# taz.de -- Der Schmerz nach dem Fahrradklau: Ohne Rad steht alles still | |
> Wird einem das Fahrrad geklaut, bringt das selbst manch Erwachsenen zum | |
> Weinen. Warum ist das so? Erkundung eines großen Verlustes. | |
Bild: Das Rad ist weg – und damit auch das Vertrauen, dass es gerecht zugeht … | |
Hamburg taz | „Die Welt kriegt einen Riss“, sagt mir ein Kollege. „Ich bin | |
ein großer, nicht mehr so junger Mann und ich habe geweint“. Er weinte, | |
weil ihm das geschah, was [1][jedes Jahr 145.000 Mal einem Menschen | |
geschieht] und er verlor weder einen Freund noch einen Hund. Er verlor sein | |
Fahrrad. Warum ist der Verlust eines Fahrrads etwas, das erwachsene | |
Menschen weinen oder Selbstjustiz-Phantasien entwickeln lässt? | |
Wer sich mit dem Thema Fahrraddiebstahl befasst, hört ungefragt viele | |
Erfahrungsberichte, so ungefragt, dass klar ist: hier möchte jemand noch | |
einmal in die Welt rufen, welches Unrecht ihm und ihr widerfahren ist – und | |
dieses Unrecht ist vollständig unabhängig vom materiellen Wert des | |
Fahrrads. „Ich war 4,5 Jahre alt“, schreibt ein anderer Kollege. „Es war | |
für mich der erste Moment, in dem ich gemerkt habe, wie böse die Welt doch | |
eigentlich ist“. Es geht hier nicht um die Summe von Gepäckträger, Rahmen | |
und Klingel, es geht um nichts weniger als den Verlust des Urvertrauens. | |
Interessant dabei ist, dass der Verlust auch hochaltrig so heftig trifft, | |
als sei man wieder viereinhalb und das Pucky-Rad die einzige Möglichkeit, | |
sich autark in die Welt zu wagen. Das Rad ist näher am Pferd als am Auto, | |
so scheint es, und wem es gestohlen wird, der fühlt sich existentiell | |
beraubt. Kein Wunder, dass der Raddiebstahl Thema in Romanen und | |
Biographien ist; er hat eine Fallhöhe, die kein verschleppter SUV zustande | |
bringt und nicht mal der chronisch bedrohte VW-Bus. | |
„Ich konnte es nicht glauben“, das ist das, was man leitmotivisch von denen | |
hört, deren Fahrrad gestohlen wurde. Aber warum nicht, wenn die | |
Wahrscheinlichkeit, dass es geschieht, niederschmetternd groß ist? Weil es | |
das ist, was nicht passieren darf, weil das Opfer sich gleichermaßen | |
verletzlich und schützenswert fühlt. [2][Die Radfahrerin, der Radfahrer | |
braucht das Rad], er führt ein Leben, das darauf eingerichtet ist, Büro, | |
Kita, Apotheke und Kneipe damit erreichen zu können. So wie ihr Körper Teil | |
des Rades wird, wird das Radfahren Teil ihres Alltags. Ohne Rad steht alles | |
still. Sie könnten den Bus nehmen, ein Leihrad, aber der Bus braucht zu | |
lange und das Leihrad hat keinen Kindersitz. | |
## Die narzisstische Kränkung | |
Die Radfahrerin ohne Rad ist wie ein Cowboy ohne Pferd, das erklärt ihren | |
Zorn, aber es erklärt noch nicht die Empörung und den Unglauben. So | |
fassungslos kann nur sein, wem ein Unrecht geschieht, das grundsätzlich | |
falsch ist, weil es dem Falschen widerfährt. Die Radfahrer:innen fühlen | |
sich ohnehin bereits als Opfer, sie sind das schwächste Glied in einem | |
Verkehrsgeschehen, dem sie sich jeden Tag aufs Neue aussetzen. Sie | |
übersehen dabei, dass die Fußgänger:innen noch schwächer sind, aber | |
irgendwo in ihrem Hinterkopf wissen sie es doch und deshalb mischt sich | |
noch eine narzisstische Kränkung in den Schmerz: Der Radklau degradiert sie | |
zu Fußgänger:innen. | |
Das radelnde Kind kann nicht fassen, dass man ihm den Weg in die Welt | |
nimmt, der radelnde Erwachsene kann nicht fassen, dass man sein | |
verletzliches Bemühen um klimafreundliche Mobilität nicht würdigt. In einer | |
besseren Welt würden nur Autos gestohlen, aber wir, deren Welt schon einen | |
Riss hat, werden sie wohl nicht mehr erleben. | |
18 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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