# taz.de -- Russischsprachige Community in Berlin: Die Stille nach dem Angriff | |
> Der Krieg gegen die Ukraine ist das große Thema in den russischsprachigen | |
> Communitys. Aber äußern dazu wollen sich nur wenige. Ein Rundgang. | |
Bild: Demo für den Frieden Ende April in Berlin | |
BERLIN taz | Der Krieg in der Ukraine dauert nun schon mehr als zwei | |
Monate, und man hat sich, so zynisch sich das auch anhören mag, ein wenig | |
an ihn gewöhnt. Auch in den russischsprachigen und postsowjetischen | |
Communitys in Berlin ist es ruhiger geworden. Kurz nach dem Einmarsch | |
Putins in der Ukraine Ende Februar wurden Restaurants, die russische | |
Speisen anbieten, bedroht; jetzt hat sich die Lage etwas entspannt. So | |
sieht das jedenfalls Michael Durnovtsev, dessen Eltern das Restaurant | |
Matreshka in Friedrichshain betreiben und der in dem Familienbetrieb | |
gelegentlich aushilft. | |
Auf der Speisekarte des Matreshka wird ein ukrainischer Salat genauso | |
angeboten wie ein russischer Neujahrssalat; auf der Homepage wird sich | |
„gegen Kriege auf dieser Welt“ ausgesprochen. Michael Durnovtsev berichtet, | |
direkt nach dem Überfall auf die Ukraine habe es ein paar Vorfälle gegeben: | |
Auf Plattformen, auf denen man das Restaurant bewerten kann, seien „nicht | |
angebrachte“ Fotos aufgetaucht, etwa mit Abbildungen von Grabsteinen. Und | |
man habe eine erpresserische E-Mail erhalten, die forderte, sofort 1.000 | |
Euro auf ein ukrainisches Spendenkonto zu überweisen, sonst würde es | |
richtig Ärger geben. Aber inzwischen, so Durnovtsev, sei alles wieder | |
normal und „entspannt“. | |
Klappert man in Friedrichshain Orte der postsowjetischen Communitys ab, | |
fällt schnell auf, dass nicht alle so offen reden wollen über den Krieg in | |
der Ukraine. Im Intermarket Jubi, der russische Lebensmittel anbietet, | |
sitzt eine Verkäuferin an der Kasse, der Laden ist recht leer. Formuliert | |
man eine Frage, in der das Wörtchen „Ukraine“ fällt, wird man nur mit | |
großen Augen angeschaut und bekommt dann zu hören: „Kein Kommentar“. | |
Im Intermarkt Stolitschniy, ein paar Blocks weiter, dasselbe Spiel: Ein | |
Schaschlikspießverkäufer vor dem Supermarkt, der gerade seinen fliegenden | |
Stand zusammenpackt, sagt nur, fast schon drohend: „Nicht fragen!“ | |
Woraufhin sich ein Mann einmischt, der sich als Russlanddeutscher zu | |
erkennen gibt und der findet, schon die Frage allein zu irgendetwas, das | |
mit der Ukraine im Zusammenhang steht, sei eine Unverschämtheit. Der | |
Schaschlikspießverkäufer raunt dann noch, er habe drei Kriege miterlebt, | |
und man wüsste jetzt natürlich gerne, welche das gewesen sein sollen. Aber | |
diese Information bekommt man nicht. | |
Ein wenig reden wollen hier, vor dem Intermarkt Stolitschniy, der mit | |
seinen eingeschlagenen Fensterscheiben ziemlich heruntergekommen wirkt, nur | |
eine ukrainische Mutter und ihr Sohn. Sie seien erst vor fünf Tagen aus | |
ihrer Heimat nach Berlin geflohen, sagen sie, während ein Mann sich | |
einmischt, der der Mutter ein Fläschchen Parfüm andrehen will, das ganz | |
offensichtlich vom Laster gefallen ist. | |
Sie gehen nicht in den Laden, sondern warten nur auf jemanden. Dass sie nun | |
hier in Berlin ausgerechnet vor einem russischen Laden stehen, fänden sie | |
gar nicht so seltsam. Die Produkte, die es in diesem zu kaufen gibt, seien | |
dieselben, die auch in der Ukraine angeboten würden. Aber es sei zu teuer | |
hier, man gehe lieber zu Lidl, erklärt der Junge. | |
Tatiana Golova, Soziologin am Zentrum für Osteuropa- und Internationale | |
Studien in Berlin, sagt, der Krieg in der Ukraine wirke stark hinein in die | |
postsowjetischen Communitys in Berlin. Doch für sie, genauso wie für Medina | |
Schaubert, Geschäftsführerin des Vereins Vision in Marzahn-Hellersdorf, die | |
sich um tiefere Einblicke in die russischsprachigen Communitys bemüht, sei | |
es gar nicht so leicht, an diese heranzukommen. Der Konflikt ziehe sich | |
sogar durch Familien und spalte diese, berichtet Schaubert. Darum hätten | |
sich viele angewöhnt, lieber gar nicht mehr über ein Thema zu reden, von | |
dem sie glauben, sich dabei Ärger einhandeln zu können – von welcher Seite | |
auch immer. | |
Im Katyusha, wo hausgemachte Pelmeni und natürlich Borschtsch angeboten | |
werden, will der Betreiber, der sich als Wolgadeutscher aus Sibirien | |
vorstellt, dann immerhin reden, aber sagen will er eigentlich auch nichts. | |
Außer, dass er froh sei, zuletzt kaum noch Anspielungen auf den Krieg in | |
seinem Restaurant vernommen zu haben. Aber dann fragt er, ob man in einem | |
Text über ihn sein Restaurant mit Namen nennen müsse. Eine Katyusha sei | |
schließlich ein russischer Raketenwerfer. | |
6 May 2022 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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8. Mai 1945 | |
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