| # taz.de -- Die Wahrheit: Mama Prepper | |
| > In Kriegszeiten baut die Heimatfront die Kellervorräte aus – besonders | |
| > wenn Muttern 91 Jahre alt ist und leidvoll erfahren. | |
| Bild: Geflohene aus der Ukraine in Polen | |
| Am Tag nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ruft mich meine | |
| 91-jährige Mutter aus Westfalen an: „Ich habe schon den Öl-Mann gerufen, | |
| damit der den Heizungstank im Keller vollmacht.“ – „Ja, das könnte sinnv… | |
| sein“, gebe ich etwas widerwillig zu. | |
| Meine Mutter ist ein Kriegskind. Bei jeder weltpolitischen Krise möchte sie | |
| ihren Keller mit Vorräten für Monate vollstopfen. Obwohl dort bereits | |
| Vorräte für Jahre einlagern. Also, zumindest Marmeladenvorräte. Selbst | |
| gemacht, in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen. Wenn Putin uns den | |
| Marmeladenhahn zudrehen sollte, wird er bei meiner Mutter auf Gelee beißen. | |
| „Wenn ich noch Auto fahren könnte, würde ich erst mal Vorräte für ein | |
| halbes Jahr kaufen“, teilt meine Mutter mir mit. „Ich kann doch nächstes | |
| Mal für dich einkaufen gehen“, biete ich an. | |
| „Aber du kaufst doch sowieso nur irgendwelches Biozeugs, das nur ein paar | |
| Tage hält. Man muss Vorräte für ein halbes Jahr im Keller haben, hat dein | |
| Vater früher immer schon gesagt.“ – „Du hast jetzt schon Vorräte für v… | |
| Jahre im Keller!“ – „Aber nur Marmelade.“ – „Als ich dich das letzt… | |
| besucht habe, wäre ich fast über eine Palette mit Sirup gestürzt.“ – „… | |
| war im Angebot. Da habe ich den Nachbarn gebeten, mir etwas mitzubringen.“ | |
| – „Das waren bestimmt 50 Flaschen! Mutter, du bist 91! Was willst du in | |
| deiner verbleibenden Zeit noch mit 50 Flaschen Sirup?“, frage ich etwas | |
| sehr direkt. | |
| „Im Krieg ist Sirup sehr begehrt. Ich weiß das noch. Und von den jungen | |
| Leuten denkt ja niemand dran, genug Sirupvorräte einzulagern.“ – „Nein, | |
| wahrscheinlich nicht“, gebe ich zu, „was sollte man auch damit?“ – „S… | |
| ist nahrhaft. Im Krieg braucht man nahrhafte Sachen. Da kann ich dann der | |
| Polin immer mal eine Flasche zustecken.“ – „Was denn für eine Polin?“ … | |
| „Na, die Polin, die mich dann pflegt, wenn ich nicht mehr kann. Ihr macht | |
| das ja nicht. Ihr seid ja in Berlin.“ – „Und wieso eine Polin?“, frage … | |
| entgeistert. „Das machen halt Polinnen heutzutage. Es gibt doch gar nicht | |
| genug Pflegekräfte hier. Da kommen die halt aus Polen.“ | |
| Kurze Pause. Dann sagt sie: „Aber du hast Recht. Vielleicht wird es auch | |
| eine Ukrainerin.“ Ich bin etwas schockiert. „Mutter, das ist zynisch!“, | |
| beschwere ich mich. „Quatsch“, sagt sie, „das ist nicht zynisch, das ist | |
| realistisch. Aber ist ja auch egal. Die Ukrainerin freut sich auch, wenn | |
| ich ihr mal eine Flasche Sirup geben kann. Und wenn du nächste Woche zu | |
| Besuch kommst, gehst du mal richtig einkaufen für mich!“ – „Nudeln etwa? | |
| Für ein halbes Jahr?“, frage ich etwas belustigt. Sie schnaubt verächtlich. | |
| „Lach ruhig. Ihr könnt ja gerne alle weiter auf euren Handys rumtippen und | |
| ins Internet gucken, wie ihr wollt. Wenn Krieg kommt, habe ich lieber | |
| Nudeln für ein paar Monate im Keller.“ | |
| Ich schlucke. Sie spürt meine Beklommenheit, jetzt tut es ihr leid. „Ach, | |
| Junge“, sagt sie, „das kann man alles überleben. Und Nudeln schmecken auch | |
| mit Marmelade ganz gut!“ Es sind beunruhigende Zeiten. | |
| 11 Mar 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Heiko Werning | |
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