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# taz.de -- 70. Todestag von Verleger Erich Lezinsky: Berliner Nachkriegspresse
> Nach dem Zweiten Weltkrieg sortieren sich die Medien in Berlin. Dabei
> werden JournalistInnen sichtbar, die nicht vereinnahmt werden wollen.
Bild: Übergabe der Zeitungslizenz: Lezinsky kümmerte sich um Reanimierung des…
Am 27. Juli 1944 wird Erich Lezinsky ins [1][KZ Sachsenhausen] gebracht.
Bald darauf wird in Breslau der frühere Reichstagspräsident Paul Löbe ins
KZ Groß-Rosen verschleppt. Beide sind Journalisten, beide in der SPD.
Löbe, aus ärmsten Verhältnissen aufgestiegen, war bis 1919 Chefredakteur
der Breslauer Volkswacht. Als Reichstagspräsident bekam er es mit den
Gegnern der Republik zu tun, mit Rechtsextremisten und Kommunisten. Löbe
schwebte nicht präsidial über den Fronten, sondern kämpfte für die
Republik. Er wurde Mitglied beim Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, eines
republikanischen Wehrverbandes, und Vorstandsmitglied der Vereinigung
Republikanische Presse.
Doch 1932, mit der Ausschaltung der demokratischen Regierung Preußens, war
die Weimarer Republik am Ende. Löbe musste nach den Reichstagswahlen sein
Amt an den NSDAP-Abgeordneten Hermann Göring abgeben. Er wurde Redakteur
des Vorwärts. Nur Monate später war das Blatt verboten.
Im Februar 1933 wurde auch das [2][Volksblatt für Spandau und das
Havelland], ein SPD-Blatt, dichtgemacht. Erich Lezinsky war dort
Lokalredakteur. Im Mai musste er Fragen des Reichsverbands der Deutschen
Presse beantworten. Denn der Verband wollte über „das Verbleiben oder
Nichtverbleiben von Juden und Marxisten“ entscheiden. Im Juni wurde
Lezinsky aus den Mitgliederlisten gestrichen. Der Ausschluss kam einem
Berufsverbot gleich. Es folgte die Post vom Verlag: „Einer Aufforderung
nachkommend sprechen wir hiermit Ihre fristlose Entlassung aus.“
## Inhaftiert und zum Tode verurteilt
Lezinsky saß inzwischen in „Schutzhaft“. Dort hatte er auch Löbe getroffe…
der dann aber ins KZ Breslau geschafft wurde. Beide kamen nach einer Weile
frei und schlugen sich jenseits des Journalismus durch.
Nach dem 20. Juli 1944 wurden sie erneut inhaftiert. Der Zusammenhang zur
Verschwörung scheint offensichtlich, die Listen der bei der „Aktion
Gewitter“ zu verhaftenden Feinde – darunter Konrad Adenauer und Kurt
Schumacher – lagen aber schon länger vor. Löbe allerdings war von den
Verschwörern tatsächlich für eine führende Position vorgesehen. Das aber
hat niemand verraten und Löbe kam wieder auf freien Fuß.
Ganz anders erging es dem Journalisten und Sozialdemokraten Julius Leber.
Der frühere Chefredakteur des Lübecker Volksboten wurde durch mehrere KZs
geschleift, arbeitete dann als Kohlenhändler in Schöneberg und wurde
bereits vor dem 20. Juli verraten, verhaftet und später zum Tode
verurteilt.
Die Nachricht des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof an die Witwe war
knapp: „Der Kaufmann Dr. Julius Leber ist durch den Volksgerichtshof des
Großdeutschen Reiches am 20. Oktober 1944 wegen Hoch- und Landesverrats zum
Tode verurteilt worden. Dieses Urteil ist am 5. Januar 1945 vollstreckt
worden. Die Veröffentlichung einer Todesanzeige ist unzulässig.“
## Auch die Frauen publizieren
[3][Annedore Leber] war bis dahin kaum in der Presse tätig. Nach Kriegsende
aber wird sie zur herausragenden Publizistin: gemeinsam mit Löbe als
Lizenzträgerin für das Westberliner SPD-Blatt Telegraf, als Verlegerin der
Frauenzeitschrift Mosaik, vor allem aber als die Frau, die mit Aufsätzen
und Büchern („Das Gewissen steht auf“) die Erinnerung an den Widerstand
wachhält.
Auch Herta Zerna, frühere Volksblatt-Volontärin, ist nach dem Krieg bei
einer Frauenzeitschrift aktiv, als Redakteurin der zunächst
überparteilichen Frau von heute. Allerdings steht das Blatt bald – wie
Zerna sagte – „unter kommunistischer Diktatur“, und Rudolf Herrnstadt,
kommunistischer Chefredakteur im Berliner Verlag, habe sie rausgeschmissen.
Zerna war in der SPD und hatte nach 1933 Berufsverbot. Allerdings bekam sie
eine kleine Stelle beim Rundfunk, wo sie ausländische Sender abhören
sollte. Sie gab Nachrichten weiter und versteckte immer wieder Gefährdete
in ihrem Häuschen in Kagar, auch den späteren Regierenden Bürgermeister
Otto Suhr und seine jüdische Frau Susanne.
Lezinsky hat sich gleich 1945 bemüht, das Spandauer Volksblatt zu
reanimieren – nun allerdings überparteilich, wie er an die Berlin
Information Control Unit schreibt. Als Verleger benötigte man damals die
Lizenz der zuständigen Besatzungsmacht, und in Spandau waren das die
Briten. Ab 5. März 1946 konnte die Zeitung wieder erscheinen.
## Die „Korrespondenz Brammer“
Zu diesem Zeitpunkt kocht bereits die Debatte um eine Vereinigung von SPD
und KPD zur SED. Lezinsky ist – wie die meisten Sozialdemokraten, die den
Kampf der KPD gegen die Republik miterlebt hatten – ein Gegner der dann im
Osten durchgesetzten Zwangsvereinigung. An diesem Ziel wird die Presse im
sowjetischen Sektor – samt der Blätter von CDU und LDPD – ausgerichtet.
Das erfährt auch Karl Brammer. Der frühere Leiter des Demokratischen
Zeitungsdienstes, der zu den Aktiven bei der Vereinigung Republikanische
Presse zählte, machte in der NS-Zeit allerlei Konzessionen, durfte aber
seine „Korrespondenz Brammer“ betreiben. Dort entstanden dann Texte voller
Bewunderung für neue deutsche U-Boote: „Torpedo – fertig – los“.
Als Agenturmann konnte Brammer an den Pressekonferenzen des
Reichspressechefs Otto Dietrich teilnehmen. Der „pflegte in Uniform zu
erscheinen und wurde mit Hitlergruß empfangen und verabschiedet“, schreibt
Brammer als Zeuge der Anklage in einer eidesstattlichen Erklärung für die
Nürnberger Prozesse. Und er übergibt dem Gericht illegal angefertigte und
versteckte Niederschriften der von Dietrich verkündeten „Sprachregelungen“.
Nach Ende des Kriegs beteiligt sich Brammer an der Gründung der Berliner
CDU und wird ihr erster Vorsitzender. Zugleich gehört er zur Chefredaktion
der CDU-Tageszeitung Neue Zeit. Als Brammer 1948 im „Wilhelmstraßenprozess“
auftritt, tobt längst der Kalte Krieg. In den Ostberliner Redaktionsstuben
der Neuen Zeit wird der Druck der Kommunisten so stark, dass Brammer das
Blatt verlässt und nach Westberlin wechselt.
## Gründung des Journalistenverbandes
Löbe, der das Kriegsende in Schlesien erlebt, kommt im Sommer 1945 nach
Berlin, weil er sich – auch im Namen der KPD-Funktionäre seiner Heimat –
bei den sowjetischen Behörden über das Vertreibungsregime der Polen
beschweren soll. Doch der sowjetische Geheimdienst will, dass er die SPD
ausforscht.
Löbe kann dem entgehen. Er arbeitet wieder als Journalist und zwar für Das
Volk, die Berliner SPD-Tageszeitung. Doch auch hier drängen die Sowjets auf
die Vereinigung von SPD und KPD. Löbe weigert sich, entsprechende Artikel
zu schreiben. Dann lehnt auch die Mehrheit der Westberliner SPD-Mitglieder
die Vereinigung ab – im Osten wird eine Urabstimmung gar nicht erst
zugelassen. Bei den Wahlen 1946 schneidet die SED so schlecht ab, dass die
Partei von Überredung auf Schikane umstellt. Löbe schreibt: „Der Naziterror
wurde durch den noch schlimmeren der Bolschewiki ersetzt.“
Auch der Verband der Deutschen Presse, als Nachfolger des Reichsverbands
gegründet und dem FDGB angeschlossen, gerät immer mehr unter das Kommando
der Kommunisten. Es kommt zur Spaltung: Am 7. Juli 1948 wird von 33
JournalistInnen zur Gründung einer „selbstständigen Berufsorganisation“
aufgerufen, darunter Lezinsky, Leber, Löbe, Brammer und Zerna. Löbe wird
Gründungsvorsitzender vom Presseverband Berlin, Brammer folgt ihm. Daraus
wird später der Journalistenverband. Im März lässt sich gut an diese Leute
erinnern: Lezinsky hatte dieser Tage seinen 70. Todestag, Annedore
Leber am 18. März den 118. Geburtstag.
18 Mar 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Christian Walther
## TAGS
Presse
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Justiz
Berlin
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