Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Präsenzpflicht an Berlins Schulen: Ohne Not ins Chaos
> Drei Wochen hielt Schulsenatorin Busse (SPD) durch – um dann doch noch
> die Präsenzpflicht an Schulen auszusetzen. Warum nur?
Bild: Schule dicht – aber erst mal nur wegen der Winterferien in Berlin
Wenn derzeit, mitten in der Hochphase der Omikron-Welle, im Bund [1][über
eine mögliche Corona-Impfpflicht diskutiert] wird, dann auch deshalb, um
der Öffentlichkeit zu suggerieren: die Politik tut etwas gegen Corona –
wenn auch nicht gegen die aktuell dramatische Lage mit Inzidenzen von mehr
als 3.000 im Berliner Bezirk Mitte. Ob die Impfpflicht kommt, ob sie dann
im Sommer oder Herbst oder Winter etwas gegen die eventuelle nächste Welle
ausrichten kann, ist völlig offen. Gut möglich, dass die Debatte im
Rückblick eine riesige Luftnummer ist.
Ähnlich verhält es sich mit der Maßnahme, die Berlins Schulsenatorin
Astrid-Sabine Busse oder Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska
Giffey (SPD) oder beide gemeinsam – so genau weiß man das nicht – am
Montagnachmittag überraschend beschlossen haben: [2][Die Präsenzpflicht
wird ausgesetzt]. Eltern können bis Ende Februar also selbst entscheiden,
ob ihre Kinder in die Schule gehen oder zu Hause lernen.
Gefordert hatte diesen Schritt nach Brandenburger Vorbild eigentlich nur
die Linkspartei, und deren Vorschläge pflegen die
Bildungspolitiker*innen der Berliner SPD üblicherweise vornehm zu
ignorieren. Die wichtigsten anderen Interessenvertreter*innen in
Sachen Schule – die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die
Verbände der Schulleiter*innen – hatten sich vielmehr für die
Einführung des Wechselunterrichts an möglichst allen Schulen eingesetzt;
dass also Klassen geteilt werden und mal zu Hause, mal vor Ort unterrichtet
werden. Und zwar geordnet. Jetzt dürfte der Wechselunterricht an vielen
Schulen durch die Hintertür kommen, mit deutlich mehr Aufwand bei der
Organisation.
Es gibt mehrere weitere Gründe, die Aussetzung der Präsenzpflicht höchst
irritierend zu finden. Seit ihrem Dienstantritt am 21. Dezember 2021 hatte
sich Busse vehement dagegen ausgesprochen und damit die Linie ihrer
Vorgängerin Sandra Scheeres (auch SPD) fortgesetzt. Busse hatte trotz der
drohenden Omikronwelle – von der niemand weiß, wie sie letztlich aussieht –
nach den Weihnachtsferien auf Präsenz in den Schulen und auf das erprobte
Ampelmodell gesetzt, wonach die Lage an jeder Schule einzeln immer
donnerstags untersucht wird.
Sie war damit gut gefahren: Auch Wochen nach den Weihnachtsferien drei
musste keine Schule geschlossen werden; lediglich 35 der über 800
allgemeinbildenden Schulen war zwangsweise im Wechselunterricht.
Nun hatten Schüler*innen und Lehrkräfte das erstmal rettende Ufer – die
einwöchigen Winterferien, die am 29. Januar begannen – fast erreicht, da
knickte Busse doch noch ein. Mit chaotischen Folgen: Die Aussetzung traf
die Schulleitungen am Montagnachmittag völlig unvorbereitet;
Schüler*innen und Eltern wurden von ihnen nur seltenst über den Schritt
und die Auswirkungen informiert. An einigen Schulen kam bis Ende der Woche
kein Elternbrief – obwohl viele Klassen bereits nur noch halb gefüllt
waren, und eben nicht nur aus Gründen der Quarantäne. Busse brachte mit dem
Schritt [3][die Schulleitungen gegen sich auf und sorgte an den Schulen für
Chaos] – und das völlig unnötig.
Nun mag man sagen: Die letzten Tage vor den Ferien, da passiert in den
Schulen sowieso nichts Relevantes mehr und die Noten für das am Freitag
ausgegebene Halbjahreszeugnis stehen auch längst fest. Das stimmt
natürlich.
## Das Gegenteil von überlegter Politik
Dennoch ist das überstürzte Handeln von Busse, mindestens mit Rückendeckung
durch die einstige Bundesfamilienministerin Giffey, ein Affront: Es ist
wieder einmal keine überlegte Politik für Schüler*innen, Lehrer*innen
und Eltern, sondern blinder, zu diesem Zeitpunkt unnötiger Aktionismus, wie
man ihn aus früheren Coronawellen kennt. Er hat vor allem das Ziel, von der
eigentlichen Taktik der Politik abzulenken: das Aussitzen der fünften
Coronawelle in der Hoffnung, deren Höhepunkt möge bald erreicht und
überwunden sein. Und das kann ja durchaus aufgehen.
Nun aber trifft die Aussetzung der Präsenzpflicht gerade jene Eltern, die
nicht die materiellen Möglichkeiten oder entsprechenden Bürojobs haben, um
ihre Kinder zu Hause zu betreuen und mit ihnen Homeschooling zu machen. Das
hatte die Politik im Herbst anders versprochen. Die Maßnahme reduziert das
Vertrauen in die Politik weiter – und jene ist sogar selbst daran schuld.
29 Jan 2022
## LINKS
[1] /Impfpflicht-Debatte-im-Bundestag/!5832229
[2] /Schulen-in-der-Omikronwelle/!5827765
[3] /Bildungssenatorin-Busse-unter-Druck/!5827623
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Wochenkommentar
Astrid-Sabine Busse
Bildungspolitik
Schwerpunkt Coronavirus
Astrid-Sabine Busse
Wochenvorschau
Schwerpunkt Coronavirus
Astrid-Sabine Busse
Franziska Giffey
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Coronapandemie in Berlin: Kinder müssen wieder in die Schule
Der Senat führt die Präsenzpflicht ab März wieder ein. Die Masken werden
aber noch eine Weile im Unterricht vorgeschrieben sein.
Die Wochenvorschau für Berlin: Mit Popcorn und Maske
Die Winterferien sind vorbei, die Berlinale startet – trotz Omikron. Karl
Marx kann man im Deutschen Historischen Museum ganz nah kommen.
Lehrerverbände und Corona: Berufsmäßiges Unken
Lehrerverbände vertreten die Interessen ihrer Mitglieder, das ist ihre
legitime Aufgabe. Aber müssen sie deshalb aktiv auf Schulschließungen
drängen?
Corona an Schulen in Berlin: Mit vielen Fragen in die Ferien
Nach dem überraschenden Aussetzen der Präsenzpflicht wird Schulsenatorin
Busse (SPD) im Berliner Abgeordnetenhaus stundenlang gelöchert.
Bildungssenatorin Busse unter Druck: Schule in den Wechseltagen
Nachdem die Präsenzpflicht aufgehoben wurde, sind die Schulen verstimmt.
Sie monieren die Handhabung von Kontaktnachverfolgung und
Quarantäne-Regeln.
Schulen in der Omikronwelle: Berlin setzt Präsenzpflicht aus
Eltern dürfen ihre Kinder zu Hause beschulen, wenn sie das wollen. Die
Bildungssenatorin reagiert auf Aufhebung der Quarantäne für Schulkinder.
Corona-Lage in Schulen und Kitas: Erster Test für neue Senatorin
Der Bildungsausschuss diskutiert über die Corona-Lage. Nicht alle Kitas
können am Montag mit Schnelltests starten. Eltern fordern
Wechselunterricht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.