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# taz.de -- Ukraine-Protest: Ein-Mann-Demo gegen Russland
> Henry Lindemeier protestiert regelmäßig vor dem Russischen Haus auf der
> Friedrichstraße gegen den Ukrainekrieg. Die Institution reagiert
> verärgert.
Bild: Wer oder was provoziert hier wen?
Berlin taz | Es muss wohl als besondere Ehre betrachtet werden, wenn man
von den Vertretern eines Schurkenstaats ein eigenes Straßenschild bekommt.
Wenn Henry Lindemeier sich mit Ukrainefahne und Lautsprecher vor dem
[1][Russischen Haus] in der Friedrichstraße in Mitte postiert, platziert
der Pförtner gern zwei Aufsteller auf den Bürgersteig, auf denen auf gelbem
Hintergrund ein stilisierter Mann mit Flagge in Knallrot zu sehen ist –
dazu die Aufschrift: „Vorsicht Provokation!“
Und provozieren will Lindemeier in der Tat: Vor einer staatlichen
Institution Russlands im Herzen Berlins, deren schiere Existenz viele
ihrerseits als Provokation empfinden, will er auf den grausamen
Angriffskrieg aufmerksam machen, den das Land seit mehr als drei Jahren
gegen die Ukraine führt. Seit Juni 2024 steht er mehrmals pro Woche mit
einer riesigen gelb-blauen Fahne auf der Friedrichstraße, spielt
ukrainische Volkslieder, Sirenenalarm oder Bombendonner ab. Versucht, mit
Passanten und Besuchern des Russischen Hauses ins Gespräch zu kommen.
An einem späten Nachmittag Anfang März gelingt das kaum. Die Mütter, die
nach einem Malkurs für Kinder das Russische Haus mit Wasserfarbenbildern in
der Hand verlassen, reagieren nicht auf seine Ansprache und zerren mit
schreckgeweiteten Augen ihren Nachwuchs schnell weiter. Trotzdem gibt
Lindemeier nicht auf: „Ich will gegen die Verdrängung angehen“, sagt der
62-jährige Psychotherapeut im Ruhestand. „Ich will, dass die Russen, die
hier Veranstaltungen besuchen, morgens, wenn sie aufwachen, und abends,
wenn sie ins Bett gehen, daran denken, dass ihr Land Krieg führt.“
Dass er sich für die Ukraine – ein Land, das er im vergangenen Jahr zum
ersten Mal besucht hat – so stark engagieren würde, überrascht ihn selbst.
Früher war er Mitglied der Grünen, in den frühen 1980er Jahren hat er an
den Antiaufrüstungsdemos teilgenommen. Aber als Chef einer
Unternehmensberatung hatte er lange wenig Zeit für politisches Engagement.
„Auch die Maidan-Proteste habe ich kaum wahrgenommen“, sagt der kräftige
Mann mit den schulterlangen braunen Locken.
Erst als russische Truppen während der Endphase des Euromaidan 2014 die
Krim eingenommen hatten, sei er zum ersten Mal wirklich aufmerksam
geworden. „Das war auch ein Angriff auf Europa.“ Der brutale Angriff
Russlands auf sein Nachbarland habe ihn so empört, dass er aktiv wurde.
## Immer wieder Angriffe
Zunächst versuchte er, bei den Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten
Weltkriegs im Tiergarten und im Treptower Park mit Kriegsunterstützern ins
Gespräch zu kommen. Das Resultat: Pöbeleien, Anspucken, Androhung von
Gewalt. Inzwischen ist er überzeugt: „Mit den Befürwortern des Kriegs zu
diskutieren, ist sinnlos. Die sind für Tatsachen kaum zugänglich.“
Darum sucht er sich für seinen Protest gegen den Ukrainekrieg das Russische
Haus aus, eine überaus problematische Institution. Denn seit dem 24.
Februar 2022 stellt sich die Frage, wieso Russland noch ein großes
Kulturzentrum in Deutschland betreiben darf – also in einem Land, das
Russland schon länger mit Desinformationskampagnen, Anschlägen,
Auftragsmorden und anderen Methoden der asymmetrischen Kriegsführung zu
destabilisieren versucht.
Das Russische Haus wurde 1984 in Ostberlin eröffnet, um der Förderung der
sowjetischen Kultur und der Stärkung der Beziehungen zwischen der DDR und
der Sowjetunion zu dienen. Die Institution, für die ein repräsentatives
Gebäude errichtet wurde – auf der Friedrichstraße nimmt es einen ganzen
Block ein –, blieb nach der Wiedervereinigung als russisches Kulturzentrum
bestehen.
## Kann das Haus geschlossen werden?
Obwohl die Betreiberagentur Rossotrudnitschestwo seit Juli 2022 auf der
EU-Sanktionsliste steht, sind die rechtlichen Möglichkeiten zur Schließung
des Hauses nicht eindeutig. Die Institution bietet neben kulturellen
Veranstaltungen auch Sprachkurse, Vorträge und Bildungsangebote an – im
Augenblick zum Beispiel eine Ausstellung mit russischen Filmplakaten und
eine mit zeitgenössischer Kunst. Einige Veranstaltungstitel wirken fast,
als seien sie ins Programm genommen worden, um das Gastland zu verspotten,
zum Beispiel ein Jazzkonzert mit dem Titel „Findet Liebe zueinander“.
Eine Ausstellung zum 40-jährigen Jubiläum des Hauses wurde 2024 so
angekündigt: „In Zeiten politischer Spannungen spielte das Russische Haus
eine wichtige Rolle als Ort des Dialogs und der Verständigung.“ Dabei sind
dem Haus politische Veranstaltungen nicht erlaubt.
Auch ein Workshop, bei dem für 40 Euro in der Keramikwerkstatt ein
„Traumteller“ aus Porzellan gestaltet werden kann, findet in einer
rechtlichen Grauzone statt: Eigentlich darf das Russische Haus wegen der
Sanktionen gegen Russland kein Geld verdienen. Fragwürdig ist auch die
Eröffnung eines großen Buchladens mit russischer Literatur im vergangenen
Jahr, bei dem unter anderem eine „Seifenwerkstatt“ zu erwerben war – ein
Bastelset, bei dem man Seife in Form von Handgranaten, Panzern und Pistolen
gießen konnte.
Eine Schließung des Russischen Hauses, so die Befürchtung der deutschen
Regierung, könnte jedoch als Eskalation wahrgenommen werden und
beispielsweise die Schließung der Goethe-Institute in Russland nach sich
ziehen. In Litauen, Polen, Tschechien oder Schweden wurden vergleichbare
Institutionen allerdings schon vor Jahren dichtgemacht.
Auf der Friedrichstraße erhält Henry Lindemeier nach eigenen Angaben auch
oft Zuspruch von deutschen Passanten. „Ukrainer, die vorbeikommen, sind
manchmal sehr gerührt“, erzählt der Rheinländer. Aber auch hier gab es
schon Konfrontationen mit Russen und Putin-Freunden. Nachdem er inzwischen
vier Mal körperlich angegriffen wurde, trägt er nun eine stichfeste Weste
und eine Trillerpfeife, um bei Attacken Alarm zu schlagen.
Das Russische Haus überzieht ihn wegen seiner Ein-Mann-Demos mit
Beschwerden und Anzeigen. Regelmäßig wird die Polizei wegen angeblicher
Ruhestörung, Belästigung von Passanten oder Filmen von Kindern gerufen. Und
immer wieder findet sich Lindemeier in langwierigen polizeilichen Maßnahmen
wieder. Als Beweismaterial dienten dabei auch Aufnahmen von
Überwachungskameras, die verbotenerweise den Bürgersteig vor dem Russischen
Haus aufnahmen.
Im Dezember vergangenen Jahres wurde Lindemeier bereits eine
erkennungsdienstliche Behandlung angedroht, bei einer Demonstration im
Lustgarten gegen den Ukrainekrieg wurde er von der Polizei aus der Menge
gefischt, sein Auto durchsucht. Fast scheint es, als sähe es die Berliner
Polizei nicht als ihre Aufgabe an, das Recht auf freie Meinungsäußerung
sicherzustellen.
23 Apr 2025
## LINKS
[1] /Ukrainische-Organisationen-in-Berlin/!5851762
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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