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# taz.de -- Die Wahrheit: Glibberkörper in totaler Dunkelheit
> Wirf einen Föhn ins Meer: Mit der Schwarmintelligenz des Internets zur
> Elektrifizierung der weltweiten Ozeane. Ein fast schon philosophischer
> Einwurf.
Bild: Wär das Meer beleuchtet, wär es unter Wasser heller
Früher war es so: Wusste der Mensch nicht weiter und suchte Antworten auf
drängende Fragen, konsultierte er den Stammesältesten. Der erfand entweder
irgendeine Antwort oder musste ganz plötzlich aufs stille Örtchen. In
seltenen Fällen gab er sogar eine sinnvolle Auskunft.
Heute stellen die Menschen ihre Fragen einfach ins Internet. Zum Beispiel
auf gutefrage.net. In der Hoffnung, die Intelligenz der Masse wisse sicher
die Antwort. Was dabei herauskommt, ist höchst unterschiedlich. Vom
Mordaufruf bis zum Candystorm ist alles drin.
Die Fragesteller selbst eint hingegen die urmenschliche Suche nach Sinn.
Spott ist nicht angebracht, macht er doch nur blind für die ontologischen
Tiefen, die in diesen Fragen verborgen liegen. Auch wenn manche davon auf
den ersten Blick nicht nur dumm, sondern sogar saudumm wirken, sind sie bei
näherer Betrachtung geeignet, den Sinn des Lebens zu ergründen. Wie diese
Frage: „Was passiert, wenn man einen Föhn ins Meer wirft? PS: Der Föhn muss
logischerweise angeschlossen sein.“
Das ist zuallererst außerordentlich klug formuliert. Nimmt das Postscriptum
doch gleich den höhnenden Hatern, die das Netz durchseuchen wie das
Coronavirus die Schulklassen, die Luft aus der Hatespeech. Denn wo Strom
fließt, fließen Gedanken. Genau genommen sind neurologische Signale nichts
anderes als elektrischer Strom. Und der Kopf ist quasi eine Art runder
Föhn, wenn man so will. Er strahlt schließlich ebenfalls Wärme ab. Dass
dazu viele Zeitgenossen permanent heiße Luft emittieren, muss nicht extra
erwähnt werden.
Darüber hinaus verhandelt die Frage einen Menschheitstraum: die
Elektrifizierung der Weltmeere. Besonders in der Tiefsee ist es geradezu
grotesk dunkel. Die Lebewesen dort sind von bleicher Gesichtsfarbe und
schwerem Gemüt gezeichnet. Bereits Tiefseeforscher Jacques Cousteau
dokumentierte eindrucksvoll, dass Vitamin-D-Mangel kein alleiniges Privileg
homeofficegeplagter Großstädter ist.
## Stirnlampe wie Anglerfisch
In seinen schockierenden Dokumentationen zeigte er dramatische Auswirkungen
auf die wundersamen Bewohner: Glibberkörper, merkwürdige Fransen, die an
verformten Fischkörpern zotteln und verzweifelte Versuche der Evolution,
Fische mit angeborenen Kopflampen zu illuminieren. Was täte der
Anglerfisch, wüsste er, wie ihn überambitionierte Jogger imitieren, die mit
Stirnlampen anglerfischgleich durch das dunkelste Dickicht gleiten? Er
würde sich in den Marianengraben stürzen.
Bereits die alten Griechen haben mittels in Reihe geschalteter Zitteraale
versucht, Licht in das Dunkel der Ägäis zu bringen. Es war ein aufwendiges
Unterfangen, die wendigen Tiere zu bändigen, nur um enttäuscht
festzustellen, dass die Erfindung der Glühbirne noch über 2.000 Jahre auf
sich warten ließ.
Und was hätten die Griechen für einen Föhn gegeben? Kein Volk der Antike
war so bekannt für sein gepflegtes Haupthaar. Seidig glänzend, zart nach
Olive duftend, locker auf die Schulter fallend. Die Seeschlacht von Salamis
wäre sicher schneller ausgefochten gewesen, hätten sich nicht so viele
griechische Krieger vom gischtfeuchten Haar einen Schnupfen geholt.
Der Topos der Elektrifizierung der Meere berührt noch einen weiteren
Aspekt. In der Frage des wissbegierigen Internetnutzers klingt Kritik an
der modernen Schifffahrt an. So fallen doch regelmäßig Horden schlecht
gekleideter Kreuzfahrttouristen in die historischen Altstädte von Dubrovnik
oder Venedig ein. Gehüllt in übel riechende Abgaswolken unfiltrierten
Schiffsdiesels, begleitet vom süßlichen Gestank verrottender Walkadaver,
die mit der Bugwelle an die Kaimauer geschwemmt wurden, weil ihnen
Motorenlärm die Orientierung genommen hat.
## Kanal für Riesenpötte
Elon Musk träumt nicht nur von der Kolonisierung des Alls. Er träumt auch
von einem weit verzweigten Netz von E-Tankstellen auf dem offenen Meer.
Dann würde das „Mastermind of Electrification“, wie ihn das luzide
Wartezimmerblatt Frau im Spiegel nennt, kurzerhand eine Fabrik für smarte
E-Kreuzfahrschiffe in die brandenburgische Pampa stampfen und einen Kanal
bis in die Ostsee für die Riesenpötte graben lassen.
Bald schon würden Tesla-Schiffe laut- und emissionslos über die Meere und
hinein in die abgasgeplagten Touristen-Hotspots gleiten. Die Bewohner
stünden begeistert auf den Hafenmauern, mit den Händen Applaus nur
andeutend, um die perfekte Stille nicht zu stören.
Die Frage nach dem Föhn und seinem Verhältnis zum Meer ist nicht zuletzt
deshalb brillant, weil sich daraus weitere Fragen ergeben, die der
menschlichen Sinnsuche höchst dienlich sind. Wie die drängendste, die
endlich einer Antwort harrt: Was bläst besser am Meer? Der Föhn oder die
Brise?
22 Feb 2022
## AUTOREN
Nico Rau
## TAGS
Meer
Dunkelheit
Licht
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Coach
Jagd
Büro
Naturprodukte
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