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# taz.de -- Drei Jahre nach Aufstand in Algerien: Stillstand statt Bewegung
> Algeriens Protestbewegung, die das Bouteflika-Regime stürzte, wird heute
> massiv unterdrückt. Dutzende Gefangene sind im Hungerstreik.
Bild: Vor drei Jahren begann Algeriens „Revolution des Lächelns“: Heute l�…
Tunis taz | Pünktlich zum dritten Jahrestag der Protestbewegung Hirak
(Bewegung) in Algerien hagelt es abermals Repressalien gegen Oppositionelle
und Aktivist*innen. Das wieder fest im Sattel sitzende Regime will um jeden
Preis verhindern, dass sich der Unmut im Land über Algeriens politische
Führung erneut bei regierungskritischen Protesten entlädt und setzt auf
Einschüchterungen und unmittelbare Maßnahmen gegen die demoralisierte
Bewegung.
Proteste werden in Algier heute nicht erwartet. An den zuvor beinahe
traditionellen Protestorten im Zentrum der Hauptstadt wimmelt es dennoch
seit Tagen an Polizist*innen in Uniform und in Zivil. Es herrscht ein
Klima der Abschreckung und Angst vor dem Staat. Selbst in der traditionell
aufmüpfigen Region Kabylei östlich von Algier, einer Hochburg der
Opposition, dürfte es höchstens kleinere Versammlungen geben. Der Hirak
steht mit dem Rücken zur Wand.
Vor genau drei Jahren hatte Algeriens Opposition mit [1][Massenprotesten]
eine Mauer der Angst durchbrochen. Erstmals seit Jahrzehnten hatten sich
Hunderttausende Menschen getraut, offen gegen das Regime zu protestieren.
Sie zogen selbstbewusst und lautstark durch die Straßen und forderten einen
politischen Neuanfang.
Der Sturz von Präsident [2][Bouteflika] im April 2019 entpuppte sich jedoch
als Pyrrhussieg, übernahm doch [3][die Armee] das Ruder. Sie sorgte für die
Wahl eines ihr genehmen Politikers zum neuen Präsidenten und setzt seither
alles daran, die Bewegung zu zerschlagen.
## Das Regime zieht die Daumenschrauben an
Heute hat sich der Wind vollständig gedreht. Nach Ausbruch der
Coronapandemie 2020 hatte der Hirak seine [4][Demonstrationen eingestellt],
während das Regime das Ende der Proteste nutzte, um dem Spuk in den Straßen
endgültig den Garaus zu machen. Kurz vor dem heutigen dritten Jahrestag der
ersten Massenproteste gegen Bouteflika zieht das Regime unter
Staatspräsident Abdelmajid Tebboune und Armeechef Saïd Chengriha nun erneut
die Daumenschrauben an.
Vor allem die Verhaftung Zakaria Hannaches lässt in den Reihen der
Opposition die Alarmglocken schrillen. Hannache wurde am Donnerstag in
Algier verhaftet und anschließend auf eine Polizeiwache gebracht. Hier
wartet er seither darauf, der Staatsanwaltschaft vorgeführt zu werden,
erklärt der Vizepräsident des Büros der Algerischen Liga zur Verteidigung
der Menschenrechte (LADDH) in Béjaïa, Saïd Salhi, der taz.
Hannaches Verhaftung ist insofern beunruhigend, als dass er derzeit einer
der wenigen Aktivist*innen ist, der weiter hartnäckig politisch
motivierte Verhaftungen dokumentiert und Informationen über die
Haftbedingungen der landesweit rund 300 politischen Häftlinge an die
Öffentlichkeit trägt. Das Regime will jedoch derlei Störgeräuschen einen
Riegel vorschieben und geht nun gezielt gegen jene vor, die Aufmerksamkeit
über die Lage in Algeriens Gefängnissen erregen.
Erst vor zehn Tagen hatten die Behörden den Zugang zur Internetseite
[5][Algerian Detainees] im Inland gesperrt. Das von Aktivist*innen
betriebene Portal, das politisch motivierte Verhaftungen dokumentiert, ist
seither nur noch über VPN- oder Proxyserver erreichbar.
## 40 politische Gefangene sind im Hungerstreik
Dabei ist Öffentlichkeit für die Situation in Algeriens Gefängnissen
derzeit notwendiger denn je. Denn seit dem 29. Januar sind mehr als 40
politische Gefangene in den Gefängnissen El Harrach und Koléa in Algier
sowie in Bouira und Sétif in den Hungerstreik getreten. Damit protestieren
sie gegen ihre in willkürlicher Manier verlängerte Untersuchungshaft und
einen 2021 verabschiedeten Artikel im Strafgesetzbuch, der Regierungskritik
mit „Terrorismus“ und „Sabotage“ gleichsetzt.
Zwar haben mehrere Häftlinge ihren Hungerstreik vor einigen Tagen
abgebrochen, nachdem ein Mithäftling sein Augenlicht zum Teil verloren
hatte. Doch die meisten halten weiterhin an dieser Protestform fest und
weigern sich auch 24 Tage nach Streikbeginn, Nahrung zu sich zu nehmen, so
die LADDH.
Derweil ist auch die seit Jahren in mehrere Fraktionen zersplitterte
Menschenrechtsliga ins Visier der Behörden geraten. Am Samstag wurde der
LADDH-Aktivist Hamoudi Fellah in Tlemcen in Westalgerien von der vom
Militär kontrollierten Gendarmerie verhaftet und bereits am Sonntag zu drei
Jahren Gefängnis verurteilt, bestätigt Salhi. Vorgeworfen wurde Fellah
unter anderem „Leitung einer nicht zugelassenen Vereinigung“. Gemeint ist
damit die LADDH, die heute zu den wichtigsten Menschenrechtsgruppen im Land
zählt.
Auch Fellahs Verhaftung wird bereits als nicht zu ignorierende Warnung
interpretiert. Schließlich geht das Regime seit 2020 nicht mehr nur aus
politischen Gründen gegen Individuen vor, sondern kriminalisiert
systematisch dem Hirak nahestehende Parteien und zivilgesellschaftliche
Gruppen.
22 Feb 2022
## LINKS
[1] /Algerien-vor-der-Wahl/!5575341
[2] /Algerischer-Ex-Praesident/!5802326
[3] /Aus-Le-Monde-diplomatique/!5587237
[4] /Protest-in-Algerien/!5691092
[5] https://www.algerian-detainees.org/
## AUTOREN
Sofian Philip Naceur
## TAGS
Abdelaziz Bouteflika
Protest
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