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# taz.de -- Stimmen aus Moskau zur Ukrainekrise: „Krieg? Ach, hören Sie mir …
> In Russland wollen viele Menschen nicht so recht glauben, dass der
> Ukrainekonflikt tatsächlich eskaliert. Und im staatlichen TV? Läuft
> Propaganda.
Bild: Die Propaganda läuft, doch in dieser Bar in Moskau findet Putin wenig Be…
Moskau taz | Es schneit seit Tagen in Moskau. Orangefarbene
Schneeräumfahrzeuge fahren durch die Stadt, Männer und Frauen in
orangefarbenen Jacken ziehen mit Schaufeln durch die Straßen. Bürgersteige
müssen freigeräumt, Spielplätze enteist, Schneematsch vor Supermärkten
entfernt werden. Akkordarbeit bei Minusgraden.
Swetlana, Olga und Arina müssen kurz durchschnaufen. Ihre Nachnamen wollen
sie nicht nennen, der Arbeitgeber könnte ja schimpfen. Arina packt die
Thermoskanne aus, Olga stellt die Schaufeln zur Seite. Die Unterführung am
Nowinski-Boulevard, nur unweit des Weißen Hauses, haben die drei
Kommunalarbeiterinnen an diesem Vormittag freigeschaufelt. Kurze Pause an
der breiten Kreuzung, von der es weiter geradeaus schnurstracks zum Kreml
geht und nach rechts auf einer abschüssigen achtspurigen Trasse zum
russischen Außenministerium. Sie machen Witze, über sich und die Passanten.
In die ausgelassene Stimmung eine ernste Frage: Wird es bald Krieg geben
zwischen Russland und der Ukraine?
„Krieg?“, fragt Swetlana, Mitte vierzig, die energischste der drei
Schneeräum-Frauen. „Ach, hören Sie mir auf. Krieg interessiert die
Politiker, die Journalisten und natürlich die Waffenhersteller. Uns
einfache Leute interessiert er nicht. Es wird auch nicht dazu kommen“, sagt
sie. Olga gibt sich milder: „Ich glaube, wir leben in Zeiten, in denen die
Staatsführungen einen anderen Weg finden sollten, ihre Probleme zu lösen,
als dass sich ihre Völker gegenseitig abknallen.“
Arina ist ganz still. Es seien ohnehin ganz andere Sorgen, die sie
beschäftigten, sagt Olga: die steigenden Lebensmittelpreise, der geringe
Verdienst, das Leben in und mit der Pandemie. In diesen unsicheren Zeiten
zähle vor allem das Private. „Meine Enkelin hat die Aufnahmeprüfung für die
Ballettschule bestanden. Das interessiert mich. Aber doch nicht Politik“,
sagt Swetlana und fügt hinzu: „Das Fernsehen liefert ziemlich schlimme
Bilder, aber so etwas Negatives schalte ich weg, keine Lust darauf.“
## „Amerikanische Schauermärchen“
Das Fernsehen zeigt martialische Bilder von Explosionen über verschneiten
Feldern, zeigt Bewaffnete in Tarnfleck, die in Schützengräben den Finger an
den Abzug legen. Der Tenor in den Nachrichtensendungen der staatlichen
Sender ist eindeutig: Der böse kriegstreibende Westen wolle das
friedliebende Russland klein halten und zersetzen, indem er die hilflose
ukrainische Führung dazu treibe, Russland in einen Krieg zu ziehen. Die
Militarisierung der Ukraine werde vom Westen betrieben, heißt es in den
Hauptnachrichten des ersten Kanals nach dem [1][Telefonat zwischen dem
russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem amerikanischen
Amtskollegen Joe Biden] am Samstagabend.
„Die Hysterie des Westens ist präzedenzlos“, sagt der Moderator und macht
sich über die Amerikaner lustig. „Sogar das Datum der mythischen russischen
Invasion haben sie schon genannt. Man stelle sich das vor“, sagt auch der
Kommentator. Es gebe keine Beweise, nur „amerikanische Schauermärchen“. Der
Moderator stimmt zu: „Propagandistischer Bullshit.“ Die TV-Sender zitieren
Putin immer wieder mit den Worten: „Die Hauptaufgabe des Westens ist es,
die Entwicklung Russlands einzudämmen. Die Ukraine ist ein Instrument, um
dieses Ziel zu erreichen.“ Auch Russlands Außenminister kommt oft zu Wort:
„Einen Krieg wollen wir nicht. Aber wir werden es auch nicht zulassen, dass
unsere Interessen ignoriert werden.“
Die Interessen Russlands liegen vor allem darin, die Nato-Osterweiterung
für immer zu stoppen. Russische Moderator*innen werden nicht müde zu
betonen, dass der Westen diese russischen Interessen nicht anerkennen
wolle. Europa sei ohnehin „gesichtslos und stimmlos“, wie Dmitri
Kisseljow, der Motor der russischen Propagandamaschine, in seinem
scharfzüngigen Wochenrückblick im Staatssender Rossija 1 sagt. Es sei doch
„niveaulos und einfach“: Die Ukraine wolle ihr Scheitern im Feuer eines
Krieges ausblenden – die bodenlose Korruption, die hohen Schulden, alles.
„Und das eigene Versagen dann auf Russland schieben.“ Der Puppenspieler in
diesem Spiel seien die USA. „Dümmlich wie unkultiviert“, meint Kisseljow
und bezeichnet das „Getöse um die Ukraine“ wahlweise als „Hysterie“ od…
„Massenpsychose“. Gern gebrauchte Begriffe auch in den russischen
Nachrichten.
Der Begriff „Krieg“ ist alltäglich geworden im TV. Und der Krieg wird nach
und nach zum notwendigen Übel erklärt. Einer Normalität, gegen die sich vor
einigen Tagen Dutzende russische Aktivist*innen, Journalist*innen,
Kulturschaffende, Menschenrechtler*innen, Jurist*innen,
Lokalpolitiker*innen, Professor*innen in einem offenen Brief an die
russische Führung ausgesprochen haben. „Russische Bürger werden zu Geiseln
des kriminellen Abenteurertums, zu dem Russlands außenpolitische Linie sich
derzeit verwandelt“, heißt es darin. „Wir hassen Krieg, und Sie halten ihn
für zulässig. Sie belügen und benutzen Menschen für Ihr politisches Spiel.
Haben Sie vergessen, dass unser Land in den vergangenen Kriegen Millionen
von Menschen verloren hat?“ Es ist eine bittere und flehende Anklage der
eigenen Führungsriege.
Russland habe die Nato als Geisel genommen, so sieht es der russische
Militärexperte Alexander Golz. Natürlich verhandle der Westen in dieser
Situation mit den Geiselnehmern. Das sei eine politische Angelegenheit.
„Die Nato-Osterweiterung stellt weder heute noch in Zukunft eine
militärische Bedrohung für Russland dar“, schreibt Golz im russischen
Magazin Republic.
## Eine alte sowjetische Formel
Kiews Pläne, der Nato beitreten zu wollen, stoße Moskau deshalb so vor den
Kopf, weil der von der [2][russischen Führung] ausgerufene besondere Weg
aufgrund gemeinsamer Geschichte und Kultur nicht funktioniere. Die Ukraine
wolle den Weg der Demokratie gehen, trotz ihrer Geschichte. Damit jedoch
wolle sich der Kreml nicht abfinden und erfinde deshalb das Szenario von
der Bedrohung der eigenen Sicherheit.
„Mir machen diese ganzen Nachrichten vom möglichen, ja baldigen Krieg
einfach nur noch Angst“, sagt Alina Grigorjewa in der verschneiten Moskauer
Fußgängerzone am Alten Arbat. Die 28-Jährige schiebt langsam einen
Kinderwagen durch den Schneematsch, ihr Morgenspaziergang mit ihrem Sohn.
„Ich will einfach, dass Jarik in Frieden aufwächst“, sagt sie leise. Ihr
vier Monate altes Kind schläft. „Ich will auch nicht, dass mein Mann
irgendwo kämpfen muss. Es kann doch nicht sein, dass man heutzutage auf
Mittel der Gewalt setzt!“
Das Thema Ukrainekonflikt ist kein vorherrschendes in den Gesprächen der
Russ*innen. Spricht man sie allerdings explizit darauf an, sagen viele:
„Ein Krieg ist unvorstellbar.“ Egal, ob es ein Moskauer Physiotherapeut ist
oder ein Kindermädchen mit Verwandten in der Ukraine, ob es ein IT-Mann aus
dem russischen Süden ist oder eine Erzieherin aus dem Ural. Einen
bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Nato hält ein Drittel der
Bevölkerung für möglich, so eine Umfrage des unabhängigen Moskauer
Meinungsforschungsinstitutes Lewada-Zentrum aus dem Dezember.
Viele seien des Ukraine-Themas allerdings auch überdrüssig. „Wir sind genug
vom Leben gebeutelt“, sagen die Leute. Aber auch: „Wenn es zum Krieg kommen
sollte, können wir es dem Westen auch zeigen.“ Die Formel hat die
Sowjetunion überdauert: „Angst verbreiten heißt, sich Respekt zu
verschaffen.“
13 Feb 2022
## LINKS
[1] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Ukraine-Krise/!5834798
[2] /Frankreichs-Praesident-Macron-in-Moskau/!5833474
## AUTOREN
Inna Hartwich
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