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# taz.de -- Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine: Grenzen und ihre Überschr…
> Eine Journalistin begleitet einen Hilfstransport und wird Teil davon. Wie
> weit darf, wie weit muss sie ihre Rolle verlassen? Ein Erfahrungsbericht.
Bild: Geflohene aus der Ukraine in Polen
Berlin/Lubycza Królewska/Hrebenne/Krakau taz | Eine CNN-Reporterin mit Helm
und kugelsicherer Weste steht zwischen fliehenden Menschen in Kiew. Während
ihres Liveberichts nimmt sie die Hand eines alten Mannes, hilft ihm ein
paar Schritte über den unebenen Boden hinweg, trägt kurz die Tasche einer
Frau, bis der Weg wieder besser begehbar wird. [1][Das Video dieser Szene]
wurde auf Twitter vielfach geteilt.
Ich bin keine Kriegsreporterin. Aber ich habe Helfer:innen an die
[2][polnisch-ukrainische Grenze] begleitet, um eine Reportage über eine
humanitäre Notsituation zu schreiben. Und habe wieder einmal gemerkt, dass
man nicht immer in der eigenen Rolle bleiben kann – und manchmal auch nicht
sollte.
Es ging ganz kurzfristig los. Am Mittwochnachmittag eine Woche nach
Kriegsbeginn las ich, dass eine Gruppe von Privatpersonen um einen
Lokalpolitiker mit Spenden zur Grenze fahren wollte. Auf dem Rückweg
wollten sie Flüchtende mit nach Berlin nehmen. Abends hatte ich die
Antwort, dass ich mitfahren könne. Ein paar Stunden später starteten wir.
Ich dachte, ich könne im Auto schlafen. Stattdessen unterhielt ich mich die
meiste Zeit mit Stephan, der das Auto fuhr – schließlich wollte ich wissen,
was ihn antreibt, wer er ist, was seine Geschichte ist. Und wir drifteten
bald hierhin, bald dahin ab. Es ging um Fasching in der Kita,
Bezirkspolitik, die Algorithmen von Messenger-Apps. Das wenigste wäre
relevant für meine Reportage, aber einiges interessant, um die Person
besser porträtieren zu können, mit der ich unterwegs war. Doch ich schrieb
kaum etwas mit, im Auto war es sowieso zu dunkel.
## Anpacken beim Auspacken
Unser erstes Ziel war ein Erstaufnahmezentrum für ukrainische Flüchtlinge
in Lubycza Królewska. Auf der Rückseite der Turnhalle gaben die
Berliner:innen die meisten Spenden ab. Drei volle Autos mussten
ausgeladen werden, die ehrenamtlichen Helfer:innen vor Ort packten mit
an. Ich stand mit meinem Handy dazwischen und machte Fotos. Meinen
Presseausweis hatte ich in einer Hülle um den Hals gehängt.
Die Helfer:innen an der Spendenannahme hatten gut zu tun: Ständig kamen
neue Autos an, die ausgeladen werden mussten, es galt zu entscheiden, was
wo hingebracht werden muss. War mal jemand nicht beschäftigt, fragte ich,
ob ich ein paar Fragen stellen könne. Die meisten wehrten ab. Manche wegen
beidseitiger Sprachbarrieren, die meisten, weil sie Besseres zu tun hatten.
Ich kam mir unnütz vor zwischen all den helfenden Händen und packte dann
doch mit an.
Vor dem Gebäude saß ein Mann alleine auf einem Mäuerchen. Er stützte seinen
Kopf in die Hände, die Augen fielen ihm fast zu. Ich zögerte, sprach ihn
dann aber doch an. Nur wie? Ein „Wie geht's“ verbietet sich. Ich stelle
mich kurz vor, frage nach dem Namen. Tawil. Kommen Sie gerade aus der
Ukraine? Ja. Wo wollen Sie jetzt hin? Abwehrender Ton. „Ich habe seit zwei
Tagen nicht geschlafen, wohin es geht, überlege ich später.“ Tawil schaute
wieder zum Boden. Ich beugte mich nochmal zu ihm und fragte, ob er gut
behandelt worden sei. Ja, alles in Ordnung.
In der Turnhalle waren 400 Feldbetten aufgestellt, vor allem Mütter und
Kinder waren hier, Männer mit ukrainischer Staatsangehörigkeit dürfen nicht
aus ihrem Land ausreisen. Vor den wenigen Toiletten lange Schlangen. Auf
einer Liege lag eine Frau, hochschwanger, schmerzverzerrtes, vielleicht
auch völlig verzweifeltes Gesicht. Immerhin schien ihr Mann bei ihr zu
sitzen.
Mir schossen die Tränen in die Augen, ich wollte mir schnell einen Weg nach
draußen bahnen. Eine Helferin sprach mich auf Polnisch an, als ob sie mir
Hilfe anbieten wolle, ich schüttelte den Kopf und versuchte die Tränen zu
unterdrücken. Ich war nicht diejenige, die Hilfe brauchte.
## Fragen zum falschen Zeitpunkt
Anschließend fuhren wir an die Grenze bei Hrebenne. Dort war alles voller
Autos, ab und zu kam ein Reisebus an. Menschen warteten an der Straße auf
Angehörige. Dazwischen viele Journalist:innen. Ich sprach eine junge Frau
an, von der ich annahm, dass sie Englisch versteht, und die nicht ganz so
erschöpft aussah. Tatsächlich kam sie aus der Westukraine, nicht weit von
der Grenze, und wartete auf ihre Schwester, die in einem anderen Bus saß
als sie selbst. Ich hörte ein Paar Deutsch sprechen und fragte, ob sie auf
Verwandte warten. „Ja“, sagte der Mann und bat mich dann freundlich zu
gehen, es sei nicht der richtige Zeitpunkt. Später sah ich sie wieder, die
Frau weinte.
Ich beobachtete eine Frau mit Baby, die von einem Kamerateam interviewt
wurde und wartete darauf, dass ich mit ihr sprechen könnte – wer einmal
bereit ist, mit Journalist:innen zu sprechen, macht es vielleicht ein
zweites Mal. Gleichzeitig überlegte ich, ob ich wirklich hier sein musste,
wo sich die Journalist:innen um die gleichen
Interviewpartner:innen scharren, die gleichen Fragen stellen und die
gleichen Geschichten erzählen. Ich fotografierte das Schild der Zeugen
Jehowas, die sich hier aufgebaut hatten, und als ich wieder zum Kamerateam
schaute, war die Frau mit Baby weg.
Weil es immer später wurde, entschieden wir uns, im Hotel zu übernachten.
Alles war ausgebucht, wir fuhren bis nach Krakau. Dort fragte man uns, ob
wir tatsächlich hier bleiben wollen, mit den ukrainischen Geflüchteten? Es
stellte sich heraus, dass der polnische Staat die meisten Hotelkontingente
für Menschen aus der Ukraine gesichert hat. Nehmen wir ihnen Zimmer weg?
Doch es war fast 2 Uhr nachts, wir waren seit 24 Stunden unterwegs, ich
hatte seit über 40 Stunden kaum geschlafen. Noch weiter fahren kam nicht
infrage.
Am nächsten Morgen frühstückten wir zwischen müden und erschöpften
Gesichtern. Auch am Nachbartisch saß eine kleine Gruppe Journalist:innen.
Das Frühstück ist Privatsache, entschied ich, und sprach niemanden an.
## Menschen zum Mitfahren gesucht
Das Navigationsgerät schickte uns durch die verwinkelten Einbahnstraßen der
Krakauer Altstadt. Weil am Hauptbahnhof kein Parkplatz zu sehen war, sollte
ich aussteigen und Leute finden, die mit uns nach Berlin fahren wollen. Es
wäre Unsinn gewesen, darauf zu bestehen, dass Stephan weiter herumkurvt,
bis er einen Platz für sein Auto findet und dann selbst durch den
Hauptbahnhof läuft. Also sprach ich Freiwillige an, eine von ihnen fragte
die vielen Wartenden auf Ukrainisch, ob jemand nach Berlin fahren möchte.
Doch dann war sie plötzlich verschwunden. Ich nahm mir einen Zettel,
schrieb „Berlin“ darauf und lief damit zwischen den Wartenden umher. Die
Ehrenamtliche tauchte wieder auf. Mit zwei Frauen, die mitfahren möchten.
Es waren Julia, um die 30, und Lyuba, die ihre Mutter sein könnte, doch die
beiden kannten sich nicht. Ich deutete auf ihre Tasche und machte Zeichen,
dass ich sie für sie tragen möchte. Lyuba winkte ab.
Endlich saßen wir im Auto. Wir unterhielten uns ein wenig mit Hilfe von
Google Translate. Stephan rief eine Bekannte an, die selbst aus der Ukraine
kam. Sie hatte Schlafplätze für beide organisiert und erklärte es den
beiden in ihrer Muttersprache. Julia holte Fotos von ihren Kindern hervor,
Lyuba zeigte ein Bild von ihrem Sohn. Wir hielten bald, ich kaufte Cola für
Julia und ein Sandwich für Lyuba.
## Eine innige Umarmung zum Abschied
Den Rest der Fahrt schlief Lyuba fast durchgängig. Julia schrieb
Nachrichten auf ihrem Handy, telefonierte. Wir tauschten Nummern aus.
Abends gaben wir sie in Berlin-Biesdorf ab, sie kamen privat unter. Julia
umarmte mich heftig, hielt mich fest, bedankte sich tausendfach. Lyuba gab
mir ein Küsschen auf die Wange, ich hielt ihre Hand. Alles Gute.
Am nächsten Tag schrieb ich Julia eine kurze Nachfrage. Sie antwortete,
dass ihre Gastgeberin sie am Morgen schon zur Erstaufnahmestelle in Berlin
gebracht habe. Von dort sei sie nach Magdeburg gefahren worden. Sie
schickte mir ein Foto: Metallbetten, nur auf ihrem eine Matratze. Das
Flüchtlingslager ist ein Containerdorf. „Um ehrlich zu sein, habe ich
Angst. Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin und wie es weitergeht.“
Ich schwankte. Die Fahrt war vorbei – bin ich jetzt Journalistin oder
Privatperson?
Andere Menschen als mich kannte Julia in Deutschland nicht. Ich fühlte mich
verantwortlich. Also schrieb ich Freunde an, ob sie Menschen in Magdeburg
kennen, die nach ihr schauen können. Ich bekam einen Kontakt, der meine
Anfrage weiterreichte. Ein Mann rief mich an, er rief sie an, besuchte sie
zusammen mit einer Kollegin und einem Übersetzer in der Unterkunft.
## Nur noch weg von hier
Die nächste Nachricht, die ich bekam: Sie sind im Krankenhaus. Julia hatte
eine Knochenentzündung, die sofort behandelt werden musste. Später konnte
sie zurück in die Unterkunft. Doch es gab weitere Probleme. Sie schrieb mir
nachts, ich las es erst am Morgen. Sie habe frierend mit Fieber in der
Kälte warten müssen, bis die Security sie überhaupt wieder in die
Unterkunft ließ. „Ich will nur noch hier weg. Ich will wieder zurück in die
Ukraine. Bitte hilf mir“, schrieb sie. Sie ging nicht ans Telefon. Ich
musste arbeiten, konnte nicht noch einen Tag am Telefon hängen. Ich fragte
sie Verschiedenes und bekam immer die gleiche Antwort: „Ich will weg hier,
ich packe meine Tasche, ich gehe.“
Der Helfer vom Vortag ging nicht ans Telefon. Ich googelte nach einem
deutsch-ukrainischen Verein in Magdeburg, der mir genannt worden war, rief
an und bat, Julia anzurufen. Ich weiß nicht, ob sie ans Telefon ging. Der
Helfer meldete sich. Er versprach, sich um sie zu kümmern. Ich war froh,
dass ich die Verantwortung abgeben konnte. Ein paar Stunden später rief er
mich an: Julia sei jetzt auf dem Weg nach Ungarn. Er bleibe mit ihr in
Kontakt und habe ihr auch versprochen, Geld zu senden. Ob ich das auch
machen werde?
11 Mar 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/CNN/status/1500076163691171840?s=20&t=DIRYs4sX8dmrP…
[2] /Menschen-fliehen-aus-der-Ukraine/!5837581
## AUTOREN
Johanna Treblin
## TAGS
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