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# taz.de -- Garagenkomplexe aus DDR-Zeiten: Seltene Rückzugsorte
> Garagenbauten zwischen Wohnhäusern gibt es bis heute in Leipzig und
> anderswo. Sie verschwinden. Von werkelnden Männern und kollektiven
> Träumen.
Bild: Paul und sein kleines Reich in einem Garagenkomplex in der Leipziger Süd…
Leipzig taz | Sonntagmorgen, der Himmel ist wolkenverhangen. Ein altes
Quecksilberthermometer zeigt 5 Grad Celsius. Die Spatzen in den blühenden
Forsythien singen von der Kälte unbeirrt. Ich treffe meinen Freund Paul an
einem Garagenkomplex in der Leipziger Südvorstadt (siehe Foto), ganz in der
Nähe der KarLi (Karl-Liebknecht-Straße), einer beliebten und belebten
Straße mit vielen Bars, Restaurants, Cafés und Einkaufsmöglichkeiten.
Paul ist 33 Jahre alt, lebt seit 6 Jahren in Leipzig und arbeitet als
Kaffeeröster. Er trägt eine verwaschene olivgrüne Jacke, hat eine Flasche
Bio-Apfelsaftschorle dabei und strahlt eine gewisse Gelassenheit aus. Wir
stellen unsere Fahrräder ab. Er schließt das Eingangstor auf. Gemeinsam
tauchen wir ein in eine Welt ein, in der ich mich zuletzt in meiner Jugend
bewegt habe.
In [1][Zerbst], einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, in der ich aufwuchs,
gab es auch solche Garagenkomplexe, zum Teil mit etwa 100 Garagen. An
Wochenenden standen viele Tore offen. Radios liefen. Es roch manchmal nach
Schmieröl, manchmal nach Lack und Terpentin. Vor allem ältere Männer
werkelten an ihren Fahrrädern, Mopeds oder ihren alten Trabbis. Manchmal
wurde zusammen gegrillt. Getrunken wurde meistens Hasseröder. Man half sich
untereinander, wenn es nötig war. Obwohl alle ihre eigenen Garagen hatten,
schien es einen gewissen kollektiven Geist zu geben.
„Ist das heute noch so?“, frage ich Paul. „Also gegrillt hat hier noch
keiner“, antwortet er, „wenn ich hier war. Aber die Leute sind schon
interessiert, wenn sie da sind, grüßen freundlich und fragen, was man
gerade so treibt.“
## Alter Schlüssel aus DDR-Zeiten
Wir gehen zur Garage Nummer 13. Mit einem alten Schlüssel aus DDR-Zeiten –
drei Viertel oranges Plastik, ein Viertel Metall – öffnet Paul die Tür.
Neben jeder Menge Baumaterial, das hier lagert, erwarten uns einige weitere
Relikte aus der Zeit vor der Wende. Ein blau-weißes Klapprad von Mifa, eine
Kuckucksuhr aus Weimar, das eben schon erwähnte Quecksilberthermometer und
zwei alte Leuchtstoffröhren an den Decken, die erst mehrmals flackern,
bevor sie richtig angehen.
Seit fast einem Jahr darf Paul die Garage nutzen, zu der er nur wenige
Minuten mit dem Rad braucht. Ein zufälliger Bekannter hat ihm
vertrauensvoll die Schlüssel gegeben und lässt ihm dort freie Hand. „Er
findet’s gut, wenn Menschen, die etwas machen wollen, das auch machen
können. Ich bin dabei, hier eine Werkbank aufzustellen, um dann eigene
Möbel zu bauen.“
Dass so ein lockerer Umgang mit dem Garagenschlüssel üblich ist, kann Paul
sich nicht vorstellen. Die wenigen Nachbar*innen, die er bisher gesehen
hat, sichern ihre Garagen zum Teil mit mehreren Schlössern und
Alarmanlagen. Sie verwahren dort ihre Mopedsammlungen, Motorräder, Oldtimer
– ihre kleinen blechernen Heiligtümer. Manchmal sind sie da, zum Putzen und
Schrauben, jedoch wirke alles recht anonym. Nicht so anonym wie im
städtischen Wohnen, aber eben doch recht anonym. „Das war auch schon vor
der Wende so“, erzählt mir Pauls Bekannter am Telefon.
Wie es mit diesem und anderen Garagenhöfen weitergeht, ist fraglich. In
Ostdeutschland gab und gibt es bis heute in vielen Städten etliche solcher
Garagenbauten, die zwischen Wohnhäusern gebaut wurden. 227 allein in
Leipzig, mit insgesamt Tausenden Garagen. Mit knapper werdendem städtischem
Raum wird auch der Druck auf die Garagenbesitzer*innen größer.
## „Gewachsene Sozialräume“
Wie die Datschenbesitzer*innen im ehemaligen Osten gehören auch sie
deshalb zu den besonders von Verdrängung bedrohten Gruppen. Auch ihre
Pachtverträge gehen oft noch auf die DDR-Zeit zurück, auch bei ihnen läuft
der Bestandsschutz dieses Jahr aus. In Leipzig will man zur Lösung des
Themas allerdings „sensibel vorgehen“, da es um „gewachsene Sozialräume�…
aus „ostdeutscher Stadtentwicklung“ geht, heißt es in der Antwort des
Stadtrats auf eine Nachfrage der Linkspartei im Februar 2022.
Lässt sich an diesen Garagen hier von einem „gewachsenen Sozialgefüge“
sprechen? Paul beteuert, dass der Ort schon eine Relevanz für die Menschen
habe, die sich hier bewegen. Für sie und auch für ihn sei das ein seltener
Rückzugsort. „Hier kann man mal aussteigen aus dem Alltag und sich voll in
sein Hobby vertiefen.“
Zur Zukunft der Garagen ist Paul zwiegespalten. Bei allen Vorteilen, die
die Garagen für ihn und die anderen Nutzer*innen bieten, sei es schwer
zu rechtfertigen, dass hier „Mopeds ein Dach über dem Kopf haben, während
zentral gelegener sozialer Wohnraum knapp ist“.
Gemeinsam denken wir über Alternativen nach: Wie wäre es mit
nicht-kommerziellen, kollektiven Parkflächen und Werkstätten? Das würde
nicht nur Material und Raum sparen. Man könnte auch voneinander lernen und
– Vorsicht – am Ende sogar noch Freundschaften schließen.
18 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.stadt-zerbst.de/
## AUTOREN
Tobias Bachmann
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
DDR
Nachwendezeit
Kollektiv
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Schwerpunkt Coronavirus
Literaturwissenschaft
Wohnungsnot
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