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# taz.de -- Ukrainische Organisationen in Berlin: Unter russischem Dach
> Ukrainischen Organisationen fehlen Räume. Ein staatlich geförderter
> Verein, der UkrainerInnen berät, sitzt gar im Russischen Haus.
Bild: Das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur an der Friedrichstraße
Berlin taz | Ukrainische Vereine in Berlin fordern eigene Räume, in denen
sie sich treffen können, und eine institutionelle Förderung. „Wir brauchen
dringend ein Ukrainisches Kulturzentrum und ein Ukrainian Civic Society
Center in Berlin“, sagt Oleksandra Bienert von Cinemova – einem Verein, der
seit 2009 ukrainische Filme in Berlin zeigt, seit dem Krieg aber vor allem
soziale Aufgaben wahrnimmt.
Mit neun anderen Vereinen wie beispielsweise der Ukraine-Hilfe Berlin e.
V., der ukrainisch-orthodoxen Kirchengemeinde und einem ukrainischen
Radioverein haben sie sich zur Allianz ukrainischer Organisationen in
Berlin zusammengeschlossen. „Wir haben keine eigenen Räume, in denen wir
uns treffen und arbeiten können, und keine institutionelle Unterstützung“,
sagt Bienert. Der Sozialverwaltung ist das Problem bekannt, sagt Sprecher
Stefan Strauss. „Wir haben jedoch selbst keine Räume, die wir den Vereinen
überlassen können.“
Ende 2020 lebten 24.000 Menschen mit ukrainischen Wurzeln in Berlin, davon
13.000 mit ukrainischem Pass und 11.000 eingebürgerte ehemalige
UkrainerInnen. Seit Februar haben darüber hinaus 44.000 ukrainische
Kriegsflüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis in Berlin beantragt. Tendenz
steigend. Mit 68.000 Menschen ist die ukrainische Community damit aktuell
nach den Menschen mit türkischen (182.000) und polnischen Wurzeln (113.000)
und noch vor russischstämmigen Menschen (61.000) die drittgrößte
Zuwanderergruppe in Berlin.
Vor Kriegsbeginn standen UkrainerInnen jedoch nie im Fokus der Wahrnehmung
und der Integrationspolitik. Im Gegenteil: Sie wurden unter die
russischsprachigen Menschen subsumiert. Dementsprechend sehen auch die
Strukturen aus, die der Senat mit aufbaute.
Der Verein russischsprachiger BerlinerInnen Club Dialog bekommt
beispielsweise staatliche Mittel, um UkrainerInnen zu helfen, ihre in der
Ukraine erworbenen beruflichen Abschlüsse hier anerkennen zu lassen.
Ukrainische Vereine hatten sich allerdings auch nie um diese Aufgabe
beworben.
## Russisches Goethe-Institut mit Propaganda
Der Club Dialog hat seinen Sitz im Russischen Haus der Wissenschaft und
Kultur in der Friedrichstraße, einem Haus des russischen Staates,
vergleichbar etwa mit dem Goethe-Institut. Für viele UkrainerInnen war das
bereits vor Kriegsbeginn ein Problem. Das erzählt beispielsweise Anastasia
F., eine Physiotherapeutin, die seit 2012 in Berlin lebt. „Um meinen
Abschluss anerkennen zu lassen, musste ich in das Russische Haus gehen“,
sagt sie.
Das Haus, in dem der Verein sitzt und bis 2013 auch seine
Anerkennungsberatung durchführte, führt auch russische
Propagandaveranstaltungen durch. Indem Berlin den Verein fördert,
finanziert das Land durch die Mietzahlung des Vereins an das Russische Haus
Putins Staat. Stefan Strauss, Sprecher von Sozialsenatorin Katja Kipping
(Linke), sagt dazu: „Club Dialog e. V. hat in einer Vorstandssitzung
entschieden, das Russische Haus zu verlassen. Dies wurde uns vor drei
Wochen mitgeteilt.“
Die Geschäftsführerin des Vereins, Natalia Roesler, kennt die Ressentiments
nicht nur von ukrainischen Ratsuchenden, sondern auch von PolInnen und
russischen DissidentInnen. „Darum führen wir unsere Anerkennungsberatung
seit Jahren in anderen Räumen im Wedding durch“, sagt sie. „Wir wollen
unbedingt aus dem Russischen Haus ausziehen, aber wir haben noch keine
neuen Räume gefunden.“
Dort sitze der Verein seit der Zeit der Perestroika. Er hatte sich damals
als Diskussionsclub der Sowjetbürger in der DDR gegründet. „Unser
Verhältnis zum Russischen Haus hatte im Laufe der Jahre Höhen und Tiefen“,
sagt Roesler.
Dialog ist es auch, der an den Bahnhöfen mit Kinderschutzteams für
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge tätig ist. Und Dialog hat die Räume
und das Personal, um für Flüchtlinge aus der Ukraine
Informationsveranstaltungen durchzuführen, beispielsweise zur
Krankenversicherung in Deutschland. Ukrainischen Vereinen fehlen die Räume
und Strukturen.
## Fehlende Räume
Mit Kriegsbeginn hat die Allianz Ukrainischer Organisationen die
Möglichkeit bekommen, im polnischen Pilecki-Institut am Pariser Platz
Hilfsgüter für die Ukraine zu sammeln. Außerdem habe das Unternehmen
Zalando auf Vermittlung der Senatskanzlei temporär bis 12. Mai einen großen
Raum am Ostbahnhof für Beratungen und Treffen zur Verfügung gestellt, sagt
Bienert. „Wir sind diesen Institutionen sehr dankbar. Aber das ist keine
Dauerlösung. In den Raum bei Zalando dürfen versicherungstechnisch zudem
nur 50 Personen hinein und Kindern ist der Zutritt verwehrt.“ Die meisten
Flüchtlingsfrauen, die Beratung brauchen, hätten aber Kinder.
2014 hat sich auch in Berlin die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche von der
Russisch-Orthodoxen Kirche losgesagt. Doch während die russische Kirche
mehrere Kirchgebäude in Berlin unterhält, hatte die ukrainische nur ein
Gastrecht in der evangelischen Dorfkirche in Hermsdorf, um dort
Gottesdienste zu feiern. „Die ist viel zu klein geworden“, sagt Andrij Ilin
von der Kirchengemeinde.
„Jetzt haben wir die Möglichkeit, in einer evangelischen Kirche in
Schöneberg eine Sammelstelle für Hilfsgüter für die Ukraine einzurichten.
Es zeichnet sich ab, dass wir dort auch Gottesdienste feiern können.“ Die
Kirche umfasst laut Ilin 400 Plätze. Doch auch das sei zu klein. „Zu Ostern
waren wir 2.000. Wir brauchen eigentlich eine eigene große Kirche in
Berlin.“
Die Physiotherapeutin Anastasia F. spricht ein anderes Problem an: Ihre
Tochter gehe in eine deutsch-russische Kita und habe die Möglichkeit,
später eine deutsch-russische Schule zu besuchen. Ukrainische Kitas und
Schulen gibt es in Berlin aber nicht. „Das ist eine Fehlentwicklung. Meine
Tochter kann zwar Russisch lernen, nicht aber Ukrainisch.“ Die Beziehungen
zwischen russischen und ukrainischen Eltern sei zudem sehr gespannt. Die
Allianz Ukrainischer Organisationen fordert eine deutsch-ukrainische
Europaschule für Berlin.
3 May 2022
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Russland
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