# taz.de -- Linke Putin-Versteher_innen: Linkes Nichtwissenwollen | |
> Die Vorfahren unserer Autorin wurden als Sozialdemokraten von den Nazis | |
> verfolgt. Für linke Apologeten des Putin-Regimes hat sie kein | |
> Verständnis. | |
Bild: Volle Aufmerksamkeit für den lupenreinen Demokraten: Putins Rede 2001 im… | |
Als „CIA-Agentin“ beschimpft wurde ich zum ersten Mal 2016 vom Hausherren | |
einer Berliner Geburtstagsparty, deren Gäste die Partei Die Linke | |
sympathisch fanden. Auf seine Frage, ob sich „Russland“ durch die | |
[1][Nato-Osterweiterung] nicht bedroht fühlen müsse, hatte ich geantwortet: | |
„Nein, Putin will sowieso Krieg.“ | |
Dieser Hausherr erklärte gern: „Ich habe eine besondere Beziehung zu | |
Russland – mein Vater war nämlich Kommunist.“ Nun verwechselte ich zwar nie | |
Russland mit Putins Regime, aber meine Vorfahren waren auch links. Zu einer | |
Zeit, als dies Konsequenzen hatte. Da war mein Großvater Otto, Glasarbeiter | |
in Jena, erst in der USPD, später linker Sozialdemokrat. Als solcher | |
landete er im „Dritten Reich“ für einige Jahre im KZ Sachsenburg. Er | |
überlebte. | |
Mein Vater absolvierte ein Sportgymnasium. Derart trainiert, lieferten er | |
und seine sozialdemokratischen Freunde sich nach dem Abitur Saalschlachten | |
mit Nazis. Nach Hitlers Machtergreifung verhaftete man ihn mehrmals. Er | |
jobbte und wechselte möglichst oft seinen Aufenthaltsort. Diesem Dasein | |
setzte erst der Einberufungsbefehl ein Ende. An der Front rechnete er sich | |
größere Überlebenschancen aus als in einem KZ. | |
„Glaube nie, wenn dir ältere Leute erzählen, sie hätten von den KZ nichts | |
gewusst. Natürlich – das Ausmaß und die Zahlen, das nicht. Aber wer von | |
ihrer Existenz nichts wusste, der wollte einfach nichts wissen“, schärften | |
mir meine Eltern ein. Sie erkannten einen Faschisten, wenn sie ihm | |
begegneten. Putin hätten sie sofort identifiziert. Schon 1993 bezeichnete | |
der vor deutschen Geschäftsleuten den chilenischen General Pinochet als | |
Vorbild, wenn es darum gehe, durch Gewalt das Privateigentum zu schützen. | |
Bis heute hat er dabei vor allem sein eigenes im Auge. | |
Wenn er die Ukraine als faschistischen Staat verleumdet und ein | |
„Entnazifizierungsprogramm“ fordert, vergisst Putin den großen Satiriker | |
Nikolai Gogol. In der Ukraine geboren und in Russland zweisprachig | |
publizierend, setzte der seiner Korruptionskomödie „Der Revisor“ (1836) ein | |
in beiden Ländern bekanntes Sprichwort voran: „Schimpf nicht auf den | |
Spiegel, wenn er dir eine schiefe Fratze zeigt!“ | |
## Lippenbekenntnis zur Demokratie | |
Dass Putin neue Kriege anstrebt, diesen Verdacht schöpfte ich schon 2003 | |
bei den Recherchen zu meinem Buch „Russlands Blick auf Nato und EU“. Etwa | |
bei einer in Zeitungen gedruckten Rede vor Geheimdienstkolleg_innen. Bei | |
aller Anbiederung im Ausland blieb in diesen Kreisen der Westen das Böse | |
und die Nato der Feind. Vom Kreml geförderte ultrarechte Parteien entwarfen | |
damals öffentlich die später realisierten Drehbücher für die Kämpfe in | |
Georgien und auf der Krim. | |
Zum Präsidenten gewählt wurde Putin 2000 auf den Flügeln einer von ihm | |
entfachten Kriegshysterie gegen ein kleines, stolzes Volk innerhalb der | |
Russischen Föderation. Der brutale Zweite Tschetschenienkrieg war die | |
Blaupause für den heutigen in der [2][Ukraine] und dauerte schon zwei | |
Jahre, als die Abgeordneten im Deutschen Bundestag Putin im Jahre 2001 mit | |
Standing Ovations empfingen. Er lieferte dort ein Lippenbekenntnis zur | |
Demokratie ab. Manche Linke und SPDler entblöden sich bis heute nicht, | |
diesen Moment als „verpasste Chance für Deutschland“ zu bezeichnen. | |
Eine herbe Enttäuschung für meinen Vater war 1938 das Münchner Abkommen | |
gewesen, als das Vereinigte Königreich, Italien und Frankreich das bis dato | |
tschechoslowakische Sudetenland Nazideutschland zugeschustert hatten, um | |
unseren Tyrannen von einem großen Krieg abzuhalten. Wir kennen den Erfolg. | |
Dank ähnlicher Hoffnungen hielt sich Europa zurück, als das Putin-Regime | |
vor acht Jahren die Ukraine überfiel. | |
Unmittelbar nach der Krim-Annexion sprach ich den ehemaligen | |
SPD-Vorsitzenden [3][Matthias Platzeck] im Foyer des Deutsch-Russischen | |
Forums an: „Sie begeben sich in sehr gefährliche Gesellschaft!“ Er | |
lächelte: „Ich glaube, Sie übertreiben ein wenig!“ Unter seinem Vorsitz | |
verwandelte sich dieser vorwiegend aus Politik- und Wirtschaftsvertretern | |
gebildete Verein in ein Werbeforum für Putins Clique. | |
Auch Platzeck wollte nicht wissen. Als „russische Interessen“ verkaufte er | |
die der dort herrschenden Diebesbande. Hinter der Liebedienerei von | |
Ministerpräsident Bodo Ramelow oder seiner Kollegin Manuela Schwesig vor | |
den russischen Energiebossen steht neben der Gier der Manager eine tiefe | |
Verachtung dieser Linken und Sozialdemokraten für die kleinen Leute auf der | |
russischen Straße. Deren Armut und Rechtlosigkeit ist ihnen schnurz. Dafür | |
wird im Gespräch über Putins Unrecht gern mit Verfehlungen des Westens | |
gekontert: Abu-Ghraib, Guantánamo, Todesstrafe in den USA. Der | |
Whataboutismus ist eine besonders beschränkte Form des Nichtwissenwollens. | |
Für meine Eltern war der Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 ein | |
Hoffnungsschimmer. Meine Mutter montierte im Reichsarbeitsdienst bei der | |
Auto Union AG in Zschopau Motorräder für die Wehrmacht. „Für uns | |
Arbeiterinnen gab es keine Bunker“, erinnerte sie sich: „Bei Alarm liefen | |
wir in den Wald. Und dort begleiteten wir jeden Bombeneinschlag mit Gesang: | |
„Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, auch dieser Hitler mit seiner | |
Partei.“ | |
Wir heute schulden den um ihre Freiheit kämpfenden Ukrainer_innen eine | |
ebenso machtvolle Unterstützung von außen. Meine Eltern fanden sich nach | |
dem Krieg in der Bundesrepublik wieder, wo sie – nicht zuletzt dank der von | |
den Alliierten durchgesetzten Entnazifizierung – in einer demokratischen | |
Gesellschaft lebten. Die Putinisten werden im Fall ihres Sieges ihre | |
Fantasien in teuflischen Konzentrationslagern ausleben, wie in | |
Tschetschenien und in der Ostukraine. Falls aber das in Russland | |
herrschende Regime untergeht, müssen wir ein humanes | |
Entputinisierungsprogramm schon in der Schublade haben. | |
21 Mar 2022 | |
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Barbara Kerneck | |
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