# taz.de -- Wegen gestiegener Preise für Nahrung: Kritik an Lebensmittel-Speku… | |
> Foodwatch will strengere Regeln für den Börsenhandel mit Nahrungsmitteln. | |
> Dabei ist umstritten, ob solche Geschäfte für Hunger mitverantwortlich | |
> sind. | |
Bild: Wer kann sich das leisten? Im indischen Hafen Adani wird Weizen in ein Sc… | |
BERLIN taz | Weil wegen stark gestiegener Lebensmittelpreise in | |
Entwicklungsländern Hunger droht, hat die VerbraucherInnenorganisation | |
Foodwatch Exzesse bei der Spekulation mit Agrarrohstoffen kritisiert. Die | |
„Finanzwetten“ an den Rohstoffbörsen würden die aktuellen Preisanstiege | |
etwa für Getreide zusätzlich befeuern. Um das zu verhindern, müsse die | |
Europäische Union die Zahl der zu Spekulationszwecken geschlossenen | |
Warenterminverträge pro Handelsteilnehmer begrenzen, forderte Foodwatch am | |
Montag. | |
Zudem sei Transparenz darüber nötig, wer über welche Getreidereserven | |
verfügt. Nur so könne die Angst vor Knappheit ausgeräumt werden, die zu | |
höheren Preisen beiträgt. Die „Bürgerbewegung Finanzwende“ verlangte | |
strengere Positionslimits für Warenterminkontrakte und mehr Transparenz zum | |
Handel mit ihnen. | |
Der Nahrungsmittelpreisindex der UN-Ernährungs- und | |
Landwirtschaftsorganisation (FAO) erreichte im März seinen bisher | |
[1][höchsten Stand]. Im April lag er immer noch rund 30 Prozent höher als | |
vor einem Jahr. Besonders stark verteuerte sich zum Beispiel Weizen im Zuge | |
des russischen Angriffs auf die Ukraine. Denn beide Länder lieferten bisher | |
30 Prozent der globalen Weizenexporte, von denen nun große Mengen | |
auszufallen drohen. Die hohen Preise könnten dazu führen, dass noch mehr | |
Menschen in Entwicklungsländern hungern müssen. | |
„Die Preise steigen, weil Unternehmen und Regierungen befürchten, nicht | |
mehr ausreichend Weizen, Sonnenblumenöl oder andere Grundnahrungsmittel | |
kaufen zu können“, sagte Matthias Wolfschmidt, Strategiedirektor von | |
Foodwatch International. Aber er ergänzte: „Finanzspekulanten befeuern die | |
stark steigenden Agrarrohstoffpreise zusätzlich.“ Diese handeln an Börsen | |
etwa in Chicago und Paris mit Future-Kontrakten über die Lieferung von | |
Rohstoffen zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem vorher | |
festgelegten Preis. | |
Wer einen „Future“ besitzt, hofft, die Waren später für mehr Geld verkauf… | |
zu können, als der Kontrakt gekostet hat – oder ihn vor Ende der Laufzeit | |
gewinnbringend an der Börse zu veräußern. So übernehmen die Händler | |
beispielsweise für die Bauern das Kursrisiko, das bei vom Wetter abhängigen | |
Produkten wie Getreide besonders hoch ist. | |
Ob dieser Handel tatsächlich die Preise künstlich erhöht, ist umstritten. | |
Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger [2][Paul | |
Krugman] etwa sprach die Spekulanten bei früheren Hochpreisphasen frei. Er | |
schrieb, dass die Preise 2011 stiegen, weil tatsächlich in den Lägern | |
weniger Lebensmittel vorhanden gewesen seien. | |
Auch die derzeitigen Preise sieht Udo Hemmerling, stellvertretender | |
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, durch reale Faktoren | |
bedingt: „Eine Pauschalkritik an ‚Agrarspekulation‘ ist populistisch, weil | |
es für die Landwirte eine Risikoabsicherung ihrer Ernten ist. Aktuell geht | |
es um eine Absicherung gegen die stark gestiegenen Inputkosten für | |
Düngemittel und Treibstoffe“, sagte Hemmerling der taz. Für | |
Warenterminmärkte bestünden bereits seit 2018 detaillierte EU-Vorgaben für | |
Positionslimits, um Marktbeeinflussungen größerer Akteure auszuschließen. | |
Foodwatch räumte auf Nachfrage ein, es gebe diese Vorgaben – aber sie | |
reichten nicht. „Eine international verlässlichere Erfassung der | |
Getreidevorräte wäre sicherlich hilfreich, aber scheitert in der Realität | |
vor allem an der Geheimniskrämerei und mangelnden Kooperation Chinas“, | |
ergänzte Hemmerling. | |
## Ampelkoalition hat schärfere Regeln versprochen | |
Der Münchener Mischkonzern Baywa, der selbst Getreide-Futures nutzt, | |
argumentierte: „Hohe Handelsvolumen können Preisbewegungen kurzfristig | |
durchaus überzeichnen. Mittel- und langfristig unterliegt die Preisfindung | |
allerdings den grundsätzlichen Regeln von Angebot und Nachfrage in den | |
physischen Märkten.“ Strengere Positionslimits würden auch jene treffen, | |
die mit Warentermingeschäften umsichtig umgingen, sagte eine | |
Unternehmenssprecherin der taz. | |
Finanzwende-Sprecher Julian Merzbacher äußerte sich denn auch vorsichtiger | |
als Foodwatch: „Wenn Agrarspekulanten die Preise tatsächlich immer weiter | |
in die Höhe treiben, dann müssen wir das unterbinden“, schrieb er der taz. | |
Wegen dieser Möglichkeit verlangte er aber ebenfalls neue Regeln für | |
Warentermingeschäfte. | |
Das von der FDP geführte Bundesfinanzministerium wies auf Anfrage der taz | |
nur darauf hin, dass das Thema im Vertrag der Ampelkoalition stehe. Darin | |
heißt es: „Die Spekulation mit Nahrungsmitteln wollen wir durch die | |
Absenkung der Positionslimits auf europäischer Ebene [3][begrenzen].“ Das | |
Agrarministerium von Cem Özdemir (Grüne) teilte mit, die | |
EU-Finanzmarktrichtlinie stelle bereits sicher, „dass alle Teilnehmenden an | |
den europäischen Warenderivatemärkten Regulierung und Aufsicht | |
unterliegen.“ Der Bankenverband erklärte, ihm lägen keine aktuellen | |
Informationen zum Thema vor. | |
9 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.fao.org/worldfoodsituation/foodpricesindex/en/ | |
[2] https://krugman.blogs.nytimes.com/2011/02/05/soaring-food-prices/ | |
[3] https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/ | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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