# taz.de -- Liga für Menschenrechte in Algerien: Zivilgesellschaft im Visier | |
> Algeriens Regierung hat die Liga für Menschenrechte aufgelöst. Es ist der | |
> nächste Schlag gegen kritische Organisationen in dem Land. | |
Bild: Protest gegen Abdelmadjid Tebbounes Wahlsieg 2019 in Algier | |
TUNIS taz | Für Algeriens regierungskritische Zivilgesellschaft, | |
Menschenrechtsgruppen und die verbliebenen Reste der freien Presse im Land | |
gehen langsam, aber sicher die Lichter aus. Erst letzte Woche wurde | |
bekannt, dass ein Verwaltungsgericht in Algier bereits im September 2022 | |
die Algerische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (LADDH) per | |
Beschluss aufgelöst hatte. | |
Deren Vizepräsident Said Salhi erklärte sich entrüstet über die | |
Entscheidung. Die Liga sei über den Gerichtsbeschluss nicht informiert | |
worden, sondern habe erst jetzt in sozialen Netzwerken davon erfahren, so | |
der Menschenrechtler. Ein Foto des Dokuments kursiert seit letzter Woche. | |
Seit Algeriens Innenministerium im Mai 2022 die gerichtliche Auflösung der | |
LADDH beantragt hatte, habe die Liga weder die Chance gehabt, Akteneinsicht | |
zu erhalten oder zu den bis heute unklaren Anklagepunkten Stellung zu | |
beziehen, noch sei sie über die Gründe informiert worden, so die LADDH in | |
einer Erklärung. Der Beschluss verweist lediglich darauf, dass die Liga | |
gegen geltende Vorschriften verstoßen haben soll. | |
Ernst zu nehmen ist die Entscheidung dabei allemal, denn am Montag ließen | |
die Behörden das Büro des mit der LADDH assoziierten Dokumentationszentrums | |
für Menschenrechte in der Küstenstadt Béjaia östlich von Algier amtlich | |
versiegeln. | |
## Systematisches Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft | |
Die Auflösung der 1985 gegründeten Liga ist ein schwerer Schlag gegen die | |
Zivilgesellschaft im Land, ist die Organisation doch eine der aktivsten | |
Menschenrechtsgruppen Algeriens. Zwar hatten interne Querelen schon in den | |
2000er Jahren zur Spaltung der Liga geführt – seither arbeiteten die | |
Regionalbüros der Organisation de facto getrennt voneinander –, doch die | |
LADDH-Büros waren in den letzten 30 Jahren zentrale Akteure im Kampf gegen | |
staatliche Repressalien gegen Dissidenten und Protestbewegungen und für die | |
Rechte von Geflüchteten und Minderheiten. | |
Scharf kritisiert wird die Auflösung der LADDH sowohl von algerischen | |
Oppositionsparteien und NGOs als auch internationalen Organisationen wie | |
der Internationalen Föderation für Menschenrechte. | |
Überraschend ist das behördliche Vorgehen gegen die Liga allerdings nicht. | |
Nachdem das Regime den Ausbruch der Coronapandemie 2020 instrumentalisiert | |
hatte, um der 2019 formierten Protestbewegung Hirak sukzessive den Garaus | |
zu machen, waren algerische Behörden zunehmend systematisch [1][gegen die | |
regierungskritische Zivilgesellschaft], Oppositionelle und unabhängige | |
Medien vorgegangen. | |
Seither waren mehrere den Hirak unterstützende Oppositionsparteien aus dem | |
linken und liberalen Lager gerichtlich verboten worden. Ein Prozess gegen | |
den bei den Hirak-Protesten äußerst aktiven Jugendverband RAJ ist weiterhin | |
im Gange – die Abschlussplädoyers wurden erst am Donnerstag angehört. | |
## Algeriens Presse im Zentrum der Repression | |
Auch der algerischen Presse, die seit Ende der 1980er Jahre als vielfältig | |
und trotz autoritärer Regierungsführung als ausgesprochen kritisch gilt, | |
geht es seit 2020 an den Kragen. Immer wieder wurden Journalist*innen | |
verhaftet, angeklagt und teils zu Haftstrafen verurteilt. Zuletzt traf es | |
den Direktor der Internetmedien Radio M und Maghreb Emergent, Ihsane | |
al-Kadi. | |
In der Nacht auf den 25. Dezember 2022 wurde der prominente Journalist in | |
Boumerdès verhaftet und sitzt seither im berüchtigten Al-Harrach-Gefängnis | |
in Algier in Untersuchungshaft. Einen Tag später wurden die Büros der | |
beiden Onlinemedien in Algier durchsucht und versiegelt, technische | |
Ausrüstung konfisziert. Der Zugang zu beiden Websites ist seit Mitte Januar | |
in Algerien blockiert. | |
Hintergrund der Repressionswelle ist der Volksaufstand von 2019. Nachdem | |
die Protestbewegung nach monatelangen Massendemonstrationen die Absetzung | |
des seit 1999 amtierenden Staatschefs [2][Abdelaziz Bouteflika] erzwungen | |
hatte, hatte das Militär wieder das Ruder übernommen und Ende 2019 mit | |
Abdelmadschid Tebboune einen neuen willfährigen Präsidenten installiert. | |
Dieser lässt nun gemeinsam mit dem Sicherheits- und Justizapparat die | |
erkämpften Freiräume für Opposition und Zivilgesellschaft nach und nach | |
schließen und erneut ein autoritäres Regierungssystem restaurieren. | |
30 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sofian Philip Naceur | |
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