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# taz.de -- Politische Gefangene im Iran: Wartezimmer auf den Tod
> Gefangenen im Iran wird medizinische Versorgung verweigert, sagt Amnesty
> International. Deutschlands Diplomatie helfe dagegen nicht.
Bild: Anhänger des Atomabkommens und der Gefangenenaustausche: Der iranische A…
Beirut taz | Wer im Iran inhaftiert ist, wird mitunter einfach dem Tod
überlassen. Das geht aus einem [1][neuen Bericht der
Menschenrechtsorganisation Amnesty International] hervor. Der Bericht
beschreibt die Todesumstände von 92 Männern und vier Frauen in 30
iranischen Gefängnissen seit Januar 2010. Die Organisation war zwar nicht
vor Ort, hat jedoch Berichte von Medien und Organisationen ausgewertet und
Details zu den Todesfällen zusammengetragen. Die Gefängnisbehörden im Iran
tragen demnach routinemäßig zu Todesfällen in Haft bei oder führen sie
sogar willens herbei. Sie verzögerten Notfallbehandlungen im Krankenhaus
oder verweigern diese ganz. Die iranischen Behörden weigerten sich,
Todesfälle in Haft unabhängig und transparent zu durchsuchen.
So starb beispielsweise der iranisch-australische Doppelstaatsbürger
[2][Shokrallah Jebeli] im Evin-Gefängnis. Jebeli litt unter den Folgen von
Schlaganfällen, Nierensteinen und hohem Blutdruck. Die Behörden hatten ihm
angemessene fachärztliche Behandlung sowie Medikamente verweigert.
Das Evin-Gefängnis war ursprünglich als Haftanstalt gedacht, in der
Beschuldigte auf ihren Prozess warten. Doch für viele politische Gefangene
wurde es zum Wartezimmer auf ihren Tod. Vergangenes Jahr leakten Hacker
Videoaufnahmen von Überwachungskameras aus dem Gefängnis. Sie bestätigten
nicht nur die Überbelegung oder Einzelhaft, sondern auch Schläge, sexuelle
Belästigung und vorsätzliche Vernachlässigung und Misshandlung von
Insass*innen durch das Gefängnispersonal.
Übergriffe geschehen laut Amnesty insbesondere bei Verhören in
Haftanstalten des Geheimdienstministeriums, der Revolutionsgarden oder der
Ermittlungsabteilung der iranischen Polizei. Die Menschenrechtsorganisation
dokumentierte Foltermethoden wie Auspeitschungen, Elektroschocks,
Scheinhinrichtungen, sexualisierte Gewalt, Aufhängen oder die
Zwangsverabreichung chemischer Substanzen.
## Atomabkommen weckt Hoffnung auf Austausch
Derzeit sind mindestens 17 Doppelstaatsbürger*innen aus Europa und
Amerika in iranischer Gefangenschaft. Im Evin-Gefängnis sitzen unter
anderem die österreichisch-iranischen Doppelstaatsbürger [3][Kamran
Ghaderi] und [4][Massud Mossaheb] sowie die Deutsch-Iranerin [5][Nahid
Taghavi]. Sie ist seit dem 16. Oktober 2020 dort eingesperrt. Trotz oder
gerade wegen ihrer Staatsbürgerschaft würden ihr und dem Österreicher
Kamran Ghaderi „grundlegende Rechte verweigert“, schreibt die Tochter
Taghavis, [6][Mariam Claren] auf Twitter. Ihre Mutter soll 10 Jahre in Haft
verbringen, dabei habe sich nicht einmal kritisch politisch geäußert.
Trotzdem wurde sie willkürlich verhaftet und als Faustpfand für politische
Verhandlungen benutzt. „Meine Mutter wurde in Isolationshaft verlegt an dem
Tag, an dem die Atomgespräche angefangen haben“, sagte Claren zu Amnesty.
Die Rückkehr zum [7][Atomabkommen zwischen Iran und den USA] macht
Hoffnung, dass Iran Gefangene frei lässt – könnte aber auch der Grund sein,
warum sie überhaupt eingesperrt sind. Denn das Abkommen zwischen Iran und
den USA, das 2015 geschlossen wurde, enthielt einen Gefangenenaustausch.
Mit den wieder aufgenommenen Verhandlungen in Wien steht das Thema erneut
im Raum.
Nach der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar sagte der iranische
Außenminister Hossein Amir-Abdollahian dem Fernsehsender Euronews, Iran sei
bereit, außerhalb der Wiener Gespräche oder parallel dazu Gefangene
auszutauschen. Allerdings sagte er: „Es gibt eine sehr begrenzte Anzahl von
Iranern mit doppelter Staatsbürgerschaft, die leider Spionage betrieben
haben.“ Die Justiz könne dies nicht ignorieren.
Am 16. März März ließ das Land zwei politische Gefangene frei: die
Journalistin [8][Nazanin Zaghari-Ratcliffe und den Geschäftsmann Anoosheh
Ashoori]. Großbritannien und Iran mussten jahrelang darum verhandeln.
Letztendlich zahlte Großbritannien 400 Millionen Pfund – Schulden aus den
1970er Jahren. Damals bestellte der Iran 1.500 britische Panzer, zahlte die
Rechnung, bekam das Kriegsgerät aber nie geliefert. Die
britisch-australische Islamwissenschfatlerin Kylie Moore-Gilbert saß 804
Tage im Evin Gefängnis, weil sie der Spionage bezichtigt wurde. Im Gegenzug
für drei im Ausland inhaftierte Iraner kam sie 2020 frei. Zu den
Geldzahlungen seitens der Regierung sagte Moore-Gilbert dem britischen
Guardian: „Dies fördert die Geiselnahme. Es ist jedes Mal dieselbe Fraktion
innerhalb der Iranischen Revolutionsgarde. Sie prahlen damit, sie sagen
‚Schau dir all das Geld an, das wir haben, nur weil wir ein paar Spione
verhaftet haben‘.“
## Berlin muss sich stärker einsetzen, so Amnesty
Auf seiner Webseite warnt das deutsche Auswärtige Amt Personen mit
deutsch-iranischer Staatsangehörigkeit davor, in den Iran zu reisen. Grund
dafür sind willkürliche Zurückweisungen, Verhöre oder Verhaftungen „ohne
nachvollziehbare Gründe“. Iranische Behörden behandelten
Doppelstaatler*innen in allen Rechtsfragen wie Personen mit
ausschließlich iranischer Staatsangehörigkeit. Weitere Inhaftierungen
könnten nicht ausgeschlossen werden, konsularische
Unterstützungsmöglichkeiten durch die Deutsche Botschaft Teheran seien
außerdem erheblich eingeschränkt bis unmöglich.
Zurzeit sind mindestens vier Deutsche im Iran inhaftiert, darunter
[9][Jamshid Sharmahd]. Der wurde in Dubai entführt und in einem politischen
Schauprozess Anfang Februar der „Korruption auf Erden“ angeklagt. Seine
Tochter Gazelle Sharmahd forderte in einer Petition an Außenministerin
Annalena Baerbock, dass ein Krisenstab eingerichtet wird und alle
diplomatischen Möglichkeitnen ausgeschöpft werden. Dem Sprecher einer
Oppositionsgruppe steht die Todesstrafe bevor.
Was tut die Bundesregierung dagegen? Ihre Menschenrechtsbeauftragte, Luise
Amtsberg, war nach Anfrage der taz nicht für eine Stellungnahme zu
erreichen. Aus Sicht von Amnesty sollte sich die Bundesregierung „stärker
sichtbar und öffentlichkeitswirksam“ für die Freilassung der
Doppelstaatler*innen einzusetzen. Die bisherige Strategie, sich im
Fall der deutsch-iranischen Doppelstaatsbürgerin Nahid Taghavi eher auf
stille Diplomatie zu beschränken, habe keinen Erfolg gezeigt, schreibt die
Nahost-Zuständige bei Amnesty, Katja Müller-Fahlbusch.
Reporter ohne Grenzen weisen außerdem daraufhin, dass Irans Justiz
keinesfalls unabhängig ist. Der Oberste Führer Ali Chamenei kontrolliert
die Justiz, indem er gemäß Artikel 110 der Verfassung ihren Leiter ernennt.
Alleine die Kritik am Justizsystem führt zur Haftstrafe. Die Journalistin
Hengameh Shahidi hatte die Haftbedingungen im Iran kritisiert und gefragt,
warum Menschen monatelang in Einzelhaft sitzen. Kurze zeit später
verbrachte sie selbst 13 Monate in Einzelhaft wegen „verbrecherischer
Tweets“.
14 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.amnesty.de/sites/default/files/2022-04/Amnesty-Bericht-Iran-Ges…
[2] https://www.bbc.com/news/world-middle-east-60829314
[3] https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000132809376/im-iran-inhaftie…
[4] https://www.derstandard.at/story/2000132268792/oesterreicher-in-iranischer-…
[5] /Neues-zur-Petition-FreeNahid/!5794334
[6] https://twitter.com/mariam_claren?s=20&t=FWOc_J2PCynPiOCEV-2pKQ
[7] /Atomverhandlungen-mit-Iran/!5838326
[8] /Zwei-britisch-iranische-Gefangene-frei/!5842215
[9] /Justiz-im-Iran/!5834076
## AUTOREN
Julia Neumann
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