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# taz.de -- Verkehrswende in Hamburg: Autos raus – Platz zum Leben
> Nach einem Verkehrsversuch gibt es ein Konzept, Hamburg-Ottensen autoarm
> zu machen. Anwohner kritisieren Kampfradler und Parkplatzmangel.
Bild: Platz für Menschen statt für Autos: Vekehrsversuch in Hamburg-Ottensen …
Hamburg taz | Ein Szene-Stadtteil macht Platz: Platz für Fußgänger und
Radfahrer, Platz zum Rumsitzen und Gärtnern, zum Bummeln und Spielen. In
Hamburg-Ottensen sollen Autos künftig nur noch die zweite Geigen spielen.
Wie das gehen soll, steht in einem Konzept, das am Montagabend in einer
öffentlichen Anhörung kritisch diskutiert wurde. Es ging um „renitente
Radler, fehlende Parkplätze“ und „grüne Oasen“. Trotzdem könnte es der
kleine Anfang einer großen Wende sein.
Ottensen liegt direkt neben dem Bahnhof Altona. Es ist ein Ort, an dem sich
Konflikte um den Straßenraum buchstäblich verdichten. Mitte des 19.
Jahrhunderts noch ein Dorf, entstanden hier im Zuge der Industrialisierung
Glashütten, Schiffsschrauben- und Kranfabriken. In den engen verwinkelten
Straßen wurden Gründerzeithäuser direkt neben Fabriken hochgezogen. Heute
ist das charmant, weil es überall in den Straßen kleine Geschäfte, Cafés
und Kneipen gibt.
Wer hier durchfahren will, muss sich auf Schritttempo beschränken wegen der
Radfahrer, die ihm entgegenkommen, und wegen der Fußgänger, die von den
schmalen Gehsteigen auf die Straße treten. Abends beim Feiern sitzen die
Leute auf den Kantsteinen, weil sie rauchen wollen oder die Bar überfüllt
ist. Es ist ein erzwungenes Miteinander, das eigentlich ganz gut
funktioniert, zumindest wenn man nicht hier wohnt.
Weil es so eng und voll ist, hat sich 2017 eine Bürgerinitiative für eine
Verkehrswende im Quartier gegründet. Die Politik hat diesen Impuls
aufgegriffen und im September [1][2019 einen Verkehrsversuch gestartet],
der wissenschaftlich evaluiert wurde. [2][56 Prozent der Anwohner und 44
Prozent der Gewerbetreibenden waren am Ende dafür, das Projekt
weiterzuentwickeln]. Das Ergebnis ist eben jene „Vorzugsvariante“ für das
Zentrum des Stadtteils, die am Montag diskutiert wurde und am Mittwoch von
der Altonaer Bezirksversammlung beschlossen werden soll.
Die Vorzugsvariante bietet einen Rahmen, der im Weiteren an den
verschiedenen Straßen und Plätzen ausgestaltet werden muss. Das Konzept
sieht ein Kreuz von Hauptstraßen und dazu noch einige kurze
Straßenabschnitte „ohne allgemeinen Kfz-Verkehr“ vor. Anwohner sollen
zwischen 23 und 11 Uhr einfahren können. Ausnahmen gibt es für Menschen mit
Behinderung, Anwohner mit Parkplätzen im Hof oder Taxen.
In höchstens 150 Metern Entfernung soll es Ladepunkte geben, an denen PKW
und Lieferfahrzeuge halten können. Der Autoverkehr soll in vielen separaten
Schleifen in das Quartier hinein- und wieder hinausgeführt werden, sodass
Schleich- und Durchgangsverkehr vermieden wird. Insgesamt 330 öffentliche
Parkplätze im Straßenraum fallen weg. Entgegen dem Beschluss der
Bezirksversammlung sollen aber 90 solcher Parkplätze erhalten bleiben. Am
Rande des Projektgebiets gibt es zwei öffentliche Parkhäuser.
Ziel ist es, Platz freizumachen für breite Gehsteige, Stadtmöbel und
Pflanzinseln. Was die Bürger und Gewerbetreibenden mit den Flächen
anfangen, ist im ordnungsrechtlichen Rahmen ihrer Fantasie überlassen.
Einige Straßen sind explizit für eine Begrünung vorgesehen, andere als
Hauptrouten für den Fahrradverkehr ausgewiesen. Eine Fahrradstraße soll von
Norden nach Süden durch das Gebiet führen, flankiert von großzügigen
Flächen für Flaneure.
Die Fahrradstraße illustriert auch einen drohenden Konflikt, denn sie
kreuzt den Beginn einer Fußgängerzone. Wie verhindert werden soll, dass
hier Fußgänger und Radler einander an den Kragen gehen, ist eine offene
Frage. Bei der Anhörung mit ihrem nicht repräsentativen Publikum gab es
Kritik an aggressiven Radlern, die auf Gehsteigen oder in der Fußgängerzone
führen und sich nichts sagen ließen. Andere monierten den Wegfall von
Parkplätzen und fürchteten, die Parkplatzsuche und der Verkehr könnte in
benachbarte Quartiere verdrängt werden.
Die Verlagerung auf die Umliegenden könne qualitativ abgeschätzt werden,
heißt es in der [3][Zusammenfassung des Verkehrskonzept]. Die Erfahrung
zeige, dass die Sperrung einer Straße in der Regel nicht zu mehr Verkehr in
Parallelstraßen führe. „Stattdessen weicht ein großer Teil des bisherigen
Kfz-Durchgangsverkehrs großräumig oder auf andere Verkehrsmittel aus“,
schreiben die Autoren aus Bezirksamt und dem Planungsbüro Argus. Von den
Anwohnern besitzen ohnehin nur 27 Prozent ein Auto, gegenüber hamburgweit
34 Prozent.
## Sorge vor noch mehr Nachtleben
Einige Redner sorgten sich um auch künftig zu viel Verkehr in ihrer Straße,
andere wiederum befürchteten, dass das ohnehin schon attraktive Viertel
noch anziehender werden könnte. „Für wen machen wir Platz?“, fragte ein
Anwohner. „Ich habe Sorge, dass wir noch mehr Nachtleben haben werden.“
Der Sprecher der Berufsgenossenschaft Verkehr stellte die Frage, wie der
Lieferverkehr für seine 600 Kollegen abgewickelt werden solle. Und die
Besitzerin eines Blumenladens in einem „Bereich ohne allgemeinen
Kfz-Verkehr“ kritisierte, die vorgesehene Lieferzeit passe nicht zu ihrer
Geschäftspraxis.
Klagen über mangelnde Beteiligung und Transparenz konnten die Vertreter des
Bezirksamts mit Hinweisen auf das Verfahren abschmettern: 120
Gewerbetreibende seien aufgesucht und befragt worden, es habe
Infoveranstaltungen, Workshops und Fokusgruppen gegeben mit 625 Teilnehmern
und 2.000 Online-Beiträgen.
25 May 2022
## LINKS
[1] /Das-Ringen-um-den-Parkraum/!5807133
[2] /Verkehrsberuhigung-in-Hamburg--Ottensen/!5658130
[3] https://www.hamburg.de/altona/freiraumottensen/16133234/vorzugsvariante-ver…
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Verkehrswende
Mobilität
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Altona
Verkehrspolitik
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