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# taz.de -- Kampf gegen Verschwörungstheorien: Eine Impfkampagne genügt nicht
> Verschwörungsideologien sind in ihrer Gefahr nicht zu unterschätzen. Die
> Bildungsstätte Anne Frank widmet dem Kampf dagegen eine Ausstellung.
Bild: Verschwörungsanhänger bei einer Demo gegen die Coronamaßnahmen in Berl…
Vielleicht ist Donald Trump ein warnendes Beispiel dafür, wie wichtig eine
Immunisierung gegen Verschwörungstheorien sein kann. Das sagt jedenfalls
der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in einem [1][Video zur
digitalen Ausstellung „Matter of Fact“] der Bildungsstätte Anne Frank in
Frankfurt am Main, die am Montag online ging: „Man sieht das in den USA: Da
kann selbst der Haupt-Verschwörungstheoretiker abgewählt werden. Die
Verschwörungstheorien verschwinden nicht wieder so schnell.“
Stefanowitsch fordert eine politische Kultur, in der Verschwörungstheorien
möglichst wenig Platz haben; ein „kritisches Denken“, das „erkennen läs…
wann tatsächlich etwas hinterfragt werden müsste und wann nicht“. Dazu
müsse erreicht werden, dass „dämonisierte Gruppen“ – beispielsweise bei
antisemitischen Verschwörungserzählungen – in der Erfahrungswelt der
Menschen vorkommen. Stefanowitsch verspricht sich davon die verbreitete
Erkenntnis: „Diese Verschwörungstheorien können nicht stimmen. Die
Menschen, die ich kenne, können kein Teil dieser Verschwörung sein.“
## „Höchstexplosive Mischung“
Die Ausstellung sucht nach Rezepten gegen eine Gefahr, die aus Sicht von
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte, nicht unterschätzt werden darf.
Die Szene der Verschwörungstheoretiker:innen habe sich in der
Coronapandemie immer stärker radikalisiert, antisemitische und rassistische
Ressentiments machten die Runde, global vernetzte
Geschäftemacher:innen würden „an der Erregungsschraube drehen“.
Mendel spricht von einer „höchstexplosiven Mischung“ und einem „kaum
bekannten Aggressionsniveau im Alltag“. Verschwörungsgedanken hätten schon
vor der Pandemie die „Manifeste“ der Terroristen in Halle und Hanau
geprägt. Und sie seien auch im September 2021 das Motiv für den [2][Mord an
dem Tankstellenkassierer in Idar-Oberstein] gewesen, der einen Kunden auf
die Maskenpflicht hinwies.
„Der Verschwörungsglaube zieht sich durch alle gesellschaftlichen
Schichten“, sagt der Direktor der Bildungsstätte. Die bisherigen
Gegenmaßnahmen der Politik jedoch hält er für unzureichend. Mendel spricht
von einer „nationalen dringenden Aufgabe“. Er erwähnt [3][lobend die
staatliche Impfkampagne]. Aber: „Es wäre gut, wenn eine Kampagne gegen
Verschwörungsideologien andockt.“ Die in der Gesellschaft gezogenen
Vergleiche der Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus mit der Zeit des
Nationalsozialismus empören Mendel. Er widerspricht namentlich dem
ehemaligen Tagesspiegel-Kolumnisten Harald Martenstein, der Proteste mit
„Ungeimpft“-Sternen als „sicher nicht antisemitisch“ bagatellisiert hat…
Das Tragen von „Judensternen“ bei Coronaprotesten sei „selbstverständlich
antisemitisch“, betont Mendel: „Darüber müssen wir nicht diskutieren.“
## Eine rechtsoffene Mobilisierung
Doch dass Aufklärungsarbeit unter den Demonstrierenden von Querdenken & Co
gerade in Zeiten der Pandemie dringend Not tut, hat eine in der
[4][vergangenen Woche vorgestellte Studie] des „Center für Monitoring,
Analyse und Strategie“ (CeMAS) gezeigt. Dessen Geschäftsführerin, die
Sozialpsychologin Pia Lamberty, ist auch an der Ausstellung „Matter of
Fact“ beteiligt. Die Studie untersucht das Protestpotenzial während der
Covid-19-Pandemie. Die undurchsichtige Gemengelage, unter anderem was die
Rolle der organisierten Rechten bei den Protesten angeht, habe
Gesellschaft, Medien und Politik eine Einordnung erschwert und damit auch
„zu sehr unterschiedlichen Umgangsstrategien“ geführt, analysieren die
Wissenschaftler:innen.
Sie sehen eine verschwörungsideologische und rechtsoffene Mobilisierung,
die größere Teile der Bevölkerung anspricht. Zwar haben laut Studie nur 4,3
Prozent der gut 2.200 Befragten erklärt, schon einmal an [5][einer
Coronademonstration teilgenommen] zu haben. 11,1 Prozent aber erklären, sie
wären „auf jeden Fall“ oder „eher“ bereit, an den [6][sogenannten
Spaziergängen teilzunehmen]. Weitere 7,1 Prozent geben an, zumindest mit
dem Gedanken zu spielen. 13,7 Prozent der Befragten stimmten der Aussage
„Die Zeit des friedlichen Widerstandes gegen die Maßnahmen ist vorbei“ eher
oder völlig zu. Mehr als zwei Drittel der ungeimpften Menschen kann sich
vorstellen, an Coronaprotesten teilzunehmen, unter Geimpften sind es nur
12,5 Prozent.
Die Wissenschaftler:innen von CeMAS sehen eine „Dominanz von
Verschwörungserzählungen im Kontext des Protestgeschehens“. Unter
Protestierenden und Protestbereiten gibt es demnach überproportional häufig
demokratiefeindliche Einstellungen. 53,8 Prozent von ihnen sagen etwa: „Das
Virus wird absichtlich als gefährlich dargestellt, um die Öffentlichkeit in
die Irre zu führen.“ 43,7 Prozent erklären: „Es gibt viele Impftote, die
von den Eliten systematisch vor der Gesellschaft verheimlicht werden.“ 37,6
Prozent behaupten: „Die [7][aktuellen Coronamaßnahmen und die Politik] sind
mit der Zeit des Nationalsozialismus vergleichbar.“
Sowie immerhin noch 24,2 Prozent der Protestierenden und Protestbereiten
meinen: „Dunkle Mächte nutzen das Virus, um die Welt zu beherrschen.“ In
der Gruppe der Menschen mit niedriger Protestbereitschaft bejahen die
entsprechenden Fragen bloß zwischen 2,5 und 4,9 Prozent.
22 Feb 2022
## LINKS
[1] https://matter-of-fact.bs-anne-frank.de
[2] /Nach-Mord-in-Idar-Oberstein/!5829684
[3] /Links-anarchische-Impfgegnerinnen/!5834381
[4] https://cemas.io/blog/protestpotential/
[5] /Impfgegner-Demo/!5827007
[6] /Proteste-gegen-Coronapolitik/!5832667
[7] /Zum-Umgang-mit-gefuehlter-Wahrheit/!5827365
## AUTOREN
Matthias Meisner
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