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# taz.de -- EU-China-Gipfel: Europas geopolitisches Erwachen
> Der erste EU-China-Gipfel hat kaum substanzielle Ergebnisse
> hervorgebracht. Doch er hat den Blick auf die gegenseitigen Fronten
> offengelegt.
Bild: Ernste Gesichter: Die EU-Spitzen von der Leyen und Michel beim virtuellen…
Peking/Brüssel taz | Noch während Xi Jinping sein Videogespräch mit
Vertretern der Europäischen Union führt, schicken seine Regierungsvertreter
bereits eine erste Aussendung an die Presse. „Wir hoffen, dass die
europäische Seite eine autonome Politik beibehält“, heißt es darin. Die
Aussage bringt auf den Punkt, was die Volksrepublik am stärksten fürchtet:
Dass Brüssel und Washington den Schulterschluss suchen und künftig geeint
auftreten.
Der erste EU-China-Gipfel seit zwei Jahren findet zu einem Zeitpunkt
zunehmender Polarisierung statt. Innerhalb Europas haben die Ereignisse der
letzten Wochen zu einem geopolitischen Erwachen geführt. In Bezug auf China
hat sich die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, dass das Land nicht nur
ein Wirtschaftspartner, sondern auch eine sicherheitspolitische
Herausforderung ist.
Der Gipfel wurde – wie zu erwarten – vom Ukraine-Krieg dominiert. Zu diesem
Thema ist die EU auf Konfrontationskurs gegangen: Die EU-Spitze drohte mit
einem erheblichen „Reputationsschaden“, falls China die westlichen
Sanktionen gegen Russland unterlaufen sollte. Sie folgt damit der harten
amerikanischen Linie.
US-Präsident [1][Joe Biden hatte China bereits Mitte März mit
„Konsequenzen“ gedroht], falls es sich im Ukraine-Krieg auf die Seite
Russlands schlagen und westliche Sanktionen unterlaufen sollte. Bei seinem
Brüssel-Besuch vor einer Woche drängte Biden die Europäer, es ihm
gleichzutun. Sein Appell wurde scheinbar erhört.
## Von der Leyen: EU stärkerer Handelspartner als Russland
Das Unterlaufen der Sanktionen könne auch die beiderseitigen
Geschäftsbeziehungen belasten, warnte EU-Kommissionschefin Ursula von der
Leyen. Die EU machte deutlich, dass eine direkte – möglicherweise
militärische – Unterstützung Russlands Kosten für das Land haben würde. �…
ist sehr klar, das China die Sanktionen nicht durchkreuzen darf, wenn es
sie schon nicht mitträgt“, sagte von der Leyen.
Dann rechnete sie vor, dass Peking ein größeres Interesse an guten
Beziehungen zur EU haben müsse als zu Russland. So belaufe sich das
Handelsvolumen mit der EU täglich auf 2 Milliarden Euro, mit Russland
hingegen nur auf 330 Millionen.
Hoffnungen darauf, dass die chinesische Regierung Wladimir Putin zum
Einlenken bringen könnte, wurden bereits im Vorfeld zunichte gemacht.
„Niemand sollte andere zwingen, sich für eine Seite zu entscheiden“, sagte
Außenamtssprecher Zhao Lijian am Freitag nur wenige Stunden vor dem
EU-China-Gipfel. „Das Problem ist nicht, wer Russland helfen will die
Sanktionen zu umgehen, sondern die Tatsache, dass der normale Handel
zwischen Ländern, einschließlich China, mit Russland unnötig geschädigt
wird“, so Zhao weiter.
Das [2][Festhalten am russischen Narrativ] setzte sich auch im Laufe des
Tages fort, als Chinas Premier Li Keqiang per Videoschalte auf
Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel
traf. Die erste Aussendung der chinesischen Regierung war allein in ihrer
Sprachwahl entlarvend. Zur russischen Invasion heißt es etwa: „Die EU hat
ihre Ansichten und Positionen zur derzeitigen Situation in der Ukraine
dargelegt“. Es bleibt die Frage, wie China bei der Lösung eines Krieges
mithelfen kann, den es wohl nicht als solchen anerkennt.
Doch zumindest rhetorisch hat sich Peking etwas zurückgenommen. Keine Rede
war mehr davon, dass vor allem die Nato schuld an der Eskalation trage, und
dass man Russlands „legitime Sicherheitsinteressen“ berücksichtigen müsse.
Stattdessen wolle man „eine konstruktive Rolle spielen, um die Lage zu
entspannen, die Feindseligkeiten einzustellen, eine größere humanitäre
Katastrophe zu verhindern und den Frieden bald zurückkehren zu lassen“.
## Chinesische Wortführer sehen EU als US-Marionette
Von der Leyen und Michel geben sich kämpferisch: „Es ist klar, dass der
russische Einmarsch in die Ukraine nicht nur ein entscheidender Moment ist
für unseren Kontinent, sondern auch für unser Verhältnis zum Rest der Welt
ist“, sagte von der Leyen. Dies müsse China verstehen und sein Verhalten
ändern. Der Ukraine-Krieg könnte somit als Katalysator für Europas
Re-Evaluierung seiner China-Strategie dienen – wenn auch anders, als es
sich Xi Jinping wünschen würde.
„Wir haben China aufgefordert, einen Beitrag zum Ende des Krieges in der
Ukraine zu leisten“, betonte Michel. Mit Strafmaßnahmen bei einem
Unterlaufen der Sanktionen drohten die EU-Chefs zwar nicht. Doch es war
ihnen anzumerken, wie ernst sie es meinen – und wie sehr sie bei Xi auf
Granit beißen.
Denn von Worten sollte man sich nicht blenden lassen. Die chinesische
Regierung passt ihre Aussagen stark an den jeweiligen Adressaten an. Noch
am Mittwoch wurde etwa der in die chinesische Provinz Anhui eingeflogene
russische [3][Außenminister Sergei Lawrow als Ehrengast hofiert]. Die
bilateralen Beziehungen zwischen Russland und China würden sich „in die
richtige Richtung entwickeln“, ließ man ausrichten.
Auf sozialen Medien tragen sowohl Chinas Diplomaten als auch
Staatsjournalisten stolz ihren Nationalismus nach außen. Sie publizierten
Karikaturen, die Europa als Marionette der USA darstellen, teils auch mit
antisemitischen Anleihen. „Die EU sollte all ihre Taten der letzten Monate
reflektieren“, [4][mahnt Chen Weihua, Brüssel-Korrespondent der
Parteizeitung „China Daily“ auf Twitter].
## Konflikte auch um Hongkong und Taiwan
Gestritten wurde auch wegen Hongkong, Taiwan und Litauen. [5][Der baltische
Staat hatte sich an Taiwan angenähert] und war deshalb von China mit einem
Handelsboykott abgestraft worden. Die EU hat den Fall nun vor die
Welthandelsorganisation WTO getragen. So etwas dürfte sich nicht
wiederholen, warnte von der Leyen nach dem Gipfel. Der Handel müsse
ausgewogener und fairer werden.
Die Coronakrise spielte dagegen nur eine Nebenrolle. Während die
chinesische Metropole [6][Shanghai von einer schweren Omikron-Welle
heimgesucht wird], die die gesamte Weltwirtschaft erzittern lässt, rechnete
von der Leyen vor, wie viel Impfstoff die EU in alle Welt exportiert. Zudem
bot sie an, mit Biontech-Impfstoff auszuhelfen. In Xis Ohren könnte das wie
Hohn geklungen haben.
Ermutigend ist zumindest, dass sowohl die EU als auch China darin
übereinstimmten, ihre Zusammenarbeit beim Klimawandel auszubauen. Doch wie
dies in einer zunehmend aufgeladenen Stimmung passieren soll, bleibt offen.
1 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/us-news/2022/mar/18/joe-biden-xi-jinping-call-c…
[2] /Sanktionen-gegen-Russland/!5839785
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/lawrow-china-101.html
[4] https://twitter.com/chenweihua/status/1509642782092185604?s=20&t=deNohY…
[5] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/china-litauen-taiwan-101.html
[6] /Harter-Lockdown-in-Shanghai/!5845630
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
Eric Bonse
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