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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Vom Ende her erzählt
> Im 13. Jahr zurück im Kino entrollt das Filmfestival Alfilm einmal mehr
> die ganze Bandbreite arabischen Kinos auf Berliner Kinoleinwänden.
Bild: Szene aus Ali Essafis „Before the Dying of the Light“ (2020)
Kurz vor Weihnachten klingelt es in Montreal und ein Paketbote karrt ein
Paket herein. Die Wohnung ist schon fertig für die Feiertage samt der
Bilder von Maias Bruder und Vater, die im libanesischen Bürgerkrieg getötet
wurden. Das Paket, das Maias Tochter und ihre Mutter entgegen genommen
haben, enthält Notizbücher, Kassetten und Fotos, die Maia in den 1980er
Jahren in Beirut an ihre beste Freundin geschickt hat. Während ihre Mutter
sich weigert, das Paket zu öffnen und sich den Erinnerungen zu stellen,
beginnt Maias Tochter die übergroße Flaschenpost aus der Vergangenheit zu
erkunden.
Der Film „Memory Box“ des libanesisch-französischen Künsterpaars Joana
Hadjithomas und Khalil Joreige schlägt mit den Objekten des Pakets Brücken
aus der Gegenwart in die Vergangenheit. Der Film ist Teil des Programms der
13. Ausgabe des [1][arabischen Filmfestivals Alfilm]. Das Programm des
Festivals ist voll von Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und
Gegenwart.
Libyen, Oktober 2011. Eine Straße voller Pickups, bei einigen ragen
Maschinengewehre von der Ladefläche. Schüsse in die Luft, am Straßenrand
laufen Menschen. Ein pixeliges Video zeigt Muammar Gaddafi mit Blut im
Gesicht. Überall sind Männer auf den Straßen. Die Luft, in die die Männer
unablässlich schießen, ist voller Testosteron. Khaled Shamis beginnt seinen
Dokumentarfilm „The Colonel’s Stray Dogs“ vom Ende, von Gaddafis Sturz,
her. „Mein Vater leistete den Großteil seines Lebens Widerstand gegen
Gaddafi. Die 40 Jahre, die er im Exil in England verbrachte, schien es, als
wäre es wichtiger für ihn Gaddafi zu töten als mit uns zu leben.“
Als der Ashur Shamis nach dem Sturz Gaddafis zurück nach Libyen fliegt,
nutzt sein Sohn die Gelegenheit, die Regale im Arbeitszimmer des Vaters zu
erkunden, stöbert durch Bücherregale und hört Briefe, die Mitte der 1970er
Jahre auf Kassetten aufgenommen wurden. Khaled Shamis Film lässt 50 Jahre
libyscher Geschichte aus der Perspektive des Widerstands gegen Gaddafi
Revue passieren, ruft das Grauen von Gaddafis Herrschaft und dessen
zahlreiche Neuerfindungen in Erinnerung und die verpassten Chancen nach
dessen Sturz.
## Was marrokanisches Kino sein kann
In Ali Essafis „Before the Dying of the Light“ liegen die verpassten
Chancen schon etwas zurück. Essafi entwirft ein breites Panorama der
marokkanischen Populärkultur, des Kinos, der Musik, des Comics und einer
ganzen Landschaft von Zeitschriften, die in den späten 1960er und den
frühen 1970er Jahren aufblühten, bevor König Hassan II. dem ein Ende
setzte. „Before the Dying of the Light“ ist ein Dokument verhinderter
Befreiung. Essafis Film greift wiederholt Szenen aus einem Film der 1970er
Jahre auf, Mostafa Derkaouis halbdokumentarischen „About Some Meaningless
Events“. Mit seinem Team befragt Derkaoui Passanten in Casablanca zu ihren
Erfahrungen, Vorstellungen und Erwartungen von einem marokkanischen Kino.
Schließlich beobachten die Filmemacher, wie ein Dockarbeiter seinen Chef
umbringt und verhaftet wird. Derkaouis Film wurde nach einer einzigen
Vorführung in Paris verboten, galt als verschollen, wurde aber vor wenigen
Jahren wiederentdeckt. Essafi nutzt „About Some Meaningless Events“ als
Beispiel für den Versuch eines Aufbruchs hin zu einem sozial relevanten
Kino in Marokko, der Teil eines größeren kulturellen Aufbruchs hätte sein
sollen.
Im 13. Jahr zurück im Kino entrollt Alfilm einmal mehr die ganze Bandbreite
arabischen Kinos auf Berliner Kinoleinwänden. Die erste Präsenzausgabe des
Festivals unter neuer Leitung wirkt in den inhaltlichen Linien etwas
straffer, dafür aber weniger bereit, auch Entlegenes aus den arabischen
Kinematografien im Rahmen des Festivals zu präsentieren. Dennoch bleibt
Alfilm eine Gelegenheit für Berliner Kinogänger_innen sich im arabischen
Kino auf den neusten Stand zu bringen.
22 Apr 2022
## LINKS
[1] https://alfilm.berlin/
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
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Dokumentarfilm
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