# taz.de -- Weltsozialforum in Mexiko: Die Pflege der Vorurteile | |
> Beim globalisierungskritischen Treffen finden Aktivist:innen aus der | |
> Ukraine wenig Gehör. Vom Glamour des Happenings ist wenig geblieben. | |
Bild: Politische Plakate in Mexiko | |
Mexiko Stadt taz | Nina Potarska hatte wirklich keinen leichten Job. Die | |
ukrainische Feministin und Friedensaktivistin war nach Mexiko-Stadt | |
gereist, um auf dem Weltsozialforum (WSF) Anfang Mai über die Lage in ihrem | |
Land zu informieren. Dass sie beim Versuch, über die | |
[1][Menschenrechtsverletzungen der russischen Invasoren] zu sprechen, auf | |
begrenztes Interesse stoßen sollte, ist wenig verwunderlich. | |
Schon immer hatte das internationale globalisierungskritische Treffen einen | |
Hang dazu, den Feind der „Völker“ vorrangig in Washington zu suchen. | |
Unvergessen der Auftritt des damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo | |
Chávez, der 2006 vor einer ekstatisch tobenden Menge in Caracas das | |
US-Imperium geißelte. Unvergessen auch die vielen Plakate, die den | |
Ex-US-Präsidenten George Bush mit Hitlerbärtchen zeigten. | |
Das war freilich nur eine Seite des WSF. Es war immer auch ein Austauschort | |
für Vertreter*innen indigener, gewerkschaftlicher, feministischer, | |
migrantischer und anderer Organisationen. Doch vom alten Glamour des | |
globalisierungskritischen Happenings, von den Partys, den bunten Demos mit | |
Zehntausenden von Teilnehmer*innen, war jetzt in Mexiko mit etwa 3.000 | |
Teilnehmer*innen wenig geblieben. Vielleicht lag’s an der Pandemie, | |
vielleicht an der restriktiven Einreisepolitik der mexikanischen Regierung, | |
aber sicher auch daran, dass das WSF in seiner unverbindlichen Diversität | |
auf aktuelle Fragen keine Antworten findet. | |
Die Ukrainerin Potarska wollte darüber reden, [2][dass die russische Armee | |
Züge, Häuser und Tankstellen bombardiert.] Doch für viele, so sagt sie, | |
seien geostrategische Fragen im Vordergrund gestanden: „Sie wollen der | |
einen oder anderen Seite folgen, reden den Schaden klein, interessieren | |
sich nicht für das Leiden der Bevölkerung und die Dimension der | |
Menschenrechtsverletzungen.“ | |
## Menschenrechte und Weltbilder | |
Das ist bemerkenswert, denn gerade in der beim WSF dominanten | |
lateinamerikanischen Linken ist die Durchsetzung der Menschenrechte | |
zunehmend in den Mittelpunkt gerückt und hat einstige revolutionären | |
Visionen ersetzt. Geblieben ist jedoch eine manichäische | |
antiimperialistische Ideologie, in der Menschenrechte – wie auch bei ihren | |
Gegner*innen – nur dann eine Rolle spielen, wenn sie das eigene Weltbild | |
bestätigen. | |
Während man jede Rebellion im eigenen Land zum selbstbestimmten Kampf des | |
Volkes gegen das Imperium verklärt, werden die Akteur*innen des | |
Euromaidan oder des Arabischen Frühlings erst gar nicht als Individuen mit | |
legitimen Forderungen wahrgenommen. Die Aktivist*innen der | |
Maidanbewegung sind folglich nichts als Handlanger für einen Putsch. Im | |
Gegensatz zu den eigenen heroischen Freiheitskämpfer*innen verkommen | |
jene, die sich der russischen Invasion entgegenstellen, zu Lakaien des | |
US-Imperialismus. | |
So bezeichnet der chilenische Autor Pablo Jofre Leal [3][die Stadt | |
Mariupol] nach der Eroberung zufrieden als „Friedhof des ukrainischen | |
Nazismus“. Wer für die Grausamkeiten des Kriegs in der Ukraine | |
verantwortlich ist, steht ohnehin außer Frage: „Der in den Büros der Nato, | |
des Weißen Hauses und des Pentagon geschaffene Konflikt entblößt die | |
Barbarei des Westens“, erklärt Marcos Roitman Rosenmann in der linken | |
mexikanischen Tageszeitung La Jornada. Auch das Ziel sei klar: „Russen | |
ermorden.“ | |
Solche Dummheiten und Widerlichkeiten sind keine Ausnahmen. [4][Sie stehen | |
in Lateinamerika leider beispielhaft für einen relevanten Teil linker | |
Stellungnahmen zum Ukrainekrieg.] Und wer will schon an seinen Gewissheiten | |
kratzen, in dem er oder sie sich mit Berichten über Vergewaltigungen oder | |
Morden russischer Soldaten beschäftigt. Womöglich könnte die Frage nach | |
Sanktionen oder gar Waffenlieferungen auftauchen. | |
„Irgendwie müssen wir uns ja verteidigen“, sagte auch die | |
Friedensaktivistin Nina Potarska, trotz großer Zweifel. Kaum anzunehmen, | |
dass viele dieser „Internationalisten“ sie unterstützen. | |
16 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Ukraine-in-der-Gegenoffensive/!5850406 | |
[2] /Reportagen-aus-dem-Donbass/!5838185 | |
[3] /Bis-zu-600-Tote-im-Theater-Mariupol/!5852827 | |
[4] /USA-Feindlichkeit-in-Lateinamerika/!5838491 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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