# taz.de -- Aufarbeitung der Kurz-Ära in Österreich: Das Korruptionsproblem d… | |
> Österreichs Parlament untersucht Vorwürfe von Vetternwirtschaft, | |
> Postenschacher, Umfragefälschungen und gekaufter Berichterstattung. | |
Bild: Sebastian Kurz hat sich gern als Saubermann inszeniert | |
Wien taz | Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) steht unter | |
Korruptionsverdacht. Dem geht ab Mittwoch ein parlamentarischer | |
„Untersuchungsausschuss zu mutmaßlicher Korruption durch ÖVP-Vertreter“ | |
nach. Die offizielle politische Aufarbeitung der Ära des am 11. Oktober | |
zurückgetretenen Bundeskanzlers [1][Sebastian Kurz] beginnt mit der | |
Befragung des jetzigen Bundeskanzlers [2][Karl Nehammer]. | |
Auf seine Antworten auf konkrete Fragen kann man gespannt sein, denn bisher | |
hat Nehammer konsequent beteuert, seine Partei habe kein | |
Korruptionsproblem. | |
Worum geht es konkret? Zum einen um Vetternwirtschaft. Eine Anzahl von auf | |
Handys von Verdächtigen sichergestellten SMS- und Whatsapp-Chats | |
dokumentiert, dass die ÖVP ihre Leute weit über den landesüblichen | |
Nepotismus hinaus in Schlüsselpositionen platziert hat. Das passierte | |
selbst dann, wenn sich mangels Qualifikation gar niemand aus der ÖVP | |
beworben hatte. | |
Besonders hohe Wellen schlug der Fall der Richterin Eva Marek, die 2014 vom | |
damaligen ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter gedrängt wurde, sich um | |
den Chefposten der Oberstaatsanwaltschaft zu bewerben, um zwei SPÖ-nahe | |
Kandidatinnen zu verhindern. | |
## Kein Posten ohne ÖVP-Stallgeruch | |
Da Marek die Position als Abstieg in ihrer Karriere verstand, wurde ihr für | |
später die Leitung der Generalprokuratur zugesagt. Besonders krass ist der | |
parteipolitische Postenschacher aber im Innenministerium, wo man ohne | |
ÖVP-Stallgeruch praktisch keine Karriere machen kann. | |
Des Weiteren wird untersucht, welche Personen aus dem Umfeld des | |
Exaußenministers und Bundeskanzlers Kurz an der Beauftragung manipulierter | |
Meinungsumfragen beteiligt waren. | |
Die Demoskopin Sabine Beinschab, die eine Anzahl von Umfragen und Studien | |
für die ÖVP über das Finanzministerium abrechnen durfte, hat ein | |
umfassendes Geständnis abgelegt, dessen Inhalt vor wenigen Tagen bekannt | |
wurde. | |
Dabei gab sie an, die damalige Familienministerin Sophie Karmasin, einst | |
ihre Chefin, habe 20 Prozent ihrer Honorare für die [3][Fake-Studien] | |
kassiert. Im Rückblick habe sie sich schon gewundert, so Beinschab, dass | |
offensichtlich parteipolitisch motivierte Umfragen [4][vom | |
Finanzministerium bezahlt] worden seien. | |
## 300.000 gelöschte Chatnachrichten wiederhergestellt | |
Dort herrschte damals der inzwischen berühmte Thomas Schmid als | |
Generalsekretär. Der Kurz-Intimus, so legen es die Chats nahe, war eine | |
Schaltstelle für den generalstabsmäßig geplanten Aufstieg von Kurz zum | |
ÖVP-Chef und dann Bundeskanzler. | |
Schmids beschlagnahmtes Handy, auf dem die Ermittler über 300.000 hastig | |
gelöschte Chat-Nachrichten wiederherstellen konnten, ist die wichtigste | |
Quelle für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). | |
Diese ermittelt strafrechtlich auch gegen Kurz. | |
In Zusammenhang damit stehen auch die systematischen Behinderungen der | |
Justiz durch Funktionäre der ÖVP. Die Abgeordneten im U-Ausschuss rechnen | |
mit weiteren Sabotageaktionen der ÖVP. | |
Hatten die Verantwortlichen im Ibiza-U-Ausschuss des vergangenen Jahres | |
noch die Herausgabe von Dokumenten gezielt verzögert, so setzt man diesmal | |
auf die gegenteilige Strategie: Der Ausschuss wird mit Akten überflutet. | |
Das geht bis zu minutiösen Aufstellungen der Beschaffung von Kreide und | |
Klopapier für Schulen. | |
## Ausschussvorsitzender sieht sich nicht als befangen | |
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der laut Gesetz den Vorsitz | |
führen kann, aber nicht muss, sieht keinen Anlass, sich für befangen zu | |
erklären, obwohl er selbst in den Chats als Mittelsperson für politische | |
Einflussnahme vorkommt. Im Ibiza-Ausschuss hatte seine parteiische | |
Vorsitzführung ständig für Empörung gesorgt. | |
Ob Kurz als einer der Hauptbelasteten dem U-Ausschuss die Ehre geben wird, | |
ist noch unsicher. Er verlegt gerade seinen Wohnsitz nach Kalifornien, wo | |
er beim Trump-Fan und Risikokapitalinvestor Peter Thiel als „Global | |
Strategist“ angeheuert hat. Nur Personen mit Wohnsitz im Inland können | |
zwangsweise vorgeführt werden. | |
Das weiß auch der Ex-Gneralsekretär der ÖVP, Thomas Schmid. Er ist schon | |
seit einigen Monaten in Amsterdam gemeldet. Seiner Ladung für Mittwoch will | |
er nicht nachkommen. | |
1 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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