| # taz.de -- Der PEN und Deniz Yücel: Showdown in Gotha | |
| > Der PEN ringt um Führungsfragen und Erneuerung. Die | |
| > Schriftstellervereinigung muss nun über ihren aktuellen Präsidenten Deniz | |
| > Yücel entscheiden. | |
| Bild: In Gotha wird über Abwahlanträge gegen ihn abgestimmt: Deniz Yücel | |
| Es geht um etwas. Das ist deutlich herauszuhören, wenn man in diesen Tagen | |
| mit Mitgliedern des deutschen PEN telefoniert, mit langjährigen und neuen, | |
| mit engagierten und bislang eher stummen, mit [1][Kritiker*innen des | |
| Präsidenten Deniz Yücel] und mit seinen Verteidiger*innen. Und es geht | |
| keineswegs nur um Yücel. Vielmehr steht für viele die Deutungshoheit über | |
| den PEN auf dem Spiel, über seine Ausrichtung, seinen Sinn und Zweck und | |
| die jeweils eigene Rolle darin. | |
| Von Donnerstag bis Sonntag werden sich die Mitglieder der | |
| Schriftstellervereinigung in Gotha treffen. Sie werden Preise verleihen und | |
| neue Mitglieder hinzuwählen wie immer, sie werden über den Krieg in der | |
| Ukraine diskutieren, das auch, vor allem aber werden sie darüber abstimmen, | |
| ob ihr erst im vergangenen November mit großer Mehrheit gewählter Präsident | |
| weiter Präsident bleiben wird, und damit werden sie über die Zukunft des | |
| PEN entscheiden. Wendungen wie „Showdown in Gotha“ fallen am Telefon. „Es | |
| steht Spitz auf Knopf“, sagt einem [2][Ursula Krechel,] die | |
| Ehrenpräsidentin des PEN. | |
| Als Journalist wird man in dieser Situation mit Hintergründen nicht einfach | |
| nur versehen, sondern geradezu munitioniert. Empört wird betont, dass Yücel | |
| seiner eigenen Institution „Bratwursthaftigkeit“ vorwirft. Von | |
| Übergriffigkeiten in den Abläufen ist die Rede, von Ausfälligkeiten in | |
| Sitzungen und dass das Verhältnis zur Geschäftsstelle des PEN in Darmstadt | |
| eskaliert sei. Yücel habe die „Mindeststandards des menschlichen Umgangs | |
| nicht eingehalten“, sagt die Schriftstellerin [3][Petra Reski,] die zu | |
| Yücels schärfsten Kritiker*innen gehört, am Telefon. | |
| Der Schriftsteller Joachim Helfer, Schatzmeister des PEN und Yücels | |
| Mitstreiter, weist jegliche Mobbingvorwürfe zurück; der Justiziar habe das | |
| geprüft und kein Mobbing festgestellt. Helfer spricht dagegen von einer | |
| „Tontaubheit“ gegen manche notwendigen Veränderungen. | |
| „Der PEN ist weniger divers und männlicher, als er sein müsste“, sagt | |
| Helfer und illustriert das mit einer tatsächlich haftenbleibenden Anekdote: | |
| Noch 2017 wurde auf einer PEN-Versammlung über das an sich interessante | |
| Problem von Repräsentation in der Demokratie diskutiert – von einem Podium, | |
| auf dem ausschließlich weiße Männer vom Typus emeritierter Professor um die | |
| 70 saßen, was aber ein Großteil der Zuhörer*innen gar nicht als Problem | |
| wahrgenommen habe. | |
| ## PEN ein Honoratiorenverein? | |
| Die Schriftstellerin Regula Venske, die Vorgängerin von Yücel im | |
| Präsidentenamt des PEN, ist dagegen verblüfft darüber, wie stark in der | |
| Öffentlichkeit noch das Bild des PEN als „Honoratiorenverein“ vorherrscht. | |
| Sie gibt zu, auch selbst in den ersten Jahren ihrer Mitgliedschaft mit dem | |
| PEN gefremdelt zu haben, doch spätestens seit der Präsidentschaft von | |
| Joseph Haslinger ab 2013 habe es doch deutliche Ansätze zu einer Verjüngung | |
| und Erneuerung gegeben. Und auch vorher habe es stets Bemühungen in diese | |
| Richtung gegeben, etwa 1999 durch die [4][Gründung des | |
| Writers-in-Exile-Programms] durch Michael Naumann. | |
| Tatsächlich, so kann man Venske ergänzen, hat Haslinger 2016 in der | |
| PEN-intern etwas ironisch „Massentaufe in Bamberg“ genannten | |
| Mitgliederversammlung viele jüngere Autor*innen in den PEN zuwählen | |
| lassen. Doch wenn man weiter herumtelefoniert, erfährt man auch, dass | |
| vielen von ihnen Widerstände seitens der älteren Mitglieder | |
| entgegenschlugen. Einer der 2016 neu Zugewählten, der nicht namentlich | |
| zitiert werden möchte, sagt: „Man wurde von einigen Älteren gegängelt wie | |
| ein Zwölfjähriger. Sobald man sich nicht eingeordnet hat, wurde man | |
| kleingemacht mit dem Argument: Du hast doch gar keine Lebenserfahrung.“ | |
| Auch andere berichten einem von solchen Ressentiments. | |
| Es sind, wenn man sich umhört, sehr unterschiedliche Wahrnehmungen, die | |
| hier aufeinanderprallen (die Möglichkeit von Mediationen rund um die | |
| Geschäftsstelle des PEN wurde intern besprochen, aber von den Beteiligten | |
| nicht angenommen). Man erfährt aber auch einiges davon, wie viel | |
| Engagement, Identifikation und Herzblut auf allen Seiten in dieser | |
| Institution vorhanden sind, die – auf dieses internationale Selbstbild | |
| weist Regula Venske im Gespräch hin – sich vorgenommen hat, die Literatur | |
| zu feiern und die Freiheit der Rede sowie die Menschenrechte zu | |
| verteidigen. Oder vielleicht sollte man eher sagen: vorhanden sein könnten, | |
| wenn es denn gelänge, die unterschiedlichen Perspektiven sinnvoll zu | |
| kanalisieren. | |
| ## Zu viel toxische Männlichkeit | |
| Was steht dem zurzeit entgegen? Der Eindruck ist, dass viele der aktuellen | |
| Probleme keineswegs erst durch Deniz Yücel in den PEN hineingetragen | |
| wurden, vielmehr bricht jetzt – auch in der durch seine Person erst | |
| geschaffenen medialen Aufmerksamkeit – vieles auf, was bislang unterm | |
| Deckel gehalten wurde. | |
| Auf der anderen Seite ist aber auch die von ihm selbst und von seinen | |
| Verteidigern nahegelegte Sicht, nun würden endlich Erneuerer gegen | |
| Besitzstandswahrer stehen, zu eng. Außerdem ist auch von jüngeren | |
| Mitgliedern Skepsis, was Yücels Teamfähigkeit betrifft, zu hören – ein | |
| Mitglied, das nicht namentlich zitiert werden will, schreibt in einer Mail | |
| an die taz von „zu viel [5][toxischer Männlichkeit] auf allen Seiten“. | |
| Solche Vorwürfe sind kein Pillepalle. Nun, „Besserung ist gelobt“, wie | |
| Ursula Krechel, die sich, alles in allem, hinter Yücel stellt, am Telefon | |
| sagt, wobei sie auf eine PEN-öffentliche Entschuldigung Yücels anspielt. | |
| Ein strukturelles Problem könnte sich nun allerdings ein Stück weit lösen. | |
| Es besteht schlicht darin, dass vor allem junge Autor*innen in | |
| Deutschland wenig Geld verdienen und es sich nicht leisten können, mehrere | |
| Arbeitstage am Stück auf unbezahlten Präsidiumskonferenzen zu verbringen | |
| oder auf eigene Kosten Hotels und Zugfahrten zu den an wechselnden Orten | |
| stattfindenden Mitgliederversammlungen zu buchen; emeritierte Professoren | |
| können das aber schon. Was zu Unwuchten in der Repräsentanz und einem nicht | |
| mehr an der Speerspitze der Gegenwartsdebatten stehenden Diskussionsstil | |
| führte. | |
| ## Selbstgerechte Empörung | |
| Die Mitgliederversammlung wird in Gotha erstmals hybrid stattfinden, sodass | |
| man sich nun auch von Berlin-Neukölln und anderen aktuellen | |
| Autor*innen-Wohnorten aus zuschalten kann. Womöglich ändert schon diese | |
| technische Neuerung den Debattenstil. | |
| Über den bisherigen kann man am Telefon einige Anekdoten hören. Es gebe | |
| einen großen Drang zur selbstgerechten Empörung, hört man, und: „Irgendwann | |
| sind alle im Wolf-Haas-Brenner-Modus: Es ist schon wieder was passiert …“ | |
| Doch es ist ja nicht ausgeschlossen, dass in der nun immerhin hergestellten | |
| Entscheidungssituation von Gotha auch sachlich und selbstreflektiert | |
| diskutiert wird. | |
| Das könnte die sehr unterschiedlichen Ansichten zum Selbstverständnis des | |
| PEN betreffen, die kursieren. Sie reichen von der | |
| Schriftstellervereinigung, in der Autor*innen sich untereinander | |
| gesellig treffen können, bis zur großen Geschichte der weltweit tätigen | |
| NGO, die sich um verfolgte Schriftstellerinnen kümmert und gegen alle | |
| Diktaturen für Gedankenfreiheit in die Bresche springt. Und das könnte die | |
| Frage betreffen, wie die Figur des engagierten Intellektuellen in die | |
| Gegenwart überführt werden kann, mit ihren sozialen Netzwerken und | |
| Notwendigkeiten zur Erzeugung von Aufmerksamkeit. | |
| 9 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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