# taz.de -- Neuer Heimatroman „Mitterndorf“: Traktor, Geigerzähler und Tsc… | |
> Michaela Maria Müller hat mit „Mitterndorf“ einen modernen Heimatroman | |
> geschrieben. Darin erzählt sie vom harten Landleben im Jahr 1986. | |
Bild: Kühemelken, Kochen und Kirchweih: die Protagonistin von „Mitterndorf�… | |
Kühemelken, Kochen, nachmittags Arbeit auf dem Feld und im Wald. Abends | |
wieder die Kühe, eine schweigend eingenommene Mahlzeit. So sehen die Tage | |
von Resa aus, die zusammen mit ihrem Vater Georg den Fischerhof | |
bewirtschaftet, einen der letzten Landwirtschaftsbetriebe in Mitterndorf. | |
Nach Schulabschluss und missglückter Bewerbung hängt die 17-Jährige zu | |
Hause fest. Gehen hieße, den Hof sterben zu lassen. Aber Bleiben, mit einem | |
Vater, der seit dem Tod seiner Frau nur noch das Nötigste spricht, ist auf | |
Dauer auch keine Lösung. | |
„Mitterndorf“ ist ein moderner Heimatroman. Und, so darf man wohl vermuten, | |
auch ein autobiografischer. Das titelgebende Dorf westlich von Dachau gibt | |
es wirklich. Hier, auf einem Familienhof in der oberbayerischen Provinz, | |
ist auch die Autorin Michaela Maria Müller aufgewachsen. In einer Zeit, als | |
Kirchweih und Holzverlosung noch den Festrhythmus im Dorf bestimmen – aber | |
Discounter und Milchquoten bereits die Existenz der letzten Kleinbauern | |
bedrohen. | |
Müllers Schreibstil ist ebenso geerdet wie das Milieu, das sie beschreibt. | |
Sie zeichnet ihre Bauern mit viel Sympathie, aber ohne jene Überhöhung, die | |
Autor:innen an den Tag legen, wenn sie vom großstädtischen Schreibtisch | |
aus aufs Landleben blicken. Gradlinig und schnörkellos, ohne jede | |
„Herbstmilch“-Nostalgie erzählt Müller den Alltag auf dem Fischerhof: | |
Borkenkäferfraß, Kalkanrühren im Schuppen, Knödel mit Soße im | |
Herrgottswinkel. | |
## Dorfchronik und Leben in der Welt | |
Vom dorfchronikhaften Kleinstrahmen der Geschichte sollte man sich | |
allerdings nicht täuschen lassen. Müller ist auch heraus- und | |
herumgekommen: Buchhändlerin in München und New York, seit einigen Jahren | |
Journalistin in Berlin. Und so steckt einiges an großer Welt in diesem | |
demonstrativ bescheiden daherkommenden Buch – familiäre Abgründe ebenso wie | |
ein sorgfältig gezeichnetes Porträt der westdeutschen Provinz. | |
Die Autorin nimmt das Jahr 1986 als Zeitenwende, in der viele in die Städte | |
gehen und einige daheim etwas Neues wagen. Wie der Huberfranz, der die Kühe | |
verkauft hat und sich als direktvermarktender „Kartoffelkönig“ neu erfindet | |
– seine optische Ähnlichkeit mit dem britischen Thronfolger ausnutzend. | |
Oder Lothar, der neue Nachbar aus dem Osten, der mit seiner Uckermärker-Kuh | |
Valja eine Rinderzucht für die Fleischproduktion aufbauen will, wovon Resas | |
Vater nichts wissen will. Der führt weiter stur seine blau eingebundenen | |
Holzbücher und geht zum jährlichen Jagdessen der Waldgenossenschaft – das | |
die Nachrichten aus einem weit entfernten ukrainischen Atomkraftwerk | |
sprengen. | |
Resa kramte in den Taschen ihres Blazers und holte eine Tablettenpackung | |
heraus. „Ist das Jod?“, fragte der Vorsitzende und deutete darauf. „Ja“, | |
erwiderte Resa und nickte. „Wieso soll man sie nehmen?“, erkundigte er | |
sich. | |
„Um sicher zu gehen“, sagte Resa. | |
„Und warum?“, fragte der Vorsitzende weiter. | |
Huberfranz zuckte mit den Schultern und unterbrach das Gespräch: „Im Wald | |
ist der Boden an einigen Stellen aufgewühlt. Ich bin mir ziemlich sicher, | |
dass sie von Wildschweinen stammen. | |
Als der Huberfranz seine Ernte unterpflügen muss und mit Lothars | |
Jugendliebe ein Geigerzähler ins Austragshäusl einzieht, sucht sich Resa | |
neue Allianzen. Mit Soner, dem türkischen Gastarbeitersohn aus den | |
Werkswohnungen neben der Papierfabrik, und den Nachbarn aus dem Osten | |
erforscht sie die verdrängte Famliengeschichte – und lässt das zerbröselnde | |
Traditionsgefüge des Dorfes hinter sich. | |
17 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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