und Entwicklung“ ist | |
| die Task Force im BMZ benannt, die sich um die Zusammenarbeit mit | |
| religiösen Akteure bemüht. Eine entsprechende Abteilung im bundeseigenen | |
| Unternehmen GIZ trägt den selben Titel. | |
| ## Ein zunächst sehr deutscher Ansatz | |
| Neben Pilotprojekten wie dem in Jordanien geht es auch darum, mit | |
| Publikationen und Schulungen „religious literacy“, also Religionskompetenz | |
| bei den Entwicklungshelfer*innen zu schaffen. An der | |
| Humboldt-Universität zu Berlin entstand zudem mit BMZ-Mitteln der | |
| Forschungsbereich „Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung“. | |
| 18 Millionen Euro wurden bis jetzt insgesamt für die Religionsinitiative | |
| ausgegeben, teilte das BMZ der taz auf Anfrage mit. Verglichen mit den | |
| 12,43 Milliarden Euro Bundesmitteln, die dem Ministerium allein im Jahr | |
| 2021 zur Verfügung stehen, ein kleiner Posten. | |
| Der CSUler Gerd Müller, 2013 von Angela Merkel zum Entwicklungsminister | |
| berufen und 2018 im Amt bestätigt, hatte 2014 beschlossen, religiöse | |
| Organisationen und Persönlichkeiten stärker in die deutsche | |
| Entwicklungspolitik einzubinden. In der internationalen Zusammenarbeit | |
| stand Müller nicht allein mit dieser Idee, die Weltbank etwa beschäftigt | |
| sich schon seit Ende der 1990er Jahre mit dem Ansatz. Generell spielt in | |
| den internationalen Beziehungen seit den Anschlägen vom 11. September die | |
| „Rückkehr der Religion“ eine gewisse Rolle. Müllers Ansatz jedoch kam | |
| zunächst sehr deutsch daher. | |
| Entwicklungspolitik müsse sich zu „den eigenen Werten“ bekennen, zitierte | |
| die Hannoversche Allgemeine Zeitung damals ein erstes internes | |
| Strategiepapier aus Müllers Haus. Und weiter: „Diese Grundüberzeugung | |
| speist sich unter anderem aus unserer christlich-jüdischen Tradition und | |
| einem christlichen Menschenbild.“ | |
| ## Kritik aus verschiedenen Richtungen | |
| Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Das Papier wurde verstanden | |
| als eine Anbiederung des Ministers an die damals aufstrebende | |
| Pegida-Bewegung. Dabei galt und gilt Müller in Migrationsfragen noch immer | |
| als der Good Cop der CSU – insbesondere im Vergleich zum Grobian Horst | |
| Seehofer. Wurde Müllers persönliches Bekenntnis als Christ oftmals gelobt, | |
| wenn es um seinen Einsatz für Geflüchtete oder Hungernde ging, verletzte | |
| diese Version einer „wertebasierten Entwicklungspolitik“ für manche aber | |
| die weltanschauliche Neutralität des Staates. | |
| Als er 2016 schließlich mit einer zweiten, weit weniger identitären als | |
| instrumentellen Religionsstrategie unter dem Titel „Religionen als Partner | |
| in der Entwicklungszusammenarbeit“ an die Öffentlichkeit ging, regte sich | |
| erneut Widerstand. | |
| Auch in Müllers Ministerium selbst, wie BMZ- und GIZ-Mitarbeitende | |
| berichten. Denn in den 60 Jahren seines Bestehens war im oft | |
| wirtschaftsdominierten Entwicklungsministerium die Säkularisierungstheorie | |
| vorherrschend. Religion, so die Überzeugung, würde mit fortschreitender | |
| Modernisierung an Relevanz verlieren und bis dahin sogar ein Hemmnis für | |
| den Fortschritt darstellen. | |
| Ähnlich kommentierte damals der Bund der Konfessionslosen und Atheisten | |
| Müllers Strategie: „Selbst wenn radikale und fundamentalistische | |
| Religionsgemeinschaften außen vor bleiben, besteht doch die Gefahr, dass | |
| tendenziell konservativ ausgerichtete Gemeinschaften von staatlicher | |
| Förderung profitieren.“ | |
| ## Einflussreich: Kirchliche Hilfsorganisationen | |
| Was ist dran an solchen Vorbehalten? Wie hat sich Gerd Müllers | |
| Religionsinitiative seit ihrem Start entwickelt? Und: Was von dem Vorstoß | |
| des Ministers wird überhaupt bleiben? Schließlich will sich der | |
| Christsoziale doch [2][nach Ablauf der Legislaturperiode aus der Politik | |
| zurückziehen.] | |
| Die Politikwissenschaftlerin Julia Leininger forscht am öffentlich | |
| finanzierten Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. „Wir haben | |
| in Deutschland große Angst, dass wir uns vom säkularen Staat | |
| verabschieden“, sagt Leininger der taz. Dabei sei Religion immer schon ein | |
| „Elefant im Raum“ gewesen. „Mit Brot für die Welt und Misereor haben wir… | |
| der Entwicklungspolitik und im parlamentarischen Raum zwei kirchliche | |
| Trägerorganisationen mit großem Einfluss.“ Rund 321 Millionen Euro erhalten | |
| die beiden kirchlichen Zentralstellen seit Jahrzehnten jährlich vom BMZ. | |
| Leininger befürwortet die Religionsstrategie aufgrund empirischer | |
| Erhebungen. „Wir haben gerade eine Studie zu Togo abgeschlossen, die zeigt, | |
| dass religiöse Menschen sich stärker fürs Gemeinwohl einsetzen. | |
| Gleichzeitig kann Religion auch eine spaltende Komponente haben.“ Was ihr | |
| beim akteurszentrierten BMZ-Ansatz zu kurz kommt, ist die Frage nach dem | |
| Verhältnis von Staat und Religionen in den Partnerländern. | |
| Staatsreligionen könnten für Entwicklungsprojekte hinderlich sein, hemmend | |
| könne aber auch die strikte Trennung nach französischem Vorbild wirken, die | |
| starke staatliche Institutionen voraussetze. Sie beobachte, wie wichtig es | |
| sei, ein kooperatives Staat-Religions-Verhältnis und Religionsfreiheit als | |
| Teil guter Regierungsführung zu fördern, sagt Leininger. „Das ist bei | |
| Verhandlungen natürlich ein heikles Thema, da es den Kern anderer | |
| politischer Systeme berührt.“ | |
| ## Gegenseitiges Lernen | |
| „Müller ist der Großmeister der Public Relations“, sagt der | |
| entwicklungspolitische Sprecher der Grünenfraktion im Bundestag, Uwe | |
| Kekeritz. Der Minister habe die Religionsstrategie vorgestellt „mit viel | |
| Tamtam“. Oftmals sei die Ankündigung dann aber mehr als die Umsetzung. „Wir | |
| von den Grünen fordern schon lange, dass bei der Planung von | |
| Entwicklungsprojekten sehr viel mehr die lokalen Interessengruppen eine | |
| Rolle spielen.“ | |
| Wo Leininger Akteurszentrierung sieht, kommen für Kekeritz gerade die | |
| religiösen Akteure vor Ort zu kurz. „Auf der Metaebene sich Gedanken | |
| machen, das ist richtig und wichtig, aber das ist nicht notwendigerweise | |
| ein zielführender Entwicklungsansatz.“ | |
| „Wir dürfen nicht vergessen, dass schon der Begriff Entwicklung schwierig | |
| ist“, sagt wiederum Nina van der Puije. „Im Grunde ist das eine | |
| säkularisierte Heilsgeschichte“. Die Religionswissenschaftlerin und | |
| Ethnologin vertritt in ihrer Forschung an der Universität Kassel und am | |
| oben genannten Forschungsbereich der HU einen postkolonialen Ansatz. Van | |
| der Puije, die auch als Gutachterin für Entwicklungsprojekte arbeitet, hält | |
| die Öffnung der Entwicklungszusammenarbeit hin zu alternativen Weltsichten | |
| für einen wichtigen Schritt. | |
| Gerd Müllers „Marshallplan mit Afrika“ von 2017 sei paternalistisch | |
| gewesen. Bei der Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren dürfe es nicht um | |
| eine Instrumentalisierung gehen, die „einzig dazu dient, unsere eigenen | |
| Wertvorstellungen zu forcieren.“ Vielmehr sei ein gegenseitiges Lernen | |
| angebracht. Bei der Regulierung von Geburtenraten etwa sollten religiöse | |
| Akteure nicht einseitig davon überzeugt werden, die Raten zu drücken. „Man | |
| muss sich auch die Position des Gegenübers zumindest anhören. Vielleicht | |
| tragen in einem Kontext viele Kinder ja zum Glück bei.“ | |
| Wie Leininger und Kekeritz sieht auch van der Puije die BMZ-Strategie nach | |
| fünf Jahren noch nicht breit in der Entwicklungszusammenarbeit verankert. | |
| „Aktuell erschwert die Coronapandemie persönliche Begegnungen im Rahmen der | |
| Projekte. Diese sind gerade in dem sensiblen Themenfeld Religion | |
| erforderlich“, schreibt das BMZ der taz auf Nachfrage. | |
| Dass das Thema über die Amtszeit Müllers hinaus bearbeitet werden wird, | |
| darin sind sich Ministerium, Opposition und Expert*innen jedoch einig. | |
| Dafür spricht auch, dass das Auswärtige Amt den Ansatz für sich übernommen | |
| hat und die vom BMZ ins Leben gerufene International Partnership on | |
| Religion and Sustainable Development (PaRD) weiter an staatlichen und | |
| religiösen Mitgliedsorganisationen gewinnt. | |
| 27 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sauberes-Wasser-weltweit/!5709864 | |
| [2] /Entwicklungsminister-Gerd-Mueller/!5781228 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Hunglinger | |
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