# taz.de -- Umbaupläne für RAW-Gelände: Soziokultur in Geiselhaft? | |
> Das RAW-Gelände in Friedrichshain wird gehörig umgekrempelt. Einige | |
> alteingesessene Locations werden verschwinden, andere erhalten bleiben. | |
Bild: Die Vorentwürfe für das RAW-Gelände zeigen: Beliebte Kultureinrichtung… | |
BERLIN taz | Das RAW-Gelände, gelegen zwischen Revaler und Warschauer | |
Straße in Friedrichshain, befindet sich immer noch im Coronaschlaf. | |
Partytouristen und Drogendealer verirren sich hier nachts gerade nur | |
vereinzelt zwischen den mit Graffiti zugebombten, halbverfallenen Gebäuden. | |
Derweil wird hinter den Kulissen daran gearbeitet, das weitläufige Areal | |
gehörig umzukrempeln. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird hier in ein paar | |
Jahren alles anders sein. Haubentaucher, Urban Spree, Suicide Club, alles | |
wird verschwinden. Ein riesiges Areal wird neu bebaut und hauptsächlich mit | |
Bürokomplexen zugepflastert werden. | |
Das langwierige Verfahren samt [1][aufwändiger Bürgerbeteiligung], das seit | |
nunmehr vier Jahren auslotet, was hier genau geschehen soll, geht langsam | |
in seine entscheidende Phase. Vorentwürfe für einen Bebauungsplan, der | |
demnächst erstellt werden soll, wurden nun im Club Astra – der ebenfalls | |
verschwinden soll – präsentiert. Am Ende der Veranstaltung stand die Frage | |
im Raum: Entsteht hier der nächste Mercedes-Benz-Platz oder doch ein | |
„Anti-Mercedes-Benz-Platz“, wie es Florian Schmidt, der Baustadtrat von | |
Friedrichshain-Kreuzberg, auf dem Podium versprach. | |
## Das „soziokulturelle L“ sollte erhalten bleiben | |
Dass für die [2][Neugestaltung des RAW-Geländes] überhaupt ein so | |
aufwändiges Dialogverfahren samt öffentlicher Präsentationen gewählt wurde, | |
liegt daran, dass hier ein Knäuel unterschiedlichster Interessen entwirrt | |
werden musste. Drei verschiedene Investoren teilen das über 70.000 | |
Quadratmeter große Gelände – das entspricht rund zehn Fußballfeldern – | |
unter sich auf. | |
Den weitaus größten Teil des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes | |
besitzt die Göttinger Kurth-Immobilien und dort ist alles besonders | |
kompliziert. Auf deren etwa 50.000 Quadratmeer Fläche befinden sich Kneipen | |
wie das Schmutzige Hobby, eine Skate-Halle, ein Kletterturm, Der Kegel (ein | |
Boulderclub), ein paar Ateliers. | |
Die Anordnung dieser Locations hat in der Draufsicht von oben die Form | |
eines L, weswegen sie „soziokulturelles L“ genannt wird (siehe Grafik, hier | |
in Blau). Und dieses L, das war Baustadtrat Florian Schmidt von Beginn der | |
Verhandlungen mit Investor Kurth wichtig, soll erhalten bleiben. | |
## Amazon-Tower kriegt Gesellschaft | |
So wurde ein Kuhhandel vereinbart: Die Locations, die sich innerhalb des L | |
befinden, sollen mit Mietverträgen zu extrem vorteilhaften Konditionen und | |
einer Laufzeit von 30 Jahren ausgestattet werden. Dafür darf die | |
Kurth-Immobilien auf den anderen zwei Dritteln ihres Areals, die ihr noch | |
bleiben, für die kommerzielle Nutzung bauen. | |
Man kann auch sagen: Kurth hat die Soziokultur in Geiselhaft genommen, um | |
seine Interessen als Investor durchzusetzen. Auf fast 150.000 Quadratmeter | |
Baumasse hat man sich festgelegt. Um die unterzukriegen auf den zur | |
Verfügung stehenden 50.000 Quadratmetern, soll mehrstöckig gebaut werden | |
und an der Ecke des Geländes – wo auf der gegenüberliegenden Seite der | |
Warschauer Straße [3][gerade bereits der Amazon Tower hochgezogen wird] –, | |
soll ein weiteres gigantisches Hochhaus entstehen. | |
Dass die mit den Entwürfen für die Bebauung des Kurth-Areals beauftragten | |
und miteinander konkurrierenden Architekturbüros einige Mühe dabei hatten, | |
diese 150.000 Quadratmeter in ihren Plänen unterzubekommen, merkte man | |
ihren Präsentationen im Astra an. | |
Für die Grünflächen, mit denen Florian Schmidt gerne wirbt, blieb da nicht | |
viel Platz. Und es konnte noch so blumig vom Charme des Geländes, den es zu | |
erhalten gelte, daher geredet werden: In Gedanken schweifte man dann doch | |
immer wieder in Richtung Mercedes-Benz-Platz ab, an den man sich an diesem | |
Abend erinnert fühlte. | |
## Irgendwas mit „Freiräumen“ | |
Dabei gaben sich die Büros, zwei aus Berlin, eines aus Köln und eines aus | |
den Niederlanden, wirklich alle Mühe, ihre Projektplanungen zu verkaufen. | |
Da wurde das RAW-Gelände als „urbane Insel in Berlin“ und „ökologisches… | |
kulturelles Eldorado“ angepriesen und ein „Willkommensplatz“ versprochen. | |
Geplante Gebäudekomplexe wurden ernsthaft „Berlin Forrest“ genannt und das | |
Gründen einer „RAW Family“ angekündigt. | |
Und jeder, wirklich jeder, sprach von „Freiräumen“, die hier entstehen | |
sollen, wo man eigentlich dachte, dass die hier eher verschwinden würden. | |
Aber dass Freiräume für die Berliner wichtig sind, davon hat man natürlich | |
sogar in den Niederlanden Wind bekommen. In der Diskussionsrunde nach der | |
Veranstaltung wurde dann auch von jemandem aus dem Publikum gefragt, was | |
denn genau gemeint sei mit „Freiräumen“. Eine Antwort blieb aus. | |
## Der Jubel bleibt aus | |
Überhaupt waren die Reaktionen auf die Zukunftspläne für das RAW-Gelände | |
wahrscheinlich nicht so, wie sich das [4][Investor Lauritz Kurth] und | |
Florian Schmidt wohl erhofft hatten. Carsten Joost, scharfer Kritiker der | |
Bebauungspläne insgesamt und Vertreter der Initiative RAW-Kulturensemble, | |
sprach von einem „Gefälligkeitsgutachten“, das dazu geführt habe, Kurth a… | |
Kompensation für seine Zugeständnisse beim soziokulturellen L derartige | |
Baumassen zu gewähren. Ein anderer nannte das Präsentierte „eine Schande | |
für den Bezirk“. | |
Zwar soll noch in diesen Tagen entschieden werden, welches der vier Büros | |
den Zuschlag bekommen soll, einen Bebauungsplan zu erstellen, doch Florian | |
Schmidt versuchte zu beruhigen und sagte: „Es liegt noch viel Strecke vor | |
uns.“ | |
Derweil bastelt Stadtplaner Carsten Joost weiter an eigenen, alternativen | |
Plänen für das RAW-Gelände. Weniger wuchtig sehen die aus und ohne | |
Hochhaus. Er sagt der taz am Telefon: „Ich rechne schließlich damit, dass | |
Kurth-Immobilien scheitern wird. Das, was geplant ist, kann nicht wahr | |
sein, das glaubt ja keiner.“ | |
23 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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