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# taz.de -- Antislawischer Rassismus in Deutschland: „Wir sind nicht Putin“
> Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nehmen Anfeindungen gegen die
> russischstämmige Community in Deutschland zu.
Bild: „Es ist Putins Krieg“
Berlin taz | Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die gesamte
Ukraine mehren sich die Berichte von Anfeindungen und Angriffen gegen
Russlanddeutsche und Menschen mit sowjetischem Hintergrund hierzulande. Im
nordrhein-westfälischen Oberhausen etwa wurden die Scheiben eines
russischen Lebensmittelmarktes eingeschlagen und mehrfach beschmiert. Die
Polizei vermutet als Auslöser einen Medienbericht, in dem ein Kunde des
Ladens mit Pro-Putin-Äußerungen auftrat.
Am Universitätsklinikum der LMU München kündigte eine Ärztin in einem
internen Schreiben an, dass sie die ambulante Behandlung von russischen
Patient*innen ablehne. Die Klinik [1][distanzierte sich] am Mittwoch in
einer Pressemitteilung und erklärte, es handele sich um „eine einzelne,
persönliche Meinung, die in einer sehr emotionalen Situation verschickt
worden“ sei.
Vielfach kursieren Berichte über verbale Anfeindungen auf der Straße, im
Netz und an den Schulen. „Leider machen Wut, Hass und Hilflosigkeit die
Menschen ungerecht und undifferenziert. Das führt zu Diskriminierung von
Unschuldigen“, sagt Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für
Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Viele würden es angesichts des
Krieges vermeiden, in der Öffentlichkeit Russisch zu sprechen – aus Scham
und Wut über den Angriff, aber auch aus Sorge vor Ausgrenzung.
Die Zahl der Anfeindungen sei in den vergangenen Tagen stark gestiegen,
besonders von den Schulen werde ihm von angespannter Stimmung unter den
Schüler*innen und in den Kollegien berichtet. So berichtet eine Lehrerin
aus dem brandenburgischen Fürstenwalde der taz von Schüler*innen aus
russischsprachigen Familien, die sich von Mitschüler*innen und
Lehrer*innen unter Druck gesetzt fühlten, sich verteidigen und zu der
russischen Invasion positionieren zu müssen.
## Schwer zu belegen
Was von den Berichten über Anfeindungen in den sozialen Medien stimmt und
was nicht, lässt sich schwer eindeutig belegen. Der
Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind bislang keine akuten Vorfälle
aus den vergangenen Tagen bekannt, lediglich der [2][eines Restaurants in
Baden-Württemberg], das die Abweisung russischer Gäste verkündet hatte, das
Statement aber kurz darauf wieder zurückzog, wie unter anderem der SWR
berichtete.
Der Wiener Migrationsforscher Jannis Panagiotidis weist darauf hin, dass
das Thema auch von bestimmten prorussischen Gruppen gezielt in den Sozialen
Medien unterstützt werden könnte: „Es kam offenbar zu Vorfällen, ich sehe
aber bisher keinen klaren Beleg für eine weit verbreitete antirussische
Stimmung. Das Thema ist aktuell schwer zu bewerten, da es offenbar auch
Gegenstand von Manipulationen wird.“
„Es ist egal, ob wirklich etwas passiert“, sagt Sergej Prokopkin. „Die
Angst schränkt mich ja schon in meinem Leben ein. Ich handele nicht frei,
psychologisch gesehen.“ Prokopkin ist Jurist und
Antidsikriminierungstrainer mit dem Schwerpunkt postsowjetische Migration.
Er erzählt von einer Freundin, die in einer Arztpraxis wüst als „Putins
kleine Hure“ beschimpft worden sei. „Das geht gerade erst los, aber das
wird sich verschlimmern. Es ist nicht nur aufgeheizte Stimmung, sondern das
hat schon ein Fundament.“
## Die Russen kommen
Julia Boxler vom [3][Podcast „X3“] über die Erfahrungen von
postsowjetischen Migrant*innen in Deutschland stimmt ihm im gemeinsamen
Gespräch mit der taz zu und ergänzt: „Das ist nichts, was auf einmal
passiert ist. Das ist was, was es schon immer gab, sowas wie ‚die Russen
kommen‘“. Antislawische Ressentiments seien weit verbreitet und würden
nicht aufgearbeitet.
Hinzu kommen vereinfachende Parallelen, die zwischen den Kriegsverbrechen
des NS-Regimes und der Invasion in der Ukraine gezogen werden. In den
Sozialen Medien taucht zum Beispiel an einigen Stellen der Satz „Russen
sind die neuen Deutschen“ auf, ein Vergleich, der Gefahr läuft, die
Situation zu vereinfachen und die russenfeindlichen Ressentiments
anzuheizen.
„In Deutschland denkt man wieder an Kollektivschuld“, sagt Prokopkin. Dabei
müsse man differenzieren: „Wir sind nicht Putin. Russland ist auch nicht
Putin, viele Russinnen und Russen sind auch nicht Putin. Aber das klar zu
trennen, das funktioniert hier irgendwie nicht. Deshalb müssen wir mit
weiteren Übergriffen rechnen.“
4 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.lmu-klinikum.de/aktuelles/newsmeldungen/lmu-klinikum-munchen-be…
[2] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/karlsruhe/russische-gaeste…
[3] https://www.x3podcast.de/
## AUTOREN
Jette Wiese
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Russland
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Russlanddeutsche
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Literatur
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Friedrich Merz
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