# taz.de -- Gelbe Sterne bei Corona-Protesten: Geschmacklos – aber auch straf… | |
> „Querdenker“ vergleichen sich gern mit Juden in Nazi-Deutschland. Die | |
> Behörden sind uneins, ob dieser Antisemitismus vor Gericht gehört. | |
Bild: Geschmackloser Protest gegen die Coronamaßnahmen in Berlin im April 2021 | |
BERLIN taz | Wenn es um [1][Antisemitismus bei Coronaprotesten] geht, sind | |
Polizei und Justiz nicht einmal innerhalb eines Bundeslandes auf einer | |
Linie. „Ich weiß, dass das umstritten ist und auch unterschiedlich | |
gehandhabt wird“, wandte sich die Vorsitzende des SPD-Ortsvereins | |
Bischofswerda, Anja Hennersdorf, im vergangenen Jahr an den Staatsschutz | |
der Polizeidirektion Görlitz. „Sind die gelben Sterne mit der | |
Aufschrift,ungeimpft' aus Ihrer Sicht strafbar?“ | |
Zunächst kündigte der polizeiliche Staatsschutz eine Einzelfallprüfung an, | |
„da der Stern mit der Inschrift im Kontext beurteilt werden sollte“. Später | |
versprach er eine „Sensibilisierung der eingesetzten Polizeibeamten im | |
richtigen Umgang mit den Trägern eines solches Sterns“. In einer dritten | |
Mail aber teilte die Polizei mit, der Strafbestand der Volksverhetzung sei | |
nicht zu sehen, auch „unsere Staatsanwaltschaft“ habe „angezeigte | |
Sachverhalte“ eingestellt. | |
Später dann leiteten die Behörden in Sachsen im Januar 2022 nach einem | |
Coronaprotest in Grimma dann wiederum doch ein Ermittlungsverfahren wegen | |
eines Davidsterns ein, in Absprache mit der Leipziger Staatsanwaltschaft | |
sogar im „beschleunigten Verfahren“. Hennersdorf, selbst Juristin, sagt: | |
„Gut wäre eine einheitliche Vorgehensweise.“ | |
Die Rechtsunsicherheit, wenn es um die gelben Sterne geht, ist auch | |
außerhalb Sachsens erheblich. Das ergab eine Umfrage des Mediendienstes | |
Integration bei Justiz- und Innenministerien der Bundesländer. Deren | |
Resultat: Wie ein Vergleich der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im | |
Nationalsozialismus mit der heutigen Situation ungeimpfter Personen | |
strafrechtlich zu beurteilen ist, ist nicht eindeutig. Gibt der | |
Volksverhetzungs-Paragraph 130 im Strafgesetzbuch hinreichend Ansatzpunkte? | |
## Viele Bundesländer halten sich bisher zurück | |
Politisch erwünscht wäre das: „Mit den,Ungeimpft-Judensternen' werden die | |
realen Opfer des Holocaust verhöhnt und zugleich die heutige Demokratie mit | |
dem NS-Regime gleichgesetzt“, sagt der Antisemitismusbeauftragte des Landes | |
Baden-Württemberg, Michael Blume, der taz. „Aus meiner Sicht handelt es | |
sich um einen eindeutig antisemitischen Missbrauch der Opfer des | |
NS-Regimes.“ | |
Vier Bundesländer, die besonders entschlossen vorgehen, stellte der | |
Mediendienst heraus: Zum einen Berlin, wo die Polizei ihre Einsatzkräfte | |
angewiesen hatte, grundsätzlich Anzeige zu erstatten, wenn ein adaptierter | |
„Judenstern“ bei Veranstaltungen gezeigt wird. Es sei „grundsätzlich“ … | |
einer Störung des öffentlichen Friedens auszugehen. | |
Daneben sehen auch Niedersachsen, Brandenburg und Bremen die gelben | |
„Umgeimpft“-Sterne der Coronaleugner:innen als strafbar an. In | |
anderen Bundesländern, etwa Baden-Württemberg, haben Amtsgerichte wegen der | |
„Ungeimpft“-Sterne oder des Ausdrucks „Impfen macht frei“ Strafbefehle | |
verhängt – ob sie bereits rechtskräftig sind, ist unklar. Viele andere | |
Bundesländer sind noch zurückhaltend. | |
Unterschiedliche Handhabung, diametrale Entscheidungen aber sind ein | |
Problem: Matthias Jahn, Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main und | |
Strafrechtsprofessor an der Goethe-Universität, nennt gelbe Sterne beim | |
Coronaprotest zwar „empörend“. Von der Strafbarkeit aber ist er nicht | |
überzeugt. | |
## Jurist Jahn bleibt skeptisch | |
Als nachvollziehbar sieht Jahn ein Urteil des Saarländischen | |
Oberlandesgerichts vom März 2021 an. Freigesprochen wurde damals eine | |
AfD-Politikerin, die auf Facebook gelbe Sterne mit der Aufschrift „nicht | |
geimpft“, „AfD-Wähler“, „SUV-Fahrer“ und „Islamophob“ gepostet h… | |
Volksverhetzung, keine Holocaustverharmlosung, so das OLG. Es nannte die | |
Instrumentalisierung des gelben Sterns für die politische Meinungsäußerung | |
zwar schlicht geschmacklos, aber nicht strafbar. | |
Als Beleg für eine Strafbarkeit des gelben Sterns auch beim | |
[2][Coronaprotest] dagegen wird immer wieder ein Urteil des Bayerischen | |
Obersten Landesgerichts (OLG) aus dem Jahre 2020 zitiert. Es hatte einen | |
AfD-Politiker wegen Volksverhetzung verurteilt, der auf dem Bundesparteitag | |
im Juni 2018 in Augsburg ein Plakat mit einem „Judenstern“ getragen hatte, | |
darauf aufgedruckt die Jahreszahlen „1933 – 1945“ und „2013-?“. | |
Das Verhalten des AfD-Manns sei geeignet, das gesellschaftliche Klima zu | |
vergiften, urteilte das OLG, er habe erkennbar auf die gesamte | |
Judenverfolgung Bezug genommen. Die Entscheidung aus Bayern bekommt | |
zusätzlich Gewicht, weil das Bundesverfassungsgericht im September 2021 | |
ohne Begründung eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil verwarf. | |
Der Frankfurter Jurist Jahn bleibt skeptisch. Er begründet das mit einer | |
aus seiner Sicht vorhandenen Lücke im Volksverhetzungs-Paragraphen des | |
Strafgesetzbuches, Absatz vier. Dort droht Freiheitsstrafe bis zu drei | |
Jahren oder Geldstrafe demjenigen, der den öffentlichen Frieden in einer | |
die Opfer des Nazi-Regimes verletzenden Weise dadurch stört, „dass er die | |
nationalsozialistische Gewalt- oder Willkürherrschaft billigt, | |
verherrlicht, oder rechtfertigt“. Die Worte „oder verharmlost“ aber fehlen | |
an dieser Stelle des 2005 geänderten Gesetzes. Es mag juristisch | |
spitzfindig klingen. Jahn aber sagt: „Das fällt dem Gesetzgeber jetzt auf | |
die Füße.“ | |
Er fordert eine Änderung des Paragraphen. Und sieht die Gefahr von | |
Freisprüchen in Verfahren um die „Ungeimpft“-Sterne: „Es wird weitere | |
Entscheidungen geben, die von Coronaleugnern wie eine Monstranz vor sich | |
hergetragen werden.“ | |
24 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Matthias Meisner | |
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