# taz.de -- Palmer-Konkurrentin über Kandidatur: „Zur Demokratie gehört der… | |
> Die Grüne Ulrike Baumgärtner will Bürgermeisterin Tübingens werden. Ein | |
> Gespräch über politischen Stil und Unterschiede zum Amtsinhaber Boris | |
> Palmer. | |
Bild: Palmer-Konkurrentin Ulrike Baumgärtner will Bürgermeisterin in Tübinge… | |
taz: Frau Baumgärtner, Sie treten als grüne Kandidatin in Tübingen gegen | |
Boris Palmer an, der diesmal [1][ohne die Partei im Rücken in den Wahlkampf | |
zieht.] Wer ist hier David und wer Goliath? | |
Ulrike Baumgärtner: Ich trete nicht als Gegenentwurf zu jemandem an, | |
sondern für Tübingen. Und tatsächlich habe ich mich, anders als Boris | |
Palmer, der Urwahl gestellt und bin von den Mitgliedern der Partei als | |
Kandidatin gewählt worden. Damit stehen in meinem Rücken der hiesige | |
Stadtverband und auch weite Teile der Partei. Ob mich das zu Goliath macht, | |
weiß ich nicht, aber es ist eine getragene Kandidatur. | |
55 Prozent der Mitglieder haben sich für Sie als einzige Kandidatin | |
ausgesprochen. Viele sagen: „nur“ 55 Prozent. Waren Sie denn mit dem | |
Ergebnis zufrieden? | |
Natürlich wären 70 Prozent besser gewesen, das ist logisch. Auf der anderen | |
Seite war es trotzdem eine Wahl zwischen Boris Palmer und mir, auch wenn | |
ich allein auf dem Zettel stand. So gesehen fand ich es dann eindeutig. Bei | |
einem klassischen Kandidatenduell mit anschließender Abstimmung, was wegen | |
Corona nicht möglich war, wäre schon eine Stimme mehr ein unglaublicher | |
Sieg gewesen. Mir zeigt das Ergebnis: Die Mitglieder wünschen sich eine | |
Erneuerung grüner Politik. | |
Die Alternative Liste, die mit den Grünen eine Fraktion bildet, hat sich | |
mehrheitlich für Boris Palmer ausgesprochen. Droht die Spaltung? | |
Bisher sind wir in Tübingen gut damit gefahren zusammenzubleiben. Geplant | |
war, dass wir eine gemeinsame Kandidatin oder einen gemeinsamen Kandidaten | |
finden. Es kann aber sein, dass Palmer Kandidat der Alternativen Liste | |
wird. | |
Ihnen war natürlich klar, dass es eine schwierige Gemengelage ist. Warum | |
sind Sie trotzdem angetreten? | |
Weil ich glaube, die Stadt braucht ein anderes Angebot, und das bin ich. | |
Die Unterschiede zu Palmers Politik muss man in Ihrem Programm mit der Lupe | |
suchen. | |
Ich greife ganzheitlichere Ansätze auf. Zum Beispiel sind die Aufwertung | |
von Grünflächen und die Stärkung von Biotopverbunden bisher nicht so sehr | |
vorangetrieben worden. Das sind auch Resilienzstrategien, mit denen wir | |
Hochwasser und Hitzesommern etwas entgegensetzen müssen. [2][Dass Tübingen | |
politisch grün] ist, merkt man dem Stadtbild auf den ersten Blick nicht | |
immer an. | |
Klingt eher nach Veränderungen im Detail. | |
Das kann man so sehen. Aber ich unterscheide mich auch im sozialen Bereich. | |
Wir müssen dafür sorgen, dass wir als Vorzeigestadt für gelungene | |
Integration wahrgenommen werden. Ob für Studenten oder für Flüchtlinge, wir | |
haben eine sehr vielfältige Stadt und können gelungene Modelle | |
präsentieren. Und das wurde [3][von der Stadtspitze bisher nicht gerade | |
vorangetrieben.] Außerdem möchte ich die Wirtschaft in ihrer ganzen | |
Bandbreite fördern, nicht nur die großen Ansiedlungen mit hohen | |
Gewerbesteuereinnahmen. | |
In den großen Themen, etwa der städtischen Klimapolitik und auch der Idee, | |
Wohnraum notfalls auch mit Enteignungen zugänglich zu machen, sind Sie mit | |
Palmer einig … | |
Ja, aber auch mit vielen anderen grünen Oberbürgermeistern, ob Katja Dörner | |
in Bonn, Alex Maier in Göppingen oder Uwe Schneidewind in Wuppertal. Das | |
ist halt grüne Kommunalpolitik, und da bin ich dabei. | |
So gesehen ist Tübingen mit Palmer eigentlich gut gefahren. | |
Es gibt viele Dinge, die positiv angestoßen wurden, aber zur Demokratie | |
gehört der Wechsel. Rotation ist ja auch ein Grundprinzip der Grünen. | |
Irgendwann ist man Teil eines Systems und auch mancher Diskussion | |
überdrüssig. Da entsteht dann die Haltung: Was wollt ihr alle von mir? Ich | |
weiß, wie es geht, ich bin der Macher. – Das schafft Enttäuschungen, und | |
man verliert ganz viele Unterstützer für wichtige Projekte. Das sehe ich | |
bei Palmer auf der Kippe. | |
Also ist die Wahl zwischen Palmer und Baumgärtner am Ende eine Stilfrage? | |
Ja, auch. Ich möchte inhaltlich vieles fortführen. Aber in einem anderen | |
Stil, um die Dinge auch wieder mit einer größeren Akzeptanz in der | |
Bevölkerung weiterbringen zu können. | |
Was ist denn der Baumgärtner-Stil? | |
Ich bin Politikwissenschaftlerin und denke in Prozessen: Wann muss ich wen | |
ins Boot holen, wann macht die Beteiligung einer Gruppe für unser Projekt | |
Sinn? Es reicht also nicht zu sagen: Um mehr Fotovoltaik auf die Dächer zu | |
bringen, mache ich das nur über die Stadtwerke, weil das der größte Hebel | |
ist. Da brauchen wir auch die Privathaushalte. Das ist vielleicht mühsamer, | |
aber tragfähiger. | |
Ende April kommt es im Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer zur | |
Verhandlung. Waren Sie für das Verfahren? | |
Dazu äußere ich mich nicht. Das ist nicht meine Baustelle. | |
Sie haben keine Meinung dazu? | |
Ich habe eine private Meinung dazu, wobei ich mich sehr bewusst auf die | |
kommunale Ebene der Politik konzentriere. Auch wegen solcher Fragen. Ich | |
finde diese Diskussionen müßig, wir brauchen Leute, die etwas vor Ort | |
umsetzen. Dieser Streit innerhalb der Partei ist für mich nicht | |
entscheidend. Und ich glaube, auch nicht für den OB-Wahlkampf in Tübingen. | |
Wie kommen Sie darauf? | |
Weil letztendlich eine Person gewählt wird. Und auch ich als grüne | |
Kandidatin bin ja jetzt gefragt, alle möglichen Bevölkerungsgruppen zu | |
überzeugen. Das muss jeder von uns. Deshalb sind Parteiverfahren dabei | |
nicht entscheidend. | |
Aber sind Sie nicht letztlich deshalb Spitzenkandidatin der Grünen | |
geworden, weil es dieses Parteiausschlussverfahren gibt? | |
Nein, das halte ich für eine gewagte These. Warum sollten die Grünen nicht | |
nach 16 Jahren auch ohne es einen neuen Kandidaten suchen? Wir stehen für | |
demokratischen Wechsel. Deshalb habe ich meine Kandidatur nie von dem | |
Parteiausschlussverfahren abhängig gemacht. Und ich glaube, Boris Palmer | |
hätte sich auch ohne das Verfahren nicht unbedingt einer Urwahl gestellt. | |
Denn es gab ja trotzdem die Gefahr, dass er verliert. Viele haben schon vor | |
dem Ausschlussverfahren gesagt: Nach 16 Jahren braucht es einen | |
demokratischen Wechsel. Das haben wir Grünen ja mit Niederlagen in anderen | |
Unistädten wie Freiburg oder Stuttgart schon schmerzlich erfahren. | |
21 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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