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# taz.de -- Rede an die Nation: Dem Erpresser nicht nachgeben
> Kanzler Olaf Scholz erklärt seinen Kurs. Keinesfalls Kriegspartei werden,
> aber: Ja zu schweren Waffen. Der Stimmungstrend ist dagegen.
Bild: Scholz nutzte die Gelegenheit auch, um vom Wahlergebnis im Norden abzulen…
Zwei Tage, ein Ereignis, zwei Deutungen. Am 8. Mai 1945 endete der Zweite
Weltkrieg, Nazi-Deutschland hatte bedingunglos kapituliert vor den
Streitkräften der Alliierten. In Deutschland feiert man die Kapitulation
als [1][Tag der Befreiung]. Russland feiert den Tag am 9. Mai als Tag des
Sieges. Mit Spannung wird erwartet, welche Worte der russische Präsident
Wladimir Putin an diesem Montag findet und mit Sorge, ja Furcht beobachtet,
welche Taten wohl folgen.
Russland hat den 9. Mai als [2][Tag des Sieges] für sich gekapert, obwohl
es die Sowjetarmee war, die die Wehrmacht ab 1942 unter riesigen Verlusten
zurückdrängte, eine Armee, in der neben Russ:innen und anderen Völkern
auch 6 bis 7 Millionen Ukrainer:innen kämpften. So wie Russland ja auch
ehemalige Sowjetrepubliken wie die Ukraine heute als Teile des eigenen
Herrschaftsgebietes wieder für sich reklamieren möchte.
Den Krieg gegen die Ukraine deutet Putin nun als Fortsetzung des Sieges
über Nazi-Deutschland um – auch hier geht es ja angeblich um
Denazifizierung. Geschichtsfälschung, die sich gerade verselbständigt und
ins Absurde gesteigert wird, bis hin zu der Behauptung des russischen
Außenministers, Hitler habe jüdische Wurzeln gehabt. Dafür immerhin musste
sich Wladimir Putin bei Israel entschuldigen.
Der deutsche Kanzler [3][Olaf Scholz hat seine eigenen Worte gefunden am
Tag der Befreiung]. Er hat die Geschichtsklitterung zurechtgerückt, hat
noch einmal deutlich gemacht, dass Russen und Ukrainer gemeinsam den
Nationalsozialismus niedergerungen haben. Hat erneut betont, dass
Deutschland sich an beiden Nationen schuldig gemacht habe.
## Nur Putin ist der Feind
Das ist eigentlich alles längst bekannt und selbstverständlich. Doch was
bis gestern selbstverständlich schien, ist heute diskutabel. Scholz weist
damit jene Kritiker:innen, vor allem aus dem linken Spektrum, in die
Schranken, die meinen, Deutschland dürfe keine Waffen an die
Ukrainer:innen liefern, denn aus historischer Verantwortung dürften nie
wieder deutsche Waffen gegen russische Soldat:innen gerichtet werden.
Zum anderen erteilt er jenen eine Absage, die finden, die deutsche Politik
sei immer noch viel zu russophil und aktuell seien alle Russ:innen Feinde
der Ukrainer:innen. Scholz behauptet stattdessen unverdrossen: Putin wolle
die Ukraine unterwerfen, es sei Putins Angriffskrieg. Natürlich wird man im
Kanzleramt wissen, dass Putin erhebliche Unterstützung in der russischen
Bevölkerung genießt.
Der Kreml muss keine Statisten anwerben und bezahlen, damit genügend
Menschen der Militärparade am 9. Mai auf der Twerskaja zujubeln. Dennoch
verzichtet Scholz darauf, Russland als Nation an den Pranger zu stellen.
Auch das ist eine Lehre aus der Geschichte. Schließlich haben es die
Nachbar:innen auch den Deutschen verziehen, dass sie mehrheitlich die
NSDAP gewählt und Hitler zugejubelt haben.
Die Geschichte lehrt uns auch: Mit Diplomatie allein lassen sich Diktatoren
nicht abschrecken. Deutschland unterstützt die Ukraine deshalb mit Waffen –
aus historischer Verantwortung, wie Scholz betont. Der Kanzler hat die
Gelegenheit genutzt, seinen Kurs erneut zu erläutern, der da lautet:
Umsicht (eigene Verteidigungsfähigkeit erhalten), Rücksicht (auf unsere
Interessen), Vorsicht (bloß nicht Kriegspartei werden) und keine
Alleingänge.
## Weniger Zustimmung für schwere Waffen
Vier Prinzipien, die viele Menschen umtreiben. Die Zustimmung zur
[4][Lieferung von Panzern] und ähnlich durchschlagkräftigen Waffen ist seit
Kriegsbeginn gesunken, die Bevölkerung ist gespalten. Gespalten ist sie
auch im Hinblick auf die Sanktionen gegen Russland. Im Osten Deutschlands
sind diese stark umstritten, jede zweite findet sie falsch. Das ist o.k.,
denn Furcht ist kein Makel, wie manche meinen, sondern zutiefst menschlich.
Es ist deshalb richtig, dass Scholz nun verstärkt die Öffentlichkeit sucht
und seine Politik erläutert – auch wenn die Erklärung diesmal zeitlich wie
zufällig die Nachrichten über ein historisch schlechtes
Landtagswahlergebnis der Sozialdemokraten überlagert. Ein Tipp: Vielleicht
sollte sich Scholz bei der nächsten Regierungserklärung von einer Gruppe
Rufer:innen flankieren lassen, wie am 1. Mai auf der DGB-Kundgebung in
Düsseldorf.
Die belebende Wirkung eines solchen Schreichors auf den Kanzler war
erstaunlich. Fehlenden Mut hatte ihm nach diesem Auftritt jedenfalls
niemand attestiert.
9 May 2022
## LINKS
[1] /Tag-der-Befreiung-und-Kriegsende/!5852928
[2] /Vereinnahmung-des-Tages-des-Sieges/!5850567
[3] /Rede-von-Olaf-Scholz-zum-8-Mai/!5853214
[4] /Putins-Krieg-in-der-Ukraine/!5849706
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Rede an die Nation
Olaf Scholz
Panzer
SPD Schleswig-Holstein
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
GNS
Lesestück Recherche und Reportage
Olaf Scholz
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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